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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Eigenthum oder Expropriation. Und dieses wird im weitern Verlaufe
der Darstellung sich genauer ergeben.

Dieß nun sind die Elemente des Begriffs der Volkswirthschafts-
pflege. Wie es nun möglich geworden ist, zu der gegenwärtig geltenden
Unklarheit und Verwirrung zu kommen, das zeigt sich allerdings in
sehr einfacher Weise, wenn man die staatswissenschaftliche Natur oder
den Charakter der englischen und französischen Literatur einerseits und
den Gang der Geschichte andererseits ins Auge faßt.

III. Elemente der Geschichte der wirthschaftlichen Verwaltungslehre.
1) Die Scheidung von Volkswirthschaft und Volks-
wirthschaftspflege
.

Wir glauben nun, daß nichts den tiefen Unterschied von Volks-
wirthschaft, Staatswirthschaft und Volkswirthschaftspflege, und die
Nothwendigkeit einer durchaus selbständigen Behandlung der letztern so
bestimmt erscheinen läßt, als die Darstellung der Elemente der Geschichte
der wirthschaftlichen Verwaltung. Wollte man diese Geschichte im
Einzelnen gründlich verfolgen, so müßte man bei der thatsächlichen Ver-
schmelzung jener drei Gebiete die Geschichte der gesammten Staats-
wissenschaft schreiben. Dieß liegt außerhalb der Aufgabe der Verwal-
tungslehre. Allerdings ist die letztere nun dadurch in der Lage, etwas
behandeln zu müssen, was sie eigentlich als ihre Voraussetzung anzunehmen
verpflichtet ist. Sie kann daher der mißlichen Alternative nicht entgehen,
entweder zu viel oder zu wenig vollständig zu werden, selbst für ihre
eigenen Zwecke. Allein noch kann sie ihrerseits diesen Widerspruch nicht
vermeiden. Sie muß ihn mildern, indem sie die leitenden Gedanken
angibt, nach denen jeder bei jedem Werke sich die eigene Beurtheilung
über das Verhältniß desselben zur obigen Frage selbst formuliren könne.
Diese leitenden Gedanken, deren tiefere Begründung einer andern Ar-
beit überwiesen werden muß, sind folgende.

I. Das was man wohl auch die "reine" Nationalökonomie etwa
im Gegensatz zur angewandten, nennt, von der gründlich verkehrten
Vorstellung ausgehend, als ob es irgend einen Theil der National-
ökonomie gäbe, der nicht bei jedem wirthschaftlichen Leben zur Er-
scheinung gelangte, oder das, was wir eben die Güter- und Volks-
wirthschaftslehre in ihrer Selbständigkeit nennen, ist ein Theil der
Erkenntniß des Lebens der Persönlichkeit selbst, das in dem Wesen
derselben, also unabhängig von Staat und Verwaltung als ein ewig
lebendiges Gebiet desselben gegeben ist. Um dasselbe in dieser Selbst-

Eigenthum oder Expropriation. Und dieſes wird im weitern Verlaufe
der Darſtellung ſich genauer ergeben.

Dieß nun ſind die Elemente des Begriffs der Volkswirthſchafts-
pflege. Wie es nun möglich geworden iſt, zu der gegenwärtig geltenden
Unklarheit und Verwirrung zu kommen, das zeigt ſich allerdings in
ſehr einfacher Weiſe, wenn man die ſtaatswiſſenſchaftliche Natur oder
den Charakter der engliſchen und franzöſiſchen Literatur einerſeits und
den Gang der Geſchichte andererſeits ins Auge faßt.

III. Elemente der Geſchichte der wirthſchaftlichen Verwaltungslehre.
1) Die Scheidung von Volkswirthſchaft und Volks-
wirthſchaftspflege
.

Wir glauben nun, daß nichts den tiefen Unterſchied von Volks-
wirthſchaft, Staatswirthſchaft und Volkswirthſchaftspflege, und die
Nothwendigkeit einer durchaus ſelbſtändigen Behandlung der letztern ſo
beſtimmt erſcheinen läßt, als die Darſtellung der Elemente der Geſchichte
der wirthſchaftlichen Verwaltung. Wollte man dieſe Geſchichte im
Einzelnen gründlich verfolgen, ſo müßte man bei der thatſächlichen Ver-
ſchmelzung jener drei Gebiete die Geſchichte der geſammten Staats-
wiſſenſchaft ſchreiben. Dieß liegt außerhalb der Aufgabe der Verwal-
tungslehre. Allerdings iſt die letztere nun dadurch in der Lage, etwas
behandeln zu müſſen, was ſie eigentlich als ihre Vorausſetzung anzunehmen
verpflichtet iſt. Sie kann daher der mißlichen Alternative nicht entgehen,
entweder zu viel oder zu wenig vollſtändig zu werden, ſelbſt für ihre
eigenen Zwecke. Allein noch kann ſie ihrerſeits dieſen Widerſpruch nicht
vermeiden. Sie muß ihn mildern, indem ſie die leitenden Gedanken
angibt, nach denen jeder bei jedem Werke ſich die eigene Beurtheilung
über das Verhältniß deſſelben zur obigen Frage ſelbſt formuliren könne.
Dieſe leitenden Gedanken, deren tiefere Begründung einer andern Ar-
beit überwieſen werden muß, ſind folgende.

I. Das was man wohl auch die „reine“ Nationalökonomie etwa
im Gegenſatz zur angewandten, nennt, von der gründlich verkehrten
Vorſtellung ausgehend, als ob es irgend einen Theil der National-
ökonomie gäbe, der nicht bei jedem wirthſchaftlichen Leben zur Er-
ſcheinung gelangte, oder das, was wir eben die Güter- und Volks-
wirthſchaftslehre in ihrer Selbſtändigkeit nennen, iſt ein Theil der
Erkenntniß des Lebens der Perſönlichkeit ſelbſt, das in dem Weſen
derſelben, alſo unabhängig von Staat und Verwaltung als ein ewig
lebendiges Gebiet deſſelben gegeben iſt. Um daſſelbe in dieſer Selbſt-

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[12/0030] Eigenthum oder Expropriation. Und dieſes wird im weitern Verlaufe der Darſtellung ſich genauer ergeben. Dieß nun ſind die Elemente des Begriffs der Volkswirthſchafts- pflege. Wie es nun möglich geworden iſt, zu der gegenwärtig geltenden Unklarheit und Verwirrung zu kommen, das zeigt ſich allerdings in ſehr einfacher Weiſe, wenn man die ſtaatswiſſenſchaftliche Natur oder den Charakter der engliſchen und franzöſiſchen Literatur einerſeits und den Gang der Geſchichte andererſeits ins Auge faßt. III. Elemente der Geſchichte der wirthſchaftlichen Verwaltungslehre. 1) Die Scheidung von Volkswirthſchaft und Volks- wirthſchaftspflege. Wir glauben nun, daß nichts den tiefen Unterſchied von Volks- wirthſchaft, Staatswirthſchaft und Volkswirthſchaftspflege, und die Nothwendigkeit einer durchaus ſelbſtändigen Behandlung der letztern ſo beſtimmt erſcheinen läßt, als die Darſtellung der Elemente der Geſchichte der wirthſchaftlichen Verwaltung. Wollte man dieſe Geſchichte im Einzelnen gründlich verfolgen, ſo müßte man bei der thatſächlichen Ver- ſchmelzung jener drei Gebiete die Geſchichte der geſammten Staats- wiſſenſchaft ſchreiben. Dieß liegt außerhalb der Aufgabe der Verwal- tungslehre. Allerdings iſt die letztere nun dadurch in der Lage, etwas behandeln zu müſſen, was ſie eigentlich als ihre Vorausſetzung anzunehmen verpflichtet iſt. Sie kann daher der mißlichen Alternative nicht entgehen, entweder zu viel oder zu wenig vollſtändig zu werden, ſelbſt für ihre eigenen Zwecke. Allein noch kann ſie ihrerſeits dieſen Widerſpruch nicht vermeiden. Sie muß ihn mildern, indem ſie die leitenden Gedanken angibt, nach denen jeder bei jedem Werke ſich die eigene Beurtheilung über das Verhältniß deſſelben zur obigen Frage ſelbſt formuliren könne. Dieſe leitenden Gedanken, deren tiefere Begründung einer andern Ar- beit überwieſen werden muß, ſind folgende. I. Das was man wohl auch die „reine“ Nationalökonomie etwa im Gegenſatz zur angewandten, nennt, von der gründlich verkehrten Vorſtellung ausgehend, als ob es irgend einen Theil der National- ökonomie gäbe, der nicht bei jedem wirthſchaftlichen Leben zur Er- ſcheinung gelangte, oder das, was wir eben die Güter- und Volks- wirthſchaftslehre in ihrer Selbſtändigkeit nennen, iſt ein Theil der Erkenntniß des Lebens der Perſönlichkeit ſelbſt, das in dem Weſen derſelben, alſo unabhängig von Staat und Verwaltung als ein ewig lebendiges Gebiet deſſelben gegeben iſt. Um daſſelbe in dieſer Selbſt-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/30>, abgerufen am 29.03.2024.