hat der Gedanke ein krankes, mißgebildetes Organ. So ohn- mächtig wäre die höchste Besonderung des allgemeinen Lebens, daß es sich nur in einer Mißgeburt offenbaren kann! Das Auge ist regelmäßig gesund; die Sprachen aber wären alle und im- mer krank!
§. 41. Erkennen und Darstellen.
Abgesehen von diesen Bemerkungen in der Vorrede hat Becker nirgends den Unterschied zwischen Grammatik und Lo- gik berührt, und da auch jene völlig unbegründet sind, so se- hen wir hier wieder Beckers Mangel an Dialektik, d. h. seinen Mangel an klarem Bewußtsein über seine Grundsätze, ihr We- sen und ihre Tragweite. Gewissenhaftigkeit aber gebietet uns, einen Punkt zu untersuchen, der, wenn auch Becker es nicht bemerkt, einen Unterschied zwischen Grammatik und Logik viel- leicht begründen könnte; wir meinen den von Becker aufgestell- ten Unterschied zwischen Erkennen und Darstellen. Es bietet sich leicht der Gedanke dar, Logik sei die Wissenschaft des Erkennens, Grammatik die des Darstellens; aber er bietet sich doch nur dem dar, der einen Unterschied zwischen diesen Disciplinen sucht. Beckers Auge aber war so starr auf die Ein- heit derselben gerichtet, daß er übersah, wie ihm die eine ganz abhanden gekommen ist. Es ist also wohl zu bemerken, daß Becker von jenem Unterschiede zwischen Erkennen und Darstellen gar nicht in der Absicht spricht, in welcher wir hier den Punkt erörtern; daß er ihn gar nicht als den Quellpunkt erkannt hat, durch den die Grammatik erst Möglichkeit und Wirklichkeit gewinnt. Becker kommt vielmehr auf diesen Unterschied erst, nachdem er schon die "organische Lautbildung" nicht bloß, sondern auch die "organische Wortbildung" betrachtet hat, in- dem er die "organische Satzbildung" beginnt, und kommt später beim zusammengesetzten Satze auf denselben zurück. Dieser gilt ihm also gar nicht als etwas, was noch vor dem wirklichen Eingange der Grammatik liegt, sondern als ein Punkt innerhalb derselben; und beide Seiten, Erkennen und Darstellen, gehören nach Becker gleichmäßig der Grammatik an, also vielmehr der Logik, wie wir im voraus zu vermuthen Grund genug haben; was uns indeß nicht dazu bewegen darf, Becker ununtersucht zu verurtheilen.
Becker sagt (S. 154): "Betrachtet man das Denken, in der weitesten Bedeutung des Wortes, wie es sich in der Spra-
hat der Gedanke ein krankes, mißgebildetes Organ. So ohn- mächtig wäre die höchste Besonderung des allgemeinen Lebens, daß es sich nur in einer Mißgeburt offenbaren kann! Das Auge ist regelmäßig gesund; die Sprachen aber wären alle und im- mer krank!
§. 41. Erkennen und Darstellen.
Abgesehen von diesen Bemerkungen in der Vorrede hat Becker nirgends den Unterschied zwischen Grammatik und Lo- gik berührt, und da auch jene völlig unbegründet sind, so se- hen wir hier wieder Beckers Mangel an Dialektik, d. h. seinen Mangel an klarem Bewußtsein über seine Grundsätze, ihr We- sen und ihre Tragweite. Gewissenhaftigkeit aber gebietet uns, einen Punkt zu untersuchen, der, wenn auch Becker es nicht bemerkt, einen Unterschied zwischen Grammatik und Logik viel- leicht begründen könnte; wir meinen den von Becker aufgestell- ten Unterschied zwischen Erkennen und Darstellen. Es bietet sich leicht der Gedanke dar, Logik sei die Wissenschaft des Erkennens, Grammatik die des Darstellens; aber er bietet sich doch nur dem dar, der einen Unterschied zwischen diesen Disciplinen sucht. Beckers Auge aber war so starr auf die Ein- heit derselben gerichtet, daß er übersah, wie ihm die eine ganz abhanden gekommen ist. Es ist also wohl zu bemerken, daß Becker von jenem Unterschiede zwischen Erkennen und Darstellen gar nicht in der Absicht spricht, in welcher wir hier den Punkt erörtern; daß er ihn gar nicht als den Quellpunkt erkannt hat, durch den die Grammatik erst Möglichkeit und Wirklichkeit gewinnt. Becker kommt vielmehr auf diesen Unterschied erst, nachdem er schon die „organische Lautbildung“ nicht bloß, sondern auch die „organische Wortbildung“ betrachtet hat, in- dem er die „organische Satzbildung“ beginnt, und kommt später beim zusammengesetzten Satze auf denselben zurück. Dieser gilt ihm also gar nicht als etwas, was noch vor dem wirklichen Eingange der Grammatik liegt, sondern als ein Punkt innerhalb derselben; und beide Seiten, Erkennen und Darstellen, gehören nach Becker gleichmäßig der Grammatik an, also vielmehr der Logik, wie wir im voraus zu vermuthen Grund genug haben; was uns indeß nicht dazu bewegen darf, Becker ununtersucht zu verurtheilen.
Becker sagt (S. 154): „Betrachtet man das Denken, in der weitesten Bedeutung des Wortes, wie es sich in der Spra-
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hat der Gedanke ein krankes, mißgebildetes Organ. So ohn-
mächtig wäre die höchste Besonderung des allgemeinen Lebens,
daß es sich nur in einer Mißgeburt offenbaren kann! Das Auge
ist regelmäßig gesund; die Sprachen aber wären alle und im-
mer krank!
§. 41. Erkennen und Darstellen.
Abgesehen von diesen Bemerkungen in der Vorrede hat
Becker nirgends den Unterschied zwischen Grammatik und Lo-
gik berührt, und da auch jene völlig unbegründet sind, so se-
hen wir hier wieder Beckers Mangel an Dialektik, d. h. seinen
Mangel an klarem Bewußtsein über seine Grundsätze, ihr We-
sen und ihre Tragweite. Gewissenhaftigkeit aber gebietet uns,
einen Punkt zu untersuchen, der, wenn auch Becker es nicht
bemerkt, einen Unterschied zwischen Grammatik und Logik viel-
leicht begründen könnte; wir meinen den von Becker aufgestell-
ten Unterschied zwischen Erkennen und Darstellen. Es
bietet sich leicht der Gedanke dar, Logik sei die Wissenschaft
des Erkennens, Grammatik die des Darstellens; aber er bietet
sich doch nur dem dar, der einen Unterschied zwischen diesen
Disciplinen sucht. Beckers Auge aber war so starr auf die Ein-
heit derselben gerichtet, daß er übersah, wie ihm die eine ganz
abhanden gekommen ist. Es ist also wohl zu bemerken, daß
Becker von jenem Unterschiede zwischen Erkennen und Darstellen
gar nicht in der Absicht spricht, in welcher wir hier den Punkt
erörtern; daß er ihn gar nicht als den Quellpunkt erkannt hat,
durch den die Grammatik erst Möglichkeit und Wirklichkeit
gewinnt. Becker kommt vielmehr auf diesen Unterschied erst,
nachdem er schon die „organische Lautbildung“ nicht bloß,
sondern auch die „organische Wortbildung“ betrachtet hat, in-
dem er die „organische Satzbildung“ beginnt, und kommt später
beim zusammengesetzten Satze auf denselben zurück. Dieser
gilt ihm also gar nicht als etwas, was noch vor dem wirklichen
Eingange der Grammatik liegt, sondern als ein Punkt innerhalb
derselben; und beide Seiten, Erkennen und Darstellen, gehören
nach Becker gleichmäßig der Grammatik an, also vielmehr der
Logik, wie wir im voraus zu vermuthen Grund genug haben;
was uns indeß nicht dazu bewegen darf, Becker ununtersucht
zu verurtheilen.
Becker sagt (S. 154): „Betrachtet man das Denken, in
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/139>, abgerufen am 21.11.2024.
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