producirende Kraft mehr oder weniger auf sie gerichtet und verwendet wird. Da wir dem kürzesten und leich- testen Weg von Natur nachgehen; so geschiehet es, daß anstatt einer Empfindung, die mehrere Anstrengung erfo- dert, wenn sie reproduciret werden soll, eine andere wie- der erneuert wird, welche mit jener vergesellschaftet ge- wesen ist, und deren Reproduktion leichter und geschwin- der geschehen kann. Der Name vertritt die Stelle der Sache. Die Einbildung des Worts ist völlig und leb- haft, aber die begleitende Einbildung der mit dem Wort bezeichneten Sache, ist oft so schwach, daß sie nur ein Ansatz zu der völligen Wiederdarstellung genennt wer- den kann.
VI. Die nemliche Beschaffenheit der Vorstellungen bey den Empfindungsvorstellungen des Gehörs und der übrigen äußern Sinne.
Alles ist im Allgemeinen dasselbige bey den Vorstellun- gen aus dem Gehör, dem Gefühl, dem Ge- schmack und dem Geruch, wie bey den Gesichts- vorstellungen. Die äußern Gegenstände modificiren die Seele. Es entstehet ein sinnlicher Eindruck, der gefühlet wird, die Empfindung. Die Empfindung hinterlässet eine Nachempfindung, und die Einbil- dungen aus diesen Sinnen sind geschwächte Nachgeprä- ge der ersten Nachempfindungen und der sinnlichen Ein- drücke. Diese drey unterscheidbare Modifikationen ha- ben in allen Arten der Empfindungsvorstellungen im All- gemeinen dieselbige Beziehung auf einander; sie sind in derselbigen Analogie mit einander, und entsprechen sich. Der Unterschied gehet hierinn nicht weiter, als auf das Mehr oder Weniger, auf Schwäche und Stärke, auf die längere oder kürzere Dauer, auf die mindere oder
größere
I. Verſuch. Ueber die Natur
producirende Kraft mehr oder weniger auf ſie gerichtet und verwendet wird. Da wir dem kuͤrzeſten und leich- teſten Weg von Natur nachgehen; ſo geſchiehet es, daß anſtatt einer Empfindung, die mehrere Anſtrengung erfo- dert, wenn ſie reproduciret werden ſoll, eine andere wie- der erneuert wird, welche mit jener vergeſellſchaftet ge- weſen iſt, und deren Reproduktion leichter und geſchwin- der geſchehen kann. Der Name vertritt die Stelle der Sache. Die Einbildung des Worts iſt voͤllig und leb- haft, aber die begleitende Einbildung der mit dem Wort bezeichneten Sache, iſt oft ſo ſchwach, daß ſie nur ein Anſatz zu der voͤlligen Wiederdarſtellung genennt wer- den kann.
VI. Die nemliche Beſchaffenheit der Vorſtellungen bey den Empfindungsvorſtellungen des Gehoͤrs und der uͤbrigen aͤußern Sinne.
Alles iſt im Allgemeinen daſſelbige bey den Vorſtellun- gen aus dem Gehoͤr, dem Gefuͤhl, dem Ge- ſchmack und dem Geruch, wie bey den Geſichts- vorſtellungen. Die aͤußern Gegenſtaͤnde modificiren die Seele. Es entſtehet ein ſinnlicher Eindruck, der gefuͤhlet wird, die Empfindung. Die Empfindung hinterlaͤſſet eine Nachempfindung, und die Einbil- dungen aus dieſen Sinnen ſind geſchwaͤchte Nachgepraͤ- ge der erſten Nachempfindungen und der ſinnlichen Ein- druͤcke. Dieſe drey unterſcheidbare Modifikationen ha- ben in allen Arten der Empfindungsvorſtellungen im All- gemeinen dieſelbige Beziehung auf einander; ſie ſind in derſelbigen Analogie mit einander, und entſprechen ſich. Der Unterſchied gehet hierinn nicht weiter, als auf das Mehr oder Weniger, auf Schwaͤche und Staͤrke, auf die laͤngere oder kuͤrzere Dauer, auf die mindere oder
groͤßere
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I. Verſuch. Ueber die Natur
producirende Kraft mehr oder weniger auf ſie gerichtet
und verwendet wird. Da wir dem kuͤrzeſten und leich-
teſten Weg von Natur nachgehen; ſo geſchiehet es, daß
anſtatt einer Empfindung, die mehrere Anſtrengung erfo-
dert, wenn ſie reproduciret werden ſoll, eine andere wie-
der erneuert wird, welche mit jener vergeſellſchaftet ge-
weſen iſt, und deren Reproduktion leichter und geſchwin-
der geſchehen kann. Der Name vertritt die Stelle der
Sache. Die Einbildung des Worts iſt voͤllig und leb-
haft, aber die begleitende Einbildung der mit dem Wort
bezeichneten Sache, iſt oft ſo ſchwach, daß ſie nur ein
Anſatz zu der voͤlligen Wiederdarſtellung genennt wer-
den kann.
VI.
Die nemliche Beſchaffenheit der Vorſtellungen
bey den Empfindungsvorſtellungen des Gehoͤrs
und der uͤbrigen aͤußern Sinne.
Alles iſt im Allgemeinen daſſelbige bey den Vorſtellun-
gen aus dem Gehoͤr, dem Gefuͤhl, dem Ge-
ſchmack und dem Geruch, wie bey den Geſichts-
vorſtellungen. Die aͤußern Gegenſtaͤnde modificiren
die Seele. Es entſtehet ein ſinnlicher Eindruck, der
gefuͤhlet wird, die Empfindung. Die Empfindung
hinterlaͤſſet eine Nachempfindung, und die Einbil-
dungen aus dieſen Sinnen ſind geſchwaͤchte Nachgepraͤ-
ge der erſten Nachempfindungen und der ſinnlichen Ein-
druͤcke. Dieſe drey unterſcheidbare Modifikationen ha-
ben in allen Arten der Empfindungsvorſtellungen im All-
gemeinen dieſelbige Beziehung auf einander; ſie ſind in
derſelbigen Analogie mit einander, und entſprechen ſich.
Der Unterſchied gehet hierinn nicht weiter, als auf das
Mehr oder Weniger, auf Schwaͤche und Staͤrke, auf
die laͤngere oder kuͤrzere Dauer, auf die mindere oder
groͤßere
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/100>, abgerufen am 21.11.2024.
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