Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

daß es jetzt wie damals natürlich und richtig war, denselben Per-
sonen beide formell so wesentlich verschiedene Funktionen zu übertragen,
das sachverständige Gutachten über eine Frage des Gerichts für sein
richterliches Urtheil und über eine Frage der Verwaltung für ihre poli-
zeilichen Maßregeln. Es ist daher für die Zukunft viel wichtiger für
den Juristen, das Gebiet der Gesundheitsverwaltung zu kennen, über
das er bis zu einem nicht unbedeutenden Grade ein Urtheil haben muß,
als das der gerichtlichen Medicin, in welchem er sein Urtheil dem der
Aerzte unbedingt zu unterwerfen hat.

Dieß sind die Grundsätze für die Organisation der Gesundheits-
verwaltung. Sie sind jedoch erst langsam zur Geltung gelangt.


In der englischen und französischen Literatur fehlt die Behand-
lung dieses Gegenstandes; in der deutschen schon seit dem vorigen Jahr-
hundert sehr oft untersucht, theils historisch wie bei Frank, Stoll,
Erhardt, theils rationell wie bei Schütz, Medicinal-Polizeiverfassung,
Mohl, Polizeirecht I. 253 ff. Dabei fehlt auch bier das entscheidende
Verständniß des Unterschiedes der berufsmäßigen und administrativen
Organisation mit ihren gegenseitigen Funktionen.

II. Geschichte und gegenwärtige Gestalt.

Der Charakter der Geschichte und des geltenden Rechts der Organi-
sation des Gesundheitswesens beruht nun auf den Grundsätzen, nach
welchen, und auf den Formen in denen die erst allmählig entstehende
selbständige Verwaltung den berufsmäßigen Organismus und die Selbst-
verwaltungskörper zu der Verwaltung des allgemein öffentlichen Ge-
sundheitswesens herbeizieht. Diese Geschichte ist eine außerordentlich
reiche und wichtige. Wir können nur die leitenden Thatsachen kurz
charakterisiren.

Bei den alten Völkern, namentlich in Rom, besteht ein admini-
strativer Organismus, aber ohne Erfüllung durch berufsmäßig gebil-
dete Organe, als reine Polizeianstalt; daher ganz örtlich und ziemlich
systemlos. -- Mit dem Auftreten der Universitäten entsteht dagegen der
ständische Körper der Aerzte, dessen streng berufsmäßige Organisation
sich Jahrhunderte lang nur auf das Heilwesen bezieht, ohne Rücksicht
auf die Gesundheitspolizei. Von einer staatlichen Gesundheitspflege,
also von einem dafür bestimmten staatlichen Organismus, ist noch keine
Spur vorhanden. Die eigentlich öffentliche Verwaltung beginnt viel-
mehr erst mit der höheren Entwicklung des städtischen Gemeindewesens.

Dieser Anfang einer selbständigen öffentlichen Organisation des

daß es jetzt wie damals natürlich und richtig war, denſelben Per-
ſonen beide formell ſo weſentlich verſchiedene Funktionen zu übertragen,
das ſachverſtändige Gutachten über eine Frage des Gerichts für ſein
richterliches Urtheil und über eine Frage der Verwaltung für ihre poli-
zeilichen Maßregeln. Es iſt daher für die Zukunft viel wichtiger für
den Juriſten, das Gebiet der Geſundheitsverwaltung zu kennen, über
das er bis zu einem nicht unbedeutenden Grade ein Urtheil haben muß,
als das der gerichtlichen Medicin, in welchem er ſein Urtheil dem der
Aerzte unbedingt zu unterwerfen hat.

Dieß ſind die Grundſätze für die Organiſation der Geſundheits-
verwaltung. Sie ſind jedoch erſt langſam zur Geltung gelangt.


In der engliſchen und franzöſiſchen Literatur fehlt die Behand-
lung dieſes Gegenſtandes; in der deutſchen ſchon ſeit dem vorigen Jahr-
hundert ſehr oft unterſucht, theils hiſtoriſch wie bei Frank, Stoll,
Erhardt, theils rationell wie bei Schütz, Medicinal-Polizeiverfaſſung,
Mohl, Polizeirecht I. 253 ff. Dabei fehlt auch bier das entſcheidende
Verſtändniß des Unterſchiedes der berufsmäßigen und adminiſtrativen
Organiſation mit ihren gegenſeitigen Funktionen.

II. Geſchichte und gegenwärtige Geſtalt.

Der Charakter der Geſchichte und des geltenden Rechts der Organi-
ſation des Geſundheitsweſens beruht nun auf den Grundſätzen, nach
welchen, und auf den Formen in denen die erſt allmählig entſtehende
ſelbſtändige Verwaltung den berufsmäßigen Organismus und die Selbſt-
verwaltungskörper zu der Verwaltung des allgemein öffentlichen Ge-
ſundheitsweſens herbeizieht. Dieſe Geſchichte iſt eine außerordentlich
reiche und wichtige. Wir können nur die leitenden Thatſachen kurz
charakteriſiren.

Bei den alten Völkern, namentlich in Rom, beſteht ein admini-
ſtrativer Organismus, aber ohne Erfüllung durch berufsmäßig gebil-
dete Organe, als reine Polizeianſtalt; daher ganz örtlich und ziemlich
ſyſtemlos. — Mit dem Auftreten der Univerſitäten entſteht dagegen der
ſtändiſche Körper der Aerzte, deſſen ſtreng berufsmäßige Organiſation
ſich Jahrhunderte lang nur auf das Heilweſen bezieht, ohne Rückſicht
auf die Geſundheitspolizei. Von einer ſtaatlichen Geſundheitspflege,
alſo von einem dafür beſtimmten ſtaatlichen Organismus, iſt noch keine
Spur vorhanden. Die eigentlich öffentliche Verwaltung beginnt viel-
mehr erſt mit der höheren Entwicklung des ſtädtiſchen Gemeindeweſens.

Dieſer Anfang einer ſelbſtändigen öffentlichen Organiſation des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0042" n="26"/>
daß es jetzt wie damals natürlich und richtig war, <hi rendition="#g">den&#x017F;elben</hi> Per-<lb/>
&#x017F;onen beide formell &#x017F;o we&#x017F;entlich ver&#x017F;chiedene Funktionen zu übertragen,<lb/>
das &#x017F;achver&#x017F;tändige Gutachten über eine Frage des Gerichts für &#x017F;ein<lb/>
richterliches Urtheil und über eine Frage der Verwaltung für ihre poli-<lb/>
zeilichen Maßregeln. Es i&#x017F;t daher für die Zukunft viel wichtiger für<lb/>
den Juri&#x017F;ten, das Gebiet der Ge&#x017F;undheitsverwaltung zu kennen, über<lb/>
das er <choice><sic>dis</sic><corr>bis</corr></choice> zu einem nicht unbedeutenden Grade ein Urtheil haben muß,<lb/>
als das der gerichtlichen Medicin, in welchem er &#x017F;ein Urtheil dem der<lb/>
Aerzte unbedingt zu unterwerfen hat.</p><lb/>
              <p>Dieß &#x017F;ind die Grund&#x017F;ätze für die Organi&#x017F;ation der Ge&#x017F;undheits-<lb/>
verwaltung. Sie &#x017F;ind jedoch er&#x017F;t lang&#x017F;am zur Geltung gelangt.</p><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
              <p>In der engli&#x017F;chen und franzö&#x017F;i&#x017F;chen Literatur <hi rendition="#g">fehlt</hi> die Behand-<lb/>
lung die&#x017F;es Gegen&#x017F;tandes; in der deut&#x017F;chen &#x017F;chon &#x017F;eit dem vorigen Jahr-<lb/>
hundert &#x017F;ehr oft unter&#x017F;ucht, theils hi&#x017F;tori&#x017F;ch wie bei Frank, Stoll,<lb/>
Erhardt, theils rationell wie bei <hi rendition="#g">Schütz</hi>, Medicinal-Polizeiverfa&#x017F;&#x017F;ung,<lb/><hi rendition="#g">Mohl</hi>, Polizeirecht <hi rendition="#aq">I.</hi> 253 ff. Dabei fehlt auch bier das ent&#x017F;cheidende<lb/>
Ver&#x017F;tändniß des Unter&#x017F;chiedes der berufsmäßigen und admini&#x017F;trativen<lb/>
Organi&#x017F;ation mit ihren gegen&#x017F;eitigen Funktionen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Ge&#x017F;chichte und gegenwärtige Ge&#x017F;talt.</hi> </head><lb/>
              <p>Der Charakter der Ge&#x017F;chichte und des geltenden Rechts der Organi-<lb/>
&#x017F;ation des Ge&#x017F;undheitswe&#x017F;ens beruht nun auf den Grund&#x017F;ätzen, nach<lb/>
welchen, und auf den Formen in denen die er&#x017F;t allmählig ent&#x017F;tehende<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tändige Verwaltung den berufsmäßigen Organismus und die Selb&#x017F;t-<lb/>
verwaltungskörper zu der Verwaltung des <hi rendition="#g">allgemein</hi> öffentlichen Ge-<lb/>
&#x017F;undheitswe&#x017F;ens herbeizieht. Die&#x017F;e Ge&#x017F;chichte i&#x017F;t eine außerordentlich<lb/>
reiche und wichtige. Wir können nur die leitenden That&#x017F;achen kurz<lb/>
charakteri&#x017F;iren.</p><lb/>
              <p>Bei den alten Völkern, namentlich in Rom, be&#x017F;teht ein admini-<lb/>
&#x017F;trativer Organismus, aber <hi rendition="#g">ohne</hi> Erfüllung durch berufsmäßig gebil-<lb/>
dete Organe, als reine Polizeian&#x017F;talt; daher ganz örtlich und ziemlich<lb/>
&#x017F;y&#x017F;temlos. &#x2014; Mit dem Auftreten der Univer&#x017F;itäten ent&#x017F;teht dagegen der<lb/>
&#x017F;tändi&#x017F;che Körper der <hi rendition="#g">Aerzte</hi>, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;treng berufsmäßige Organi&#x017F;ation<lb/>
&#x017F;ich Jahrhunderte lang nur auf das <hi rendition="#g">Heilwe&#x017F;en</hi> bezieht, ohne Rück&#x017F;icht<lb/>
auf die Ge&#x017F;undheitspolizei. Von einer &#x017F;taatlichen Ge&#x017F;undheitspflege,<lb/>
al&#x017F;o von einem dafür be&#x017F;timmten &#x017F;taatlichen Organismus, i&#x017F;t noch keine<lb/>
Spur vorhanden. Die eigentlich öffentliche Verwaltung beginnt viel-<lb/>
mehr er&#x017F;t mit der höheren Entwicklung des &#x017F;tädti&#x017F;chen Gemeindewe&#x017F;ens.</p><lb/>
              <p>Die&#x017F;er Anfang einer &#x017F;elb&#x017F;tändigen öffentlichen Organi&#x017F;ation des<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0042] daß es jetzt wie damals natürlich und richtig war, denſelben Per- ſonen beide formell ſo weſentlich verſchiedene Funktionen zu übertragen, das ſachverſtändige Gutachten über eine Frage des Gerichts für ſein richterliches Urtheil und über eine Frage der Verwaltung für ihre poli- zeilichen Maßregeln. Es iſt daher für die Zukunft viel wichtiger für den Juriſten, das Gebiet der Geſundheitsverwaltung zu kennen, über das er bis zu einem nicht unbedeutenden Grade ein Urtheil haben muß, als das der gerichtlichen Medicin, in welchem er ſein Urtheil dem der Aerzte unbedingt zu unterwerfen hat. Dieß ſind die Grundſätze für die Organiſation der Geſundheits- verwaltung. Sie ſind jedoch erſt langſam zur Geltung gelangt. In der engliſchen und franzöſiſchen Literatur fehlt die Behand- lung dieſes Gegenſtandes; in der deutſchen ſchon ſeit dem vorigen Jahr- hundert ſehr oft unterſucht, theils hiſtoriſch wie bei Frank, Stoll, Erhardt, theils rationell wie bei Schütz, Medicinal-Polizeiverfaſſung, Mohl, Polizeirecht I. 253 ff. Dabei fehlt auch bier das entſcheidende Verſtändniß des Unterſchiedes der berufsmäßigen und adminiſtrativen Organiſation mit ihren gegenſeitigen Funktionen. II. Geſchichte und gegenwärtige Geſtalt. Der Charakter der Geſchichte und des geltenden Rechts der Organi- ſation des Geſundheitsweſens beruht nun auf den Grundſätzen, nach welchen, und auf den Formen in denen die erſt allmählig entſtehende ſelbſtändige Verwaltung den berufsmäßigen Organismus und die Selbſt- verwaltungskörper zu der Verwaltung des allgemein öffentlichen Ge- ſundheitsweſens herbeizieht. Dieſe Geſchichte iſt eine außerordentlich reiche und wichtige. Wir können nur die leitenden Thatſachen kurz charakteriſiren. Bei den alten Völkern, namentlich in Rom, beſteht ein admini- ſtrativer Organismus, aber ohne Erfüllung durch berufsmäßig gebil- dete Organe, als reine Polizeianſtalt; daher ganz örtlich und ziemlich ſyſtemlos. — Mit dem Auftreten der Univerſitäten entſteht dagegen der ſtändiſche Körper der Aerzte, deſſen ſtreng berufsmäßige Organiſation ſich Jahrhunderte lang nur auf das Heilweſen bezieht, ohne Rückſicht auf die Geſundheitspolizei. Von einer ſtaatlichen Geſundheitspflege, alſo von einem dafür beſtimmten ſtaatlichen Organismus, iſt noch keine Spur vorhanden. Die eigentlich öffentliche Verwaltung beginnt viel- mehr erſt mit der höheren Entwicklung des ſtädtiſchen Gemeindeweſens. Dieſer Anfang einer ſelbſtändigen öffentlichen Organiſation des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/42
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/42>, abgerufen am 19.11.2024.