Das Verbum "knüpft durch das Sein das Prädicat mit dem Sub- jecte zusammen, allein so, daß das Sein, welches mit einem energischen Prädicate in ein Handeln übergeht, dem Subjecte selbst beigelegt, also das bloß als verknüpft Gedachte zum Zustande oder Vorgange in der Wirklichkeit wird. Man denkt nicht bloß den einschlagenden Blitz, sondern der Blitz ist es selbst, der herniederfährt; man bringt nicht bloß den Geist und das Unvergängliche als verknüpfbar zusammen, sondern der Geist ist unvergänglich." Es ist nicht Humboldts Ansicht, daß die Sprache die Welt malen wolle, sondern er meint, wie es unmit- telbar weiter heißt: "Der Gedanke, wenn man sich so sinnlich ausdrücken könnte, verläßt durch das Verbum seine innere Wohnstätte und tritt in die Wirklichkeit über;" d. h. es ist zwar nicht die Welt, die Wirklichkeit, die in der Sprache dar- gestellt wird, sondern der Gedanke, unser subjectiver Gedanke; aber dieser wird nicht als solcher, sondern als Wirklichkeit dar- gestellt. Die Sprache ist also weder Darstellung der Wirklich- keit, noch des Gedankens, sondern des Gedankens als Wirk- lichkeit.
Becker sagt (Organism S. XV): Will man "läugnen, daß die allgemeinen formalen Denkgesetze sich in der Sprache wie- der finden, so läugnet man nicht allein die organische Natur der Sprache, sondern auch die organische Natur des Denkens". -- Keins von beiden; man trennt nur beides, die organische Natur der Sprache von der des Denkens.
§. 82. Inwiefern die Sprache logisch und nicht logisch ist.
Und so hoffen wir, man werde uns nicht den absurden Ein- wand machen, wenn die Sprache nicht logisch ist, so sei sie unlogisch, unvernünftig, was doch der Sinn der eben citirten Bemerkung Beckers war. In diesem Einwande liegt ein ganz gemeiner Fehler gegen die formale Logik: man schiebt einem contradictorischen Verhältnisse den Werth des conträren Gegen- satzes unter.
Wir können dasselbe, was wir so eben sagten, auch so aus- drücken: man beachte nicht die Doppelbedeutung des Wortes logisch. Dieses Adjectivum bedeutet eben sowohl, was zur Wissenschaft der Logik gehört, z. B. eine logische Frage, ein logisches Gesetz, als auch was den Gesetzen der Logik gemäß, überhaupt vernünftig eingerichtet ist. Nur nach dem ersten
Das Verbum „knüpft durch das Sein das Prädicat mit dem Sub- jecte zusammen, allein so, daß das Sein, welches mit einem energischen Prädicate in ein Handeln übergeht, dem Subjecte selbst beigelegt, also das bloß als verknüpft Gedachte zum Zustande oder Vorgange in der Wirklichkeit wird. Man denkt nicht bloß den einschlagenden Blitz, sondern der Blitz ist es selbst, der herniederfährt; man bringt nicht bloß den Geist und das Unvergängliche als verknüpfbar zusammen, sondern der Geist ist unvergänglich.“ Es ist nicht Humboldts Ansicht, daß die Sprache die Welt malen wolle, sondern er meint, wie es unmit- telbar weiter heißt: „Der Gedanke, wenn man sich so sinnlich ausdrücken könnte, verläßt durch das Verbum seine innere Wohnstätte und tritt in die Wirklichkeit über;“ d. h. es ist zwar nicht die Welt, die Wirklichkeit, die in der Sprache dar- gestellt wird, sondern der Gedanke, unser subjectiver Gedanke; aber dieser wird nicht als solcher, sondern als Wirklichkeit dar- gestellt. Die Sprache ist also weder Darstellung der Wirklich- keit, noch des Gedankens, sondern des Gedankens als Wirk- lichkeit.
Becker sagt (Organism S. XV): Will man „läugnen, daß die allgemeinen formalen Denkgesetze sich in der Sprache wie- der finden, so läugnet man nicht allein die organische Natur der Sprache, sondern auch die organische Natur des Denkens“. — Keins von beiden; man trennt nur beides, die organische Natur der Sprache von der des Denkens.
§. 82. Inwiefern die Sprache logisch und nicht logisch ist.
Und so hoffen wir, man werde uns nicht den absurden Ein- wand machen, wenn die Sprache nicht logisch ist, so sei sie unlogisch, unvernünftig, was doch der Sinn der eben citirten Bemerkung Beckers war. In diesem Einwande liegt ein ganz gemeiner Fehler gegen die formale Logik: man schiebt einem contradictorischen Verhältnisse den Werth des conträren Gegen- satzes unter.
Wir können dasselbe, was wir so eben sagten, auch so aus- drücken: man beachte nicht die Doppelbedeutung des Wortes logisch. Dieses Adjectivum bedeutet eben sowohl, was zur Wissenschaft der Logik gehört, z. B. eine logische Frage, ein logisches Gesetz, als auch was den Gesetzen der Logik gemäß, überhaupt vernünftig eingerichtet ist. Nur nach dem ersten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0256"n="218"/>
Das Verbum „knüpft durch das Sein das Prädicat mit dem Sub-<lb/>
jecte zusammen, allein so, daß das Sein, welches mit einem<lb/>
energischen Prädicate in ein Handeln übergeht, dem Subjecte<lb/>
selbst beigelegt, also das bloß als verknüpft <hirendition="#g">Gedachte</hi> zum<lb/>
Zustande oder Vorgange in der Wirklichkeit wird. Man denkt<lb/>
nicht bloß den einschlagenden Blitz, sondern der Blitz ist es<lb/>
selbst, der herniederfährt; man bringt nicht bloß den Geist und<lb/>
das Unvergängliche als verknüpfbar zusammen, sondern der Geist<lb/>
ist unvergänglich.“ Es ist nicht Humboldts Ansicht, daß die<lb/>
Sprache die Welt malen wolle, sondern er meint, wie es unmit-<lb/>
telbar weiter heißt: „Der Gedanke, wenn man sich so sinnlich<lb/>
ausdrücken könnte, verläßt durch das Verbum seine innere<lb/>
Wohnstätte und tritt in die Wirklichkeit über;“ d. h. es ist<lb/>
zwar nicht die Welt, die Wirklichkeit, die in der Sprache dar-<lb/>
gestellt wird, sondern der Gedanke, unser subjectiver Gedanke;<lb/>
aber dieser wird nicht als solcher, sondern als Wirklichkeit dar-<lb/>
gestellt. Die Sprache ist also weder Darstellung der Wirklich-<lb/>
keit, noch des Gedankens, sondern des Gedankens als Wirk-<lb/>
lichkeit.</p><lb/><p>Becker sagt (Organism S. XV): Will man „läugnen, daß<lb/>
die allgemeinen formalen Denkgesetze sich in der Sprache wie-<lb/>
der finden, so läugnet man nicht allein die organische Natur der<lb/>
Sprache, sondern auch die organische Natur des Denkens“. —<lb/>
Keins von beiden; man trennt nur beides, die organische Natur<lb/>
der Sprache von der des Denkens.</p></div><lb/><divn="4"><head>§. 82. Inwiefern die Sprache logisch und nicht logisch ist.</head><lb/><p>Und so hoffen wir, man werde uns nicht den absurden Ein-<lb/>
wand machen, wenn die Sprache nicht logisch ist, so sei sie<lb/>
unlogisch, unvernünftig, was doch der Sinn der eben citirten<lb/>
Bemerkung Beckers war. In diesem Einwande liegt ein ganz<lb/>
gemeiner Fehler gegen die formale Logik: man schiebt einem<lb/>
contradictorischen Verhältnisse den Werth des conträren Gegen-<lb/>
satzes unter.</p><lb/><p>Wir können dasselbe, was wir so eben sagten, auch so aus-<lb/>
drücken: man beachte nicht die Doppelbedeutung des Wortes<lb/><hirendition="#g">logisch</hi>. Dieses Adjectivum bedeutet eben sowohl, was zur<lb/>
Wissenschaft der Logik gehört, z. B. eine logische Frage, ein<lb/>
logisches Gesetz, als auch was den Gesetzen der Logik gemäß,<lb/>
überhaupt vernünftig eingerichtet ist. Nur nach dem ersten<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[218/0256]
Das Verbum „knüpft durch das Sein das Prädicat mit dem Sub-
jecte zusammen, allein so, daß das Sein, welches mit einem
energischen Prädicate in ein Handeln übergeht, dem Subjecte
selbst beigelegt, also das bloß als verknüpft Gedachte zum
Zustande oder Vorgange in der Wirklichkeit wird. Man denkt
nicht bloß den einschlagenden Blitz, sondern der Blitz ist es
selbst, der herniederfährt; man bringt nicht bloß den Geist und
das Unvergängliche als verknüpfbar zusammen, sondern der Geist
ist unvergänglich.“ Es ist nicht Humboldts Ansicht, daß die
Sprache die Welt malen wolle, sondern er meint, wie es unmit-
telbar weiter heißt: „Der Gedanke, wenn man sich so sinnlich
ausdrücken könnte, verläßt durch das Verbum seine innere
Wohnstätte und tritt in die Wirklichkeit über;“ d. h. es ist
zwar nicht die Welt, die Wirklichkeit, die in der Sprache dar-
gestellt wird, sondern der Gedanke, unser subjectiver Gedanke;
aber dieser wird nicht als solcher, sondern als Wirklichkeit dar-
gestellt. Die Sprache ist also weder Darstellung der Wirklich-
keit, noch des Gedankens, sondern des Gedankens als Wirk-
lichkeit.
Becker sagt (Organism S. XV): Will man „läugnen, daß
die allgemeinen formalen Denkgesetze sich in der Sprache wie-
der finden, so läugnet man nicht allein die organische Natur der
Sprache, sondern auch die organische Natur des Denkens“. —
Keins von beiden; man trennt nur beides, die organische Natur
der Sprache von der des Denkens.
§. 82. Inwiefern die Sprache logisch und nicht logisch ist.
Und so hoffen wir, man werde uns nicht den absurden Ein-
wand machen, wenn die Sprache nicht logisch ist, so sei sie
unlogisch, unvernünftig, was doch der Sinn der eben citirten
Bemerkung Beckers war. In diesem Einwande liegt ein ganz
gemeiner Fehler gegen die formale Logik: man schiebt einem
contradictorischen Verhältnisse den Werth des conträren Gegen-
satzes unter.
Wir können dasselbe, was wir so eben sagten, auch so aus-
drücken: man beachte nicht die Doppelbedeutung des Wortes
logisch. Dieses Adjectivum bedeutet eben sowohl, was zur
Wissenschaft der Logik gehört, z. B. eine logische Frage, ein
logisches Gesetz, als auch was den Gesetzen der Logik gemäß,
überhaupt vernünftig eingerichtet ist. Nur nach dem ersten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/256>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.