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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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drückt ebendieselbe Unerschütterlichkeit aus, wie Psalm
46, 3: "Wir fürchten Uns nicht, wenn gleich die Welt unter¬
ginge." In alle dem ist für den christlichen Satz, daß die Welt
eitel sei, für die christliche Weltverachtung der Raum geöffnet.

Der unerschütterliche Geist "des Weisen", mit wel¬
chem die alte Welt ihrem Schlusse vorarbeitete, erfuhr nun
eine innere Erschütterung, gegen welche ihn keine Ata¬
rarie, kein stoischer Muth zu schützen vermochte. Der Geist,
vor allem Einflusse der Welt gesichert, gegen ihre Stöße un¬
empfindlich und über ihre Angriffe erhaben, nichts bewun¬
dernd, durch keinen Einsturz, der Welt aus seiner Fassung zu
bringen, -- er schäumte unaufhaltsam wieder über, weil in
seinem eigenen Innern Gase (Geister) sich entwickelten, und,
nachdem der mechanische Stoß, der von außen kommt,
unwirksam geworden, chemische Spannungen, die im In¬
nern erregen, ihr wunderbares Spiel zu treiben begannen.

In der That schließt die alte Geschichte damit, daß Ich
an der Welt mein Eigenthum errungen habe. "Alle Dinge
sind Mir übergeben von Meinem Vater." (Matth. 11, 27.)
Sie hat aufgehört, gegen Mich übermächtig, unnahbar, heilig,
göttlich u. s. w. zu sein, sie ist "entgöttert", und Ich be¬
handle sie nun so sehr nach Meinem Wohlgefallen, daß, läge
Mir daran, Ich alle Wunderkraft, d. h. Macht des Geistes,
an ihr ausüben, Berge versetzen, Maulbeerbäumen befehlen,
daß sie sich selbst ausreißen und ins Meer versetzen (Luc. 17,
6), und alles Mögliche, d. h. Denkbare könnte: "Alle
Dinge sind möglich dem, der da glaubet." *)Ich bin der
Herr der Welt, Mein ist die "Herrlichkeit". Die Welt

*) Marc. 9, 23.

drückt ebendieſelbe Unerſchütterlichkeit aus, wie Pſalm
46, 3: „Wir fürchten Uns nicht, wenn gleich die Welt unter¬
ginge.“ In alle dem iſt für den chriſtlichen Satz, daß die Welt
eitel ſei, für die chriſtliche Weltverachtung der Raum geöffnet.

Der unerſchütterliche Geiſt „des Weiſen“, mit wel¬
chem die alte Welt ihrem Schluſſe vorarbeitete, erfuhr nun
eine innere Erſchütterung, gegen welche ihn keine Ata¬
rarie, kein ſtoiſcher Muth zu ſchützen vermochte. Der Geiſt,
vor allem Einfluſſe der Welt geſichert, gegen ihre Stöße un¬
empfindlich und über ihre Angriffe erhaben, nichts bewun¬
dernd, durch keinen Einſturz, der Welt aus ſeiner Faſſung zu
bringen, — er ſchäumte unaufhaltſam wieder über, weil in
ſeinem eigenen Innern Gaſe (Geiſter) ſich entwickelten, und,
nachdem der mechaniſche Stoß, der von außen kommt,
unwirkſam geworden, chemiſche Spannungen, die im In¬
nern erregen, ihr wunderbares Spiel zu treiben begannen.

In der That ſchließt die alte Geſchichte damit, daß Ich
an der Welt mein Eigenthum errungen habe. „Alle Dinge
ſind Mir übergeben von Meinem Vater.“ (Matth. 11, 27.)
Sie hat aufgehört, gegen Mich übermächtig, unnahbar, heilig,
göttlich u. ſ. w. zu ſein, ſie iſt „entgöttert“, und Ich be¬
handle ſie nun ſo ſehr nach Meinem Wohlgefallen, daß, läge
Mir daran, Ich alle Wunderkraft, d. h. Macht des Geiſtes,
an ihr ausüben, Berge verſetzen, Maulbeerbäumen befehlen,
daß ſie ſich ſelbſt ausreißen und ins Meer verſetzen (Luc. 17,
6), und alles Mögliche, d. h. Denkbare könnte: „Alle
Dinge ſind möglich dem, der da glaubet.“ *)Ich bin der
Herr der Welt, Mein iſt die „Herrlichkeit“. Die Welt

*) Marc. 9, 23.
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[123/0131] drückt ebendieſelbe Unerſchütterlichkeit aus, wie Pſalm 46, 3: „Wir fürchten Uns nicht, wenn gleich die Welt unter¬ ginge.“ In alle dem iſt für den chriſtlichen Satz, daß die Welt eitel ſei, für die chriſtliche Weltverachtung der Raum geöffnet. Der unerſchütterliche Geiſt „des Weiſen“, mit wel¬ chem die alte Welt ihrem Schluſſe vorarbeitete, erfuhr nun eine innere Erſchütterung, gegen welche ihn keine Ata¬ rarie, kein ſtoiſcher Muth zu ſchützen vermochte. Der Geiſt, vor allem Einfluſſe der Welt geſichert, gegen ihre Stöße un¬ empfindlich und über ihre Angriffe erhaben, nichts bewun¬ dernd, durch keinen Einſturz, der Welt aus ſeiner Faſſung zu bringen, — er ſchäumte unaufhaltſam wieder über, weil in ſeinem eigenen Innern Gaſe (Geiſter) ſich entwickelten, und, nachdem der mechaniſche Stoß, der von außen kommt, unwirkſam geworden, chemiſche Spannungen, die im In¬ nern erregen, ihr wunderbares Spiel zu treiben begannen. In der That ſchließt die alte Geſchichte damit, daß Ich an der Welt mein Eigenthum errungen habe. „Alle Dinge ſind Mir übergeben von Meinem Vater.“ (Matth. 11, 27.) Sie hat aufgehört, gegen Mich übermächtig, unnahbar, heilig, göttlich u. ſ. w. zu ſein, ſie iſt „entgöttert“, und Ich be¬ handle ſie nun ſo ſehr nach Meinem Wohlgefallen, daß, läge Mir daran, Ich alle Wunderkraft, d. h. Macht des Geiſtes, an ihr ausüben, Berge verſetzen, Maulbeerbäumen befehlen, daß ſie ſich ſelbſt ausreißen und ins Meer verſetzen (Luc. 17, 6), und alles Mögliche, d. h. Denkbare könnte: „Alle Dinge ſind möglich dem, der da glaubet.“ *)Ich bin der Herr der Welt, Mein iſt die „Herrlichkeit“. Die Welt *) Marc. 9, 23.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/131>, abgerufen am 27.04.2024.