Die Sprachwissenschaft setzt, wie jede andere Wissenschaft, das Dasein ihres Gegenstandes und das Bewußtsein davon vor- aus. Der Gegenstand muß jedoch sogleich beim Eingange deut- lich angegeben, bezeichnet, vorgewiesen werden, damit man von vornherein außer Zweifel darüber ist, wovon im Laufe der Un- tersuchung die Rede sein solle. Wir haben also mit einer No- minal-Definition zu beginnen; die Real-Definition liegt in der ganzen Darstellung der Wissenschaft.
§. 56. Definitionen.
Gegenstand der Sprachwissenschaft ist die Sprache oder Sprache überhaupt, d. h. Aeußerung der bewußten innern, seelischen und geistigen, Bewegungen, Zustände und Verhält- nisse durch den articulirten Laut. -- Wir unterscheiden hierbei näher:
Sprechen, d. h. die gegenwärtige, oder als gegenwärtig gedachte, Handlung oder Ausübung der Sprache.
Sprachfähigkeit, d. h. einerseits die physiologische Kraft, articulirte Laute hervorzubringen und dazu noch andererseits der sämmtliche Gehalt des Innern, welcher als der Sprache vor- ausgehend gedacht wird und durch sie geäußert werden soll.
Sprachmaterial, d. h. die von der Sprachfähigkeit im Sprechen einmal geschaffenen Elemente, welche immer von neuem angewandt werden, so oft derjenige innere Gegenstand wieder
Zweiter Theil. Grammatik und Logik.
I. Allgemeine Vorbemerkungen.
A. Von der Sprachwissenschaft im Allgemeinen.
Die Sprachwissenschaft setzt, wie jede andere Wissenschaft, das Dasein ihres Gegenstandes und das Bewußtsein davon vor- aus. Der Gegenstand muß jedoch sogleich beim Eingange deut- lich angegeben, bezeichnet, vorgewiesen werden, damit man von vornherein außer Zweifel darüber ist, wovon im Laufe der Un- tersuchung die Rede sein solle. Wir haben also mit einer No- minal-Definition zu beginnen; die Real-Definition liegt in der ganzen Darstellung der Wissenschaft.
§. 56. Definitionen.
Gegenstand der Sprachwissenschaft ist die Sprache oder Sprache überhaupt, d. h. Aeußerung der bewußten innern, seelischen und geistigen, Bewegungen, Zustände und Verhält- nisse durch den articulirten Laut. — Wir unterscheiden hierbei näher:
Sprechen, d. h. die gegenwärtige, oder als gegenwärtig gedachte, Handlung oder Ausübung der Sprache.
Sprachfähigkeit, d. h. einerseits die physiologische Kraft, articulirte Laute hervorzubringen und dazu noch andererseits der sämmtliche Gehalt des Innern, welcher als der Sprache vor- ausgehend gedacht wird und durch sie geäußert werden soll.
Sprachmaterial, d. h. die von der Sprachfähigkeit im Sprechen einmal geschaffenen Elemente, welche immer von neuem angewandt werden, so oft derjenige innere Gegenstand wieder
<TEI><text><body><pbfacs="#f0175"n="[137]"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Zweiter Theil.</hi><lb/>
Grammatik und Logik.</head><lb/><divn="2"><head>I. Allgemeine Vorbemerkungen.</head><lb/><divn="3"><head><hirendition="#i">A.</hi> Von der Sprachwissenschaft im Allgemeinen.</head><lb/><p>Die Sprachwissenschaft setzt, wie jede andere Wissenschaft,<lb/>
das Dasein ihres Gegenstandes und das Bewußtsein davon vor-<lb/>
aus. Der Gegenstand muß jedoch sogleich beim Eingange deut-<lb/>
lich angegeben, bezeichnet, vorgewiesen werden, damit man von<lb/>
vornherein außer Zweifel darüber ist, wovon im Laufe der Un-<lb/>
tersuchung die Rede sein solle. Wir haben also mit einer No-<lb/>
minal-Definition zu beginnen; die Real-Definition liegt in der<lb/>
ganzen Darstellung der Wissenschaft.</p><lb/><divn="4"><head>§. 56. Definitionen.</head><lb/><p>Gegenstand der Sprachwissenschaft ist <hirendition="#g">die Sprache</hi> oder<lb/><hirendition="#g">Sprache überhaupt,</hi> d. h. Aeußerung der bewußten innern,<lb/>
seelischen und geistigen, Bewegungen, Zustände und Verhält-<lb/>
nisse durch den articulirten Laut. — Wir unterscheiden hierbei<lb/>
näher:</p><lb/><p><hirendition="#g">Sprechen,</hi> d. h. die gegenwärtige, oder als gegenwärtig<lb/>
gedachte, Handlung oder Ausübung der Sprache.</p><lb/><p><hirendition="#g">Sprachfähigkeit,</hi> d. h. einerseits die physiologische Kraft,<lb/>
articulirte Laute hervorzubringen und dazu noch andererseits<lb/>
der sämmtliche Gehalt des Innern, welcher als der Sprache vor-<lb/>
ausgehend gedacht wird und durch sie geäußert werden soll.</p><lb/><p><hirendition="#g">Sprachmaterial,</hi> d. h. die von der Sprachfähigkeit im<lb/>
Sprechen einmal geschaffenen Elemente, welche immer von neuem<lb/>
angewandt werden, so oft derjenige innere Gegenstand wieder<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[[137]/0175]
Zweiter Theil.
Grammatik und Logik.
I. Allgemeine Vorbemerkungen.
A. Von der Sprachwissenschaft im Allgemeinen.
Die Sprachwissenschaft setzt, wie jede andere Wissenschaft,
das Dasein ihres Gegenstandes und das Bewußtsein davon vor-
aus. Der Gegenstand muß jedoch sogleich beim Eingange deut-
lich angegeben, bezeichnet, vorgewiesen werden, damit man von
vornherein außer Zweifel darüber ist, wovon im Laufe der Un-
tersuchung die Rede sein solle. Wir haben also mit einer No-
minal-Definition zu beginnen; die Real-Definition liegt in der
ganzen Darstellung der Wissenschaft.
§. 56. Definitionen.
Gegenstand der Sprachwissenschaft ist die Sprache oder
Sprache überhaupt, d. h. Aeußerung der bewußten innern,
seelischen und geistigen, Bewegungen, Zustände und Verhält-
nisse durch den articulirten Laut. — Wir unterscheiden hierbei
näher:
Sprechen, d. h. die gegenwärtige, oder als gegenwärtig
gedachte, Handlung oder Ausübung der Sprache.
Sprachfähigkeit, d. h. einerseits die physiologische Kraft,
articulirte Laute hervorzubringen und dazu noch andererseits
der sämmtliche Gehalt des Innern, welcher als der Sprache vor-
ausgehend gedacht wird und durch sie geäußert werden soll.
Sprachmaterial, d. h. die von der Sprachfähigkeit im
Sprechen einmal geschaffenen Elemente, welche immer von neuem
angewandt werden, so oft derjenige innere Gegenstand wieder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. [137]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/175>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.