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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Sprechens und Denkens redet. Denn wie im Kunstwerke Stein
und Idee sich vermählen: so sollte man sagen, in der Sprache
vermähle sich die Idee mit dem Laute. Idee aber bleibt Idee,
und wird weder Stein noch Laut; Vermählung ist nicht Iden-
tität: hierin wird mir mancher beipflichten.

Schief ausgedrückt oder nicht, wird der Beckerianer sagen,
allemal ist doch das Innere der Sprache die Idee, die Intellec-
tualität selbst; und das ist es, was Becker mit seiner Identität
von Sprechen und Denken sagen will. -- Sehen wir nun die
Sache näher an. Jemand verlangt von mir, ich soll ihm die
Bildsäule Cäsars beschreiben: so verlangt jemand, der eine
Sprache lernen will, von seinem Lehrer, daß er sie ihm darlege.
Ich sage nun, um dem an mich gestellten Verlangen nachzukom-
men, die Bildsäule sei aus Parischem Marmor, in doppelter Men-
schengröße ausgearbeitet: der Sprachlehrer, um seinem Schüler
zu genügen, giebt ihm die Lautlehre. Beide Hörende sind damit
noch nicht befriedigt; von mir wird verlangt, ich solle auch die
Idee mittheilen, die man dem Marmor eingebildet habe: der
Sprachlehrling will die innere, geistige Seite zur lautlichen haben.
Was thut nun der Beckersche Sprachlehrer? er giebt ihm die
Logik und den Begriffsschatz, d. h. Form und Inhalt unserer
Intellectualität, unseres Denkens. Wenn ich nun eben so meinem
Hörer die Vorstellung von Cäsar mittheilte, er sei ein großer
Feldherr, Staatsmann, Schriftsteller, mild und liebenswürdig gewe-
sen, würde mein Zuhörer befriedigt sein? Nicht? -- nun so ist
es Beckers Lehrling, oder ich bin es mindestens auch nicht.

Also: so gewiß die Idee einer Bildsäule Cäsars nicht unsere
Vorstellung von Cäsars Charakter, Talent, Verdiensten, Thaten,
nicht unsere Idee von Cäsar ist: so gewiß ist auch die Idee
des Lautes nicht der Inhalt und die Form unseres Denkens.
Folglich sind Denken und Sprechen völlig von einander ver-
schieden. Oder, um Beckers eigene Analogien anzuwenden: so
wenig die Idee oder das Innere des menschlichen Leibes der
menschliche Geist ist: eben so wenig ist auch die Idee der Laute
der Inhalt und die Form des Gedankens; folglich sind Sprache
und Gedanke nicht eins und dasselbe.

2. Sind Grammatik und Logik identisch?

Wenn, wie wir gesehen haben, Sprechen und Denken so
wenig identisch sind, wie Körper und Geist, Stoff und Kraft,
die Bildsäule und unsere Vorstellung von der dargestellten Per-

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Sprechens und Denkens redet. Denn wie im Kunstwerke Stein
und Idee sich vermählen: so sollte man sagen, in der Sprache
vermähle sich die Idee mit dem Laute. Idee aber bleibt Idee,
und wird weder Stein noch Laut; Vermählung ist nicht Iden-
tität: hierin wird mir mancher beipflichten.

Schief ausgedrückt oder nicht, wird der Beckerianer sagen,
allemal ist doch das Innere der Sprache die Idee, die Intellec-
tualität selbst; und das ist es, was Becker mit seiner Identität
von Sprechen und Denken sagen will. — Sehen wir nun die
Sache näher an. Jemand verlangt von mir, ich soll ihm die
Bildsäule Cäsars beschreiben: so verlangt jemand, der eine
Sprache lernen will, von seinem Lehrer, daß er sie ihm darlege.
Ich sage nun, um dem an mich gestellten Verlangen nachzukom-
men, die Bildsäule sei aus Parischem Marmor, in doppelter Men-
schengröße ausgearbeitet: der Sprachlehrer, um seinem Schüler
zu genügen, giebt ihm die Lautlehre. Beide Hörende sind damit
noch nicht befriedigt; von mir wird verlangt, ich solle auch die
Idee mittheilen, die man dem Marmor eingebildet habe: der
Sprachlehrling will die innere, geistige Seite zur lautlichen haben.
Was thut nun der Beckersche Sprachlehrer? er giebt ihm die
Logik und den Begriffsschatz, d. h. Form und Inhalt unserer
Intellectualität, unseres Denkens. Wenn ich nun eben so meinem
Hörer die Vorstellung von Cäsar mittheilte, er sei ein großer
Feldherr, Staatsmann, Schriftsteller, mild und liebenswürdig gewe-
sen, würde mein Zuhörer befriedigt sein? Nicht? — nun so ist
es Beckers Lehrling, oder ich bin es mindestens auch nicht.

Also: so gewiß die Idee einer Bildsäule Cäsars nicht unsere
Vorstellung von Cäsars Charakter, Talent, Verdiensten, Thaten,
nicht unsere Idee von Cäsar ist: so gewiß ist auch die Idee
des Lautes nicht der Inhalt und die Form unseres Denkens.
Folglich sind Denken und Sprechen völlig von einander ver-
schieden. Oder, um Beckers eigene Analogien anzuwenden: so
wenig die Idee oder das Innere des menschlichen Leibes der
menschliche Geist ist: eben so wenig ist auch die Idee der Laute
der Inhalt und die Form des Gedankens; folglich sind Sprache
und Gedanke nicht eins und dasselbe.

2. Sind Grammatik und Logik identisch?

Wenn, wie wir gesehen haben, Sprechen und Denken so
wenig identisch sind, wie Körper und Geist, Stoff und Kraft,
die Bildsäule und unsere Vorstellung von der dargestellten Per-

11*
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[163/0201] Sprechens und Denkens redet. Denn wie im Kunstwerke Stein und Idee sich vermählen: so sollte man sagen, in der Sprache vermähle sich die Idee mit dem Laute. Idee aber bleibt Idee, und wird weder Stein noch Laut; Vermählung ist nicht Iden- tität: hierin wird mir mancher beipflichten. Schief ausgedrückt oder nicht, wird der Beckerianer sagen, allemal ist doch das Innere der Sprache die Idee, die Intellec- tualität selbst; und das ist es, was Becker mit seiner Identität von Sprechen und Denken sagen will. — Sehen wir nun die Sache näher an. Jemand verlangt von mir, ich soll ihm die Bildsäule Cäsars beschreiben: so verlangt jemand, der eine Sprache lernen will, von seinem Lehrer, daß er sie ihm darlege. Ich sage nun, um dem an mich gestellten Verlangen nachzukom- men, die Bildsäule sei aus Parischem Marmor, in doppelter Men- schengröße ausgearbeitet: der Sprachlehrer, um seinem Schüler zu genügen, giebt ihm die Lautlehre. Beide Hörende sind damit noch nicht befriedigt; von mir wird verlangt, ich solle auch die Idee mittheilen, die man dem Marmor eingebildet habe: der Sprachlehrling will die innere, geistige Seite zur lautlichen haben. Was thut nun der Beckersche Sprachlehrer? er giebt ihm die Logik und den Begriffsschatz, d. h. Form und Inhalt unserer Intellectualität, unseres Denkens. Wenn ich nun eben so meinem Hörer die Vorstellung von Cäsar mittheilte, er sei ein großer Feldherr, Staatsmann, Schriftsteller, mild und liebenswürdig gewe- sen, würde mein Zuhörer befriedigt sein? Nicht? — nun so ist es Beckers Lehrling, oder ich bin es mindestens auch nicht. Also: so gewiß die Idee einer Bildsäule Cäsars nicht unsere Vorstellung von Cäsars Charakter, Talent, Verdiensten, Thaten, nicht unsere Idee von Cäsar ist: so gewiß ist auch die Idee des Lautes nicht der Inhalt und die Form unseres Denkens. Folglich sind Denken und Sprechen völlig von einander ver- schieden. Oder, um Beckers eigene Analogien anzuwenden: so wenig die Idee oder das Innere des menschlichen Leibes der menschliche Geist ist: eben so wenig ist auch die Idee der Laute der Inhalt und die Form des Gedankens; folglich sind Sprache und Gedanke nicht eins und dasselbe. 2. Sind Grammatik und Logik identisch? Wenn, wie wir gesehen haben, Sprechen und Denken so wenig identisch sind, wie Körper und Geist, Stoff und Kraft, die Bildsäule und unsere Vorstellung von der dargestellten Per- 11*

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/201>, abgerufen am 03.12.2024.