Klasse daran die größere Schuld trugen; gewiß ist nur die für uns genügende Thatsache, daß erst damit die eigentliche "Entlastung" in Frankreich ihren Charakter verliert, und daß Deutschland daher die ganze Frage gleichsam aufs Neue beginnen mußte.
Auf diese Weise ist Frankreich zwar das Vaterland des Princips der gesellschaftlichen Entwährung, aber die wirkliche Entlastung, die ohne eine organisirte Entschädigung keine Entwährung, sondern eine gesell- schaftliche Revolution ist, ist in Frankreich nie zur Geltung gelangt. Das war zuletzt der eigentliche und durchgreifende revolutionäre Akt dieser Zeit; und nur dieser Akt hat sich dauernd erhalten. Denn die französische Revolution war eine sociale, und hatte im Grunde ihre Mission mit der Rechtsgleichheit und der auf ihr beruhenden neuen Ordnung des Eigenthums erfüllt, wie es das Wesen jeder socialen Revolution ist. Die große Aufgabe Deutschlands war es nun, in der- selben Umgestaltung seiner gesellschaftlichen Ordnung statt der Um- wälzung Wesen und Begriff der Entwährung festzuhalten und durch- zuführen.
Deutschlands Grundentlastung.
I. Allgemeiner Charakter.
Eine andere, im höchsten Grade beachtenswerthe Erscheinung bietet nun Deutschlands Grundentlastung neben derjenigen von England und Frankreich. Die eigenthümliche Natur Deutschlands, die auch hier wieder zur vollen Geltung gelangt, seine Zerstreuung in eine Menge selb- ständiger und selbstthätiger Theile, die Besonderheit der gesellschaftlichen und wirthschaftlichen Zustände desselben und die Verschiedenheit der Elemente, welche in jedem Theile desselben wirken, haben es auch auf diesem Gebiete mit sich gebracht, daß die Entlastung zunächst eine große, fast unerschöpfliche Masse von Verschiedenheiten darbietet. Es ist kein Zweifel, daß jeder dieser Theile seine eigene Geschichte und sein eige- nes Recht der Grundentlastung hat. Und man muß daher, ehe man überhaupt auf den Gegenstand eingeht, über den Standpunkt einig sein, den man diesem Reichthum von Einzelerscheinungen gegenüber einnehmen will.
Die Bewältigung dieses höchst umfangreichen Einzelmaterials be- ruht nämlich auch hier auf dem, was wir die Individualisirung des Staatslebens überhaupt, der Verwaltung insbesondere, nach dem Geiste und der inneren Arbeit der großen Culturvölker genannt haben. Und in dieser Beziehung erscheint auch die Grundentlastung Deutschlands
Klaſſe daran die größere Schuld trugen; gewiß iſt nur die für uns genügende Thatſache, daß erſt damit die eigentliche „Entlaſtung“ in Frankreich ihren Charakter verliert, und daß Deutſchland daher die ganze Frage gleichſam aufs Neue beginnen mußte.
Auf dieſe Weiſe iſt Frankreich zwar das Vaterland des Princips der geſellſchaftlichen Entwährung, aber die wirkliche Entlaſtung, die ohne eine organiſirte Entſchädigung keine Entwährung, ſondern eine geſell- ſchaftliche Revolution iſt, iſt in Frankreich nie zur Geltung gelangt. Das war zuletzt der eigentliche und durchgreifende revolutionäre Akt dieſer Zeit; und nur dieſer Akt hat ſich dauernd erhalten. Denn die franzöſiſche Revolution war eine ſociale, und hatte im Grunde ihre Miſſion mit der Rechtsgleichheit und der auf ihr beruhenden neuen Ordnung des Eigenthums erfüllt, wie es das Weſen jeder ſocialen Revolution iſt. Die große Aufgabe Deutſchlands war es nun, in der- ſelben Umgeſtaltung ſeiner geſellſchaftlichen Ordnung ſtatt der Um- wälzung Weſen und Begriff der Entwährung feſtzuhalten und durch- zuführen.
Deutſchlands Grundentlaſtung.
I. Allgemeiner Charakter.
Eine andere, im höchſten Grade beachtenswerthe Erſcheinung bietet nun Deutſchlands Grundentlaſtung neben derjenigen von England und Frankreich. Die eigenthümliche Natur Deutſchlands, die auch hier wieder zur vollen Geltung gelangt, ſeine Zerſtreuung in eine Menge ſelb- ſtändiger und ſelbſtthätiger Theile, die Beſonderheit der geſellſchaftlichen und wirthſchaftlichen Zuſtände deſſelben und die Verſchiedenheit der Elemente, welche in jedem Theile deſſelben wirken, haben es auch auf dieſem Gebiete mit ſich gebracht, daß die Entlaſtung zunächſt eine große, faſt unerſchöpfliche Maſſe von Verſchiedenheiten darbietet. Es iſt kein Zweifel, daß jeder dieſer Theile ſeine eigene Geſchichte und ſein eige- nes Recht der Grundentlaſtung hat. Und man muß daher, ehe man überhaupt auf den Gegenſtand eingeht, über den Standpunkt einig ſein, den man dieſem Reichthum von Einzelerſcheinungen gegenüber einnehmen will.
Die Bewältigung dieſes höchſt umfangreichen Einzelmaterials be- ruht nämlich auch hier auf dem, was wir die Individualiſirung des Staatslebens überhaupt, der Verwaltung insbeſondere, nach dem Geiſte und der inneren Arbeit der großen Culturvölker genannt haben. Und in dieſer Beziehung erſcheint auch die Grundentlaſtung Deutſchlands
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0168"n="150"/>
Klaſſe daran die größere Schuld trugen; gewiß iſt nur die für uns<lb/>
genügende Thatſache, daß <hirendition="#g">erſt damit</hi> die eigentliche „Entlaſtung“ in<lb/>
Frankreich ihren Charakter verliert, und daß Deutſchland daher die ganze<lb/>
Frage gleichſam aufs Neue beginnen mußte.</p><lb/><p>Auf dieſe Weiſe iſt Frankreich zwar das Vaterland des Princips<lb/>
der geſellſchaftlichen Entwährung, aber die wirkliche Entlaſtung, die ohne<lb/>
eine organiſirte Entſchädigung keine Entwährung, ſondern eine geſell-<lb/>ſchaftliche Revolution iſt, iſt in Frankreich nie zur Geltung gelangt.<lb/><hirendition="#g">Das</hi> war zuletzt der eigentliche und durchgreifende revolutionäre Akt<lb/>
dieſer Zeit; und <hirendition="#g">nur dieſer</hi> Akt hat ſich dauernd erhalten. Denn die<lb/>
franzöſiſche Revolution war eine <hirendition="#g">ſociale</hi>, und hatte im Grunde ihre<lb/>
Miſſion mit der Rechtsgleichheit und der auf ihr beruhenden neuen<lb/>
Ordnung des Eigenthums erfüllt, wie es das Weſen jeder ſocialen<lb/>
Revolution iſt. Die große Aufgabe Deutſchlands war es nun, in <hirendition="#g">der-<lb/>ſelben</hi> Umgeſtaltung ſeiner geſellſchaftlichen Ordnung ſtatt der Um-<lb/>
wälzung Weſen und Begriff der Entwährung feſtzuhalten und durch-<lb/>
zuführen.</p></div><lb/><divn="5"><head><hirendition="#b">Deutſchlands Grundentlaſtung.</hi></head><lb/><divn="6"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi> Allgemeiner Charakter.</hi></head><lb/><p>Eine andere, im höchſten Grade beachtenswerthe Erſcheinung bietet<lb/>
nun Deutſchlands Grundentlaſtung neben derjenigen von England und<lb/>
Frankreich. Die eigenthümliche Natur Deutſchlands, die auch hier wieder<lb/>
zur vollen Geltung gelangt, ſeine Zerſtreuung in eine Menge ſelb-<lb/>ſtändiger und ſelbſtthätiger Theile, die Beſonderheit der geſellſchaftlichen<lb/>
und wirthſchaftlichen Zuſtände deſſelben und die Verſchiedenheit der<lb/>
Elemente, welche in jedem Theile deſſelben wirken, haben es auch auf<lb/>
dieſem Gebiete mit ſich gebracht, daß die Entlaſtung zunächſt eine große,<lb/>
faſt unerſchöpfliche Maſſe von Verſchiedenheiten darbietet. Es iſt kein<lb/>
Zweifel, daß jeder dieſer Theile ſeine eigene Geſchichte und ſein eige-<lb/>
nes Recht der Grundentlaſtung hat. Und man muß daher, ehe man<lb/>
überhaupt auf den Gegenſtand eingeht, über den Standpunkt einig<lb/>ſein, den man dieſem Reichthum von Einzelerſcheinungen gegenüber<lb/>
einnehmen will.</p><lb/><p>Die Bewältigung dieſes höchſt umfangreichen Einzelmaterials be-<lb/>
ruht nämlich auch hier auf dem, was wir die Individualiſirung des<lb/>
Staatslebens überhaupt, der Verwaltung insbeſondere, nach dem Geiſte<lb/>
und der inneren Arbeit der großen Culturvölker genannt haben. Und<lb/>
in dieſer Beziehung erſcheint auch die Grundentlaſtung Deutſchlands<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[150/0168]
Klaſſe daran die größere Schuld trugen; gewiß iſt nur die für uns
genügende Thatſache, daß erſt damit die eigentliche „Entlaſtung“ in
Frankreich ihren Charakter verliert, und daß Deutſchland daher die ganze
Frage gleichſam aufs Neue beginnen mußte.
Auf dieſe Weiſe iſt Frankreich zwar das Vaterland des Princips
der geſellſchaftlichen Entwährung, aber die wirkliche Entlaſtung, die ohne
eine organiſirte Entſchädigung keine Entwährung, ſondern eine geſell-
ſchaftliche Revolution iſt, iſt in Frankreich nie zur Geltung gelangt.
Das war zuletzt der eigentliche und durchgreifende revolutionäre Akt
dieſer Zeit; und nur dieſer Akt hat ſich dauernd erhalten. Denn die
franzöſiſche Revolution war eine ſociale, und hatte im Grunde ihre
Miſſion mit der Rechtsgleichheit und der auf ihr beruhenden neuen
Ordnung des Eigenthums erfüllt, wie es das Weſen jeder ſocialen
Revolution iſt. Die große Aufgabe Deutſchlands war es nun, in der-
ſelben Umgeſtaltung ſeiner geſellſchaftlichen Ordnung ſtatt der Um-
wälzung Weſen und Begriff der Entwährung feſtzuhalten und durch-
zuführen.
Deutſchlands Grundentlaſtung.
I. Allgemeiner Charakter.
Eine andere, im höchſten Grade beachtenswerthe Erſcheinung bietet
nun Deutſchlands Grundentlaſtung neben derjenigen von England und
Frankreich. Die eigenthümliche Natur Deutſchlands, die auch hier wieder
zur vollen Geltung gelangt, ſeine Zerſtreuung in eine Menge ſelb-
ſtändiger und ſelbſtthätiger Theile, die Beſonderheit der geſellſchaftlichen
und wirthſchaftlichen Zuſtände deſſelben und die Verſchiedenheit der
Elemente, welche in jedem Theile deſſelben wirken, haben es auch auf
dieſem Gebiete mit ſich gebracht, daß die Entlaſtung zunächſt eine große,
faſt unerſchöpfliche Maſſe von Verſchiedenheiten darbietet. Es iſt kein
Zweifel, daß jeder dieſer Theile ſeine eigene Geſchichte und ſein eige-
nes Recht der Grundentlaſtung hat. Und man muß daher, ehe man
überhaupt auf den Gegenſtand eingeht, über den Standpunkt einig
ſein, den man dieſem Reichthum von Einzelerſcheinungen gegenüber
einnehmen will.
Die Bewältigung dieſes höchſt umfangreichen Einzelmaterials be-
ruht nämlich auch hier auf dem, was wir die Individualiſirung des
Staatslebens überhaupt, der Verwaltung insbeſondere, nach dem Geiſte
und der inneren Arbeit der großen Culturvölker genannt haben. Und
in dieſer Beziehung erſcheint auch die Grundentlaſtung Deutſchlands
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/168>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.