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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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geben, sondern nur die Bedingungen des Erwerbs derselben. Sie soll
sie nie vertheilen, sondern die Vertheilung der freien Arbeit unter-
ordnen. Sie soll den Erwerb nie begränzen, sondern nur beschützen.
Sie soll stets da beginnen, wo die Kraft des Einzelnen
ihrer Natur nach aufhält, und stets da aufhalten, wo die
Einzelkraft beginnt
. In dieser ihrer Begränzung liegt einerseits
die äußere Freiheit des wirthschaftlichen Lebens, andererseits die innere
Tüchtigkeit. Jede Verwaltung, die diese Gränze überschreitet, wird zu
einem Widerspruche mit sich selbst und zu einem Unheil für die Volks-
wirthschaft.

Aus der Verbindung jenes Princips für das Wesen der Volks-
wirthschaftspflege mit diesem Grundsatz für ihre Gränze ergibt sich
nun die Grundlage dessen, was wir das System derselben nennen
müssen.

3) Das System der Volkswirthschaftspflege liegt nämlich dem-
gemäß weder in dem Begriff der Volkswirthschaft, noch in dem der
Staatswirthschaft, sondern entsteht vielmehr an denjenigen Verhält-
nissen, welche ihrerseits die Bedingungen für die Einzelwirthschaft ent-
halten. Wir werden es unten genauer darstellen. Die Verwaltung
bildet sich auch hier in diesem Theile wie im Ganzen nicht durch die
Entwicklung ihres an sich einfachen Grundgedankens, sondern durch die
Anwendung desselben auf das wirthschaftliche Leben des Volkes aus.
Und daher ist es denn auch natürlich, daß sie nicht bloß eine Geschichte,
sondern vielmehr in den verschiedenen Epochen eine höchst verschiedene
Geschichte gehabt hat, und daß in der Volkswirthschaftspflege die ex-
tremsten Grundsätze zum geltenden Recht geworden sind. Dieß nun
werden wir sogleich darstellen. Hier darf nur noch das Eine bemerkt
werden, was wiederum Volkswirthschaft und Staatswirthschaft von
jener auf das Klarste scheidet. Da nämlich jene Bedingungen nicht im
Begriff von Gut oder Staat, sondern in den gegebenen Lebensverhält-
nissen der natürlichen oder persönlichen Kräfte und Zustände liegen, so
kann man auch zu keiner vollständigen Volkswirthschaftspflege gelangen,
so lange man sie mit der Volks- oder Staatswirthschafts-
lehre verschmilzt
. Alle sogenannten angewandten Nationalökono-
mieen, alle Staatswirthschaftslehren und selbst die Polizeiwissenschaft
sind daher nicht bloß zufällig und vorübergehend, sondern principiell
unvollständig, abgesehen von der Systemlosigkeit, der sie eben so
nothwendig unterliegen, da es ja doch absolut unmöglich ist, aus den
Begriffen von Gut und Werth z. B. auf die beste Einrichtung der
Post oder des Bauwesens eher zu gelangen, als von dem Begriffe
der Staatsausgaben zum Inhalt des geltenden Rechts über geistiges

geben, ſondern nur die Bedingungen des Erwerbs derſelben. Sie ſoll
ſie nie vertheilen, ſondern die Vertheilung der freien Arbeit unter-
ordnen. Sie ſoll den Erwerb nie begränzen, ſondern nur beſchützen.
Sie ſoll ſtets da beginnen, wo die Kraft des Einzelnen
ihrer Natur nach aufhält, und ſtets da aufhalten, wo die
Einzelkraft beginnt
. In dieſer ihrer Begränzung liegt einerſeits
die äußere Freiheit des wirthſchaftlichen Lebens, andererſeits die innere
Tüchtigkeit. Jede Verwaltung, die dieſe Gränze überſchreitet, wird zu
einem Widerſpruche mit ſich ſelbſt und zu einem Unheil für die Volks-
wirthſchaft.

Aus der Verbindung jenes Princips für das Weſen der Volks-
wirthſchaftspflege mit dieſem Grundſatz für ihre Gränze ergibt ſich
nun die Grundlage deſſen, was wir das Syſtem derſelben nennen
müſſen.

3) Das Syſtem der Volkswirthſchaftspflege liegt nämlich dem-
gemäß weder in dem Begriff der Volkswirthſchaft, noch in dem der
Staatswirthſchaft, ſondern entſteht vielmehr an denjenigen Verhält-
niſſen, welche ihrerſeits die Bedingungen für die Einzelwirthſchaft ent-
halten. Wir werden es unten genauer darſtellen. Die Verwaltung
bildet ſich auch hier in dieſem Theile wie im Ganzen nicht durch die
Entwicklung ihres an ſich einfachen Grundgedankens, ſondern durch die
Anwendung deſſelben auf das wirthſchaftliche Leben des Volkes aus.
Und daher iſt es denn auch natürlich, daß ſie nicht bloß eine Geſchichte,
ſondern vielmehr in den verſchiedenen Epochen eine höchſt verſchiedene
Geſchichte gehabt hat, und daß in der Volkswirthſchaftspflege die ex-
tremſten Grundſätze zum geltenden Recht geworden ſind. Dieß nun
werden wir ſogleich darſtellen. Hier darf nur noch das Eine bemerkt
werden, was wiederum Volkswirthſchaft und Staatswirthſchaft von
jener auf das Klarſte ſcheidet. Da nämlich jene Bedingungen nicht im
Begriff von Gut oder Staat, ſondern in den gegebenen Lebensverhält-
niſſen der natürlichen oder perſönlichen Kräfte und Zuſtände liegen, ſo
kann man auch zu keiner vollſtändigen Volkswirthſchaftspflege gelangen,
ſo lange man ſie mit der Volks- oder Staatswirthſchafts-
lehre verſchmilzt
. Alle ſogenannten angewandten Nationalökono-
mieen, alle Staatswirthſchaftslehren und ſelbſt die Polizeiwiſſenſchaft
ſind daher nicht bloß zufällig und vorübergehend, ſondern principiell
unvollſtändig, abgeſehen von der Syſtemloſigkeit, der ſie eben ſo
nothwendig unterliegen, da es ja doch abſolut unmöglich iſt, aus den
Begriffen von Gut und Werth z. B. auf die beſte Einrichtung der
Poſt oder des Bauweſens eher zu gelangen, als von dem Begriffe
der Staatsausgaben zum Inhalt des geltenden Rechts über geiſtiges

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[11/0029] geben, ſondern nur die Bedingungen des Erwerbs derſelben. Sie ſoll ſie nie vertheilen, ſondern die Vertheilung der freien Arbeit unter- ordnen. Sie ſoll den Erwerb nie begränzen, ſondern nur beſchützen. Sie ſoll ſtets da beginnen, wo die Kraft des Einzelnen ihrer Natur nach aufhält, und ſtets da aufhalten, wo die Einzelkraft beginnt. In dieſer ihrer Begränzung liegt einerſeits die äußere Freiheit des wirthſchaftlichen Lebens, andererſeits die innere Tüchtigkeit. Jede Verwaltung, die dieſe Gränze überſchreitet, wird zu einem Widerſpruche mit ſich ſelbſt und zu einem Unheil für die Volks- wirthſchaft. Aus der Verbindung jenes Princips für das Weſen der Volks- wirthſchaftspflege mit dieſem Grundſatz für ihre Gränze ergibt ſich nun die Grundlage deſſen, was wir das Syſtem derſelben nennen müſſen. 3) Das Syſtem der Volkswirthſchaftspflege liegt nämlich dem- gemäß weder in dem Begriff der Volkswirthſchaft, noch in dem der Staatswirthſchaft, ſondern entſteht vielmehr an denjenigen Verhält- niſſen, welche ihrerſeits die Bedingungen für die Einzelwirthſchaft ent- halten. Wir werden es unten genauer darſtellen. Die Verwaltung bildet ſich auch hier in dieſem Theile wie im Ganzen nicht durch die Entwicklung ihres an ſich einfachen Grundgedankens, ſondern durch die Anwendung deſſelben auf das wirthſchaftliche Leben des Volkes aus. Und daher iſt es denn auch natürlich, daß ſie nicht bloß eine Geſchichte, ſondern vielmehr in den verſchiedenen Epochen eine höchſt verſchiedene Geſchichte gehabt hat, und daß in der Volkswirthſchaftspflege die ex- tremſten Grundſätze zum geltenden Recht geworden ſind. Dieß nun werden wir ſogleich darſtellen. Hier darf nur noch das Eine bemerkt werden, was wiederum Volkswirthſchaft und Staatswirthſchaft von jener auf das Klarſte ſcheidet. Da nämlich jene Bedingungen nicht im Begriff von Gut oder Staat, ſondern in den gegebenen Lebensverhält- niſſen der natürlichen oder perſönlichen Kräfte und Zuſtände liegen, ſo kann man auch zu keiner vollſtändigen Volkswirthſchaftspflege gelangen, ſo lange man ſie mit der Volks- oder Staatswirthſchafts- lehre verſchmilzt. Alle ſogenannten angewandten Nationalökono- mieen, alle Staatswirthſchaftslehren und ſelbſt die Polizeiwiſſenſchaft ſind daher nicht bloß zufällig und vorübergehend, ſondern principiell unvollſtändig, abgeſehen von der Syſtemloſigkeit, der ſie eben ſo nothwendig unterliegen, da es ja doch abſolut unmöglich iſt, aus den Begriffen von Gut und Werth z. B. auf die beſte Einrichtung der Poſt oder des Bauweſens eher zu gelangen, als von dem Begriffe der Staatsausgaben zum Inhalt des geltenden Rechts über geiſtiges

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/29>, abgerufen am 26.04.2024.