Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

dadurch unterschieden, daß in der einen Form mehr die
Thätigkeit, und in der andern mehr das Sein das vorwaltende
Moment des Begriffes ist." Nun vergesse man aber nicht, daß
durch diese bloß durch ein Mehr und Weniger von dem einen
oder andern Momente geschiedenen, an Zahl sich etwa bis auf
16 belaufenden Formen der Begriffe die mannigfaltigsten
Verhältnisse der Besonderheit der realen Dinge
in
den Geist aufgenommen werden sollen -- freilich, was die Sache
hinlänglich erklärt, "als Besonderes, und doch als ein Allge-
meines".

§. 37. Begriff und Gedanke.

Das Ergebniß unserer Kritik lief auch hier, bei dieser Un-
tersuchung der Beckerschen Erkenntnißtheorie, auf das leerste
Nichts hinaus. Becker hat weder den Vorgang des Erkennens
dargestellt, noch überhaupt nur die Möglichkeit der Erkenntniß
nachweisen können. Als vorzüglich auffallend aber konnten wir
bemerken, welche Bewußtlosigkeit bei Becker über das Verhält-
niß des Allgemeinen und Besondern herrscht. Dieses ist nun
aber ein Grundverhältniß unseres Denkens, und so werden wir
noch ferner sehen, wie Becker, indem er dasselbe verkannte, in
die nichtigsten Spielereien verfiel.

(§. 26.): "Der erste Akt des sich entwickelnden Vorstel-
lungsvermögens, gleichsam der erste Pulsschlag in dem aufge-
henden Leben der Intelligenz" -- fragt nur Becker nicht, wie
dieser entstanden ist? organisch, wäre die kurze Antwort -- "ist
ein Erkennen, d. h. ein Akt, durch den in dem Geiste ein Sein,
das Besondere, in eine Thätigkeit, das Allgemeine" -- man
beachte hier den Wechsel des bestimmten und unbestimmten
Artikels -- "aufgenommen und der Gegensatz von Thätigkeit
und Sein zu einer Einheit verbunden wird. Dieses Erkennen
ist immer ein Urtheil, z. B. die Glocke läutet." Und diese
Glocke, und dieses Läuten hat Becker nicht aus seinem Schlaf
gerissen? Zeigt dies Beispiel nicht schlagend, daß die Thätig-
keit nicht allgemeiner ist als das Sein? denn es läutet nichts
weiter in der Welt als die Glocke. Becker aber schläft weiter:
"Der Thätigkeitsbegriff wird in diesem Akte schon als wirk-
licher Begriff gedacht" -- natürlich, weil Becker die Thätigkeit
nicht anders denn als allgemein, also als Begriff denkt --; "er
ist das Erste, und macht das wesentliche Element und den ei-
gentlichen Inhalt des Urtheils aus. Der Begriff des Seins hin-

dadurch unterschieden, daß in der einen Form mehr die
Thätigkeit, und in der andern mehr das Sein das vorwaltende
Moment des Begriffes ist.“ Nun vergesse man aber nicht, daß
durch diese bloß durch ein Mehr und Weniger von dem einen
oder andern Momente geschiedenen, an Zahl sich etwa bis auf
16 belaufenden Formen der Begriffe die mannigfaltigsten
Verhältnisse der Besonderheit der realen Dinge
in
den Geist aufgenommen werden sollen — freilich, was die Sache
hinlänglich erklärt, „als Besonderes, und doch als ein Allge-
meines“.

§. 37. Begriff und Gedanke.

Das Ergebniß unserer Kritik lief auch hier, bei dieser Un-
tersuchung der Beckerschen Erkenntnißtheorie, auf das leerste
Nichts hinaus. Becker hat weder den Vorgang des Erkennens
dargestellt, noch überhaupt nur die Möglichkeit der Erkenntniß
nachweisen können. Als vorzüglich auffallend aber konnten wir
bemerken, welche Bewußtlosigkeit bei Becker über das Verhält-
niß des Allgemeinen und Besondern herrscht. Dieses ist nun
aber ein Grundverhältniß unseres Denkens, und so werden wir
noch ferner sehen, wie Becker, indem er dasselbe verkannte, in
die nichtigsten Spielereien verfiel.

(§. 26.): „Der erste Akt des sich entwickelnden Vorstel-
lungsvermögens, gleichsam der erste Pulsschlag in dem aufge-
henden Leben der Intelligenz“ — fragt nur Becker nicht, wie
dieser entstanden ist? organisch, wäre die kurze Antwort — „ist
ein Erkennen, d. h. ein Akt, durch den in dem Geiste ein Sein,
das Besondere, in eine Thätigkeit, das Allgemeine“ — man
beachte hier den Wechsel des bestimmten und unbestimmten
Artikels — „aufgenommen und der Gegensatz von Thätigkeit
und Sein zu einer Einheit verbunden wird. Dieses Erkennen
ist immer ein Urtheil, z. B. die Glocke läutet.“ Und diese
Glocke, und dieses Läuten hat Becker nicht aus seinem Schlaf
gerissen? Zeigt dies Beispiel nicht schlagend, daß die Thätig-
keit nicht allgemeiner ist als das Sein? denn es läutet nichts
weiter in der Welt als die Glocke. Becker aber schläft weiter:
„Der Thätigkeitsbegriff wird in diesem Akte schon als wirk-
licher Begriff gedacht“ — natürlich, weil Becker die Thätigkeit
nicht anders denn als allgemein, also als Begriff denkt —; „er
ist das Erste, und macht das wesentliche Element und den ei-
gentlichen Inhalt des Urtheils aus. Der Begriff des Seins hin-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0129" n="91"/>
dadurch <hi rendition="#g">unterschieden,</hi> daß in der einen Form mehr die<lb/>
Thätigkeit, und in der andern mehr das Sein das vorwaltende<lb/>
Moment des Begriffes ist.&#x201C; Nun vergesse man aber nicht, daß<lb/>
durch diese bloß durch ein Mehr und Weniger von dem einen<lb/>
oder andern Momente geschiedenen, an Zahl sich etwa bis auf<lb/>
16 belaufenden Formen der Begriffe die <hi rendition="#g">mannigfaltigsten<lb/>
Verhältnisse der Besonderheit der realen Dinge</hi> in<lb/>
den Geist aufgenommen werden sollen &#x2014; freilich, was die Sache<lb/>
hinlänglich erklärt, &#x201E;als Besonderes, und doch als ein Allge-<lb/>
meines&#x201C;.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>§. 37. Begriff und Gedanke.</head><lb/>
                <p>Das Ergebniß unserer Kritik lief auch hier, bei dieser Un-<lb/>
tersuchung der Beckerschen Erkenntnißtheorie, auf das leerste<lb/>
Nichts hinaus. Becker hat weder den Vorgang des Erkennens<lb/>
dargestellt, noch überhaupt nur die Möglichkeit der Erkenntniß<lb/>
nachweisen können. Als vorzüglich auffallend aber konnten wir<lb/>
bemerken, welche Bewußtlosigkeit bei Becker über das Verhält-<lb/>
niß des Allgemeinen und Besondern herrscht. Dieses ist nun<lb/>
aber ein Grundverhältniß unseres Denkens, und so werden wir<lb/>
noch ferner sehen, wie Becker, indem er dasselbe verkannte, in<lb/>
die nichtigsten Spielereien verfiel.</p><lb/>
                <p>(§. 26.): &#x201E;Der erste Akt des sich entwickelnden Vorstel-<lb/>
lungsvermögens, gleichsam der erste Pulsschlag in dem aufge-<lb/>
henden Leben der Intelligenz&#x201C; &#x2014; fragt nur Becker nicht, wie<lb/>
dieser entstanden ist? organisch, wäre die kurze Antwort &#x2014; &#x201E;ist<lb/>
ein Erkennen, d. h. ein Akt, durch den in dem Geiste ein <hi rendition="#g">Sein,</hi><lb/>
das Besondere, in eine Thätigkeit, das Allgemeine&#x201C; &#x2014; man<lb/>
beachte hier den Wechsel des bestimmten und unbestimmten<lb/>
Artikels &#x2014; &#x201E;aufgenommen und der Gegensatz von Thätigkeit<lb/>
und Sein zu einer Einheit verbunden wird. Dieses Erkennen<lb/>
ist immer ein <hi rendition="#g">Urtheil,</hi> z. B. die Glocke läutet.&#x201C; Und diese<lb/>
Glocke, und dieses Läuten hat Becker nicht aus seinem Schlaf<lb/>
gerissen? Zeigt dies Beispiel nicht schlagend, daß die Thätig-<lb/>
keit nicht allgemeiner ist als das Sein? denn es läutet nichts<lb/>
weiter in der Welt als die Glocke. Becker aber schläft weiter:<lb/>
&#x201E;Der Thätigkeitsbegriff wird in diesem Akte schon als wirk-<lb/>
licher Begriff gedacht&#x201C; &#x2014; natürlich, weil Becker die Thätigkeit<lb/>
nicht anders denn als allgemein, also als Begriff denkt &#x2014;; &#x201E;er<lb/>
ist das Erste, und macht das wesentliche Element und den ei-<lb/>
gentlichen Inhalt des Urtheils aus. Der Begriff des Seins hin-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0129] dadurch unterschieden, daß in der einen Form mehr die Thätigkeit, und in der andern mehr das Sein das vorwaltende Moment des Begriffes ist.“ Nun vergesse man aber nicht, daß durch diese bloß durch ein Mehr und Weniger von dem einen oder andern Momente geschiedenen, an Zahl sich etwa bis auf 16 belaufenden Formen der Begriffe die mannigfaltigsten Verhältnisse der Besonderheit der realen Dinge in den Geist aufgenommen werden sollen — freilich, was die Sache hinlänglich erklärt, „als Besonderes, und doch als ein Allge- meines“. §. 37. Begriff und Gedanke. Das Ergebniß unserer Kritik lief auch hier, bei dieser Un- tersuchung der Beckerschen Erkenntnißtheorie, auf das leerste Nichts hinaus. Becker hat weder den Vorgang des Erkennens dargestellt, noch überhaupt nur die Möglichkeit der Erkenntniß nachweisen können. Als vorzüglich auffallend aber konnten wir bemerken, welche Bewußtlosigkeit bei Becker über das Verhält- niß des Allgemeinen und Besondern herrscht. Dieses ist nun aber ein Grundverhältniß unseres Denkens, und so werden wir noch ferner sehen, wie Becker, indem er dasselbe verkannte, in die nichtigsten Spielereien verfiel. (§. 26.): „Der erste Akt des sich entwickelnden Vorstel- lungsvermögens, gleichsam der erste Pulsschlag in dem aufge- henden Leben der Intelligenz“ — fragt nur Becker nicht, wie dieser entstanden ist? organisch, wäre die kurze Antwort — „ist ein Erkennen, d. h. ein Akt, durch den in dem Geiste ein Sein, das Besondere, in eine Thätigkeit, das Allgemeine“ — man beachte hier den Wechsel des bestimmten und unbestimmten Artikels — „aufgenommen und der Gegensatz von Thätigkeit und Sein zu einer Einheit verbunden wird. Dieses Erkennen ist immer ein Urtheil, z. B. die Glocke läutet.“ Und diese Glocke, und dieses Läuten hat Becker nicht aus seinem Schlaf gerissen? Zeigt dies Beispiel nicht schlagend, daß die Thätig- keit nicht allgemeiner ist als das Sein? denn es läutet nichts weiter in der Welt als die Glocke. Becker aber schläft weiter: „Der Thätigkeitsbegriff wird in diesem Akte schon als wirk- licher Begriff gedacht“ — natürlich, weil Becker die Thätigkeit nicht anders denn als allgemein, also als Begriff denkt —; „er ist das Erste, und macht das wesentliche Element und den ei- gentlichen Inhalt des Urtheils aus. Der Begriff des Seins hin-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/129
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/129>, abgerufen am 21.11.2024.