Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Gesundheitswesens wird mit der Einführung der amtlich bestellten Orts-
ärzte
(Physiker) und der Apothekerordnungen (sechzehntes Jahrhundert)
gegeben, mit wissenschaftlicher Bildung, aber noch ohne einheitliche Ord-
nung meist nur auf einzelne Städte beschränkt. Erst mit dem Anfange
des achtzehnten Jahrhunderts beginnt dann in Deutschland die eigent-
liche Organisation des Gesundheitswesens, indem die Verwaltung der
Gesundheitspflege einem eigenen, aus wissenschaftlich gebildeten Aerzten
zusammengesetzten Körper, dem Collegium medicum oder sanitatis über-
geben wird, das die höchste Instanz der Verwaltung bildet, während
nach wie vor der Organismus der Universitäten über die ärztliche,
berufsmäßige Bildung entscheidet. Diese Collegien sind meistens aus
der Gefahr, welche ansteckende Krankheiten den Völkern bringen, ent-
standen, und gehören daher ursprünglich meist dem Seuchenwesen. Erst
allmählich entwickelt sich an und aus ihnen eine förmliche höchste Ver-
waltungsbehörde für die öffentliche Gesundheit, namentlich mit dem
achtzehnten Jahrhundert. Von diesen Collegien, als Mittelpunkt in der
Organisation, geht dann die allmählige Aufstellung der örtlichen
Gesundheitsorgane (Physicate) als allgemeine Institution aus, bis mit
dem neunzehnten Jahrhundert das Ministerialsystem diesen Organismus
in sich aufnimmt, und ihm, mit oder ohne Beibehaltung seines Namens,
seine natürliche Stellung als berathendes und oberaufsehendes
Organ des Ministeriums des Innern, jener für die eigene sanitäre Thä-
tigkeit der amtlichen Verwaltung, dieser für die Thätigkeit einerseits der
Gemeinden, anderseits aber auch des gesammten Heilpersonals, verleiht.
Die Fakultäten werden dadurch, was sie ihrerseits sein sollen, der Orga-
nismus für die berufsmäßige Bildung des Heilpersonals. Durch die
Berufung von Fachmännern für die höchsten Stellen der Gesundheits-
verwaltung sind dabei die Anforderungen der Wissenschaft gesichert.
Dennoch ist nicht zu verkennen, daß wir auch in dieser Beziehung erst
im Anfange stehen, indem bisher fast durchgehend der Grundsatz gilt,
diese Organe, und namentlich die Thätigkeit der unteren und örtlichen
vorwiegend nur bei einzelnen Maßregeln und in außerordentlichen Fällen
zu benutzen, während gerade die regelmäßige Thätigkeit derselben,
namentlich in Berichten und Statistik, erst den höheren Organen Grund-
lage und Anlaß für umfassendere Aufgaben geben könnte. Dazu wäre
allerdings das nöthig, was nur zu wenig geschieht, daß die amtlichen
Aerzte hinreichend besoldet würden, um die Aufgaben der Verwaltung
zu ihrer eigenen Hauptaufgabe zu machen. Das wiederum wird erst
dann geschehen, wenn die Selbstverwaltungskörper die Bedeutung der
Sache begreifen und die Kosten daran wenden. Das Hauptmittel aber
dafür wäre es, wenn das Vereinswesen der Aerzte neben den rein

Geſundheitsweſens wird mit der Einführung der amtlich beſtellten Orts-
ärzte
(Phyſiker) und der Apothekerordnungen (ſechzehntes Jahrhundert)
gegeben, mit wiſſenſchaftlicher Bildung, aber noch ohne einheitliche Ord-
nung meiſt nur auf einzelne Städte beſchränkt. Erſt mit dem Anfange
des achtzehnten Jahrhunderts beginnt dann in Deutſchland die eigent-
liche Organiſation des Geſundheitsweſens, indem die Verwaltung der
Geſundheitspflege einem eigenen, aus wiſſenſchaftlich gebildeten Aerzten
zuſammengeſetzten Körper, dem Collegium medicum oder sanitatis über-
geben wird, das die höchſte Inſtanz der Verwaltung bildet, während
nach wie vor der Organismus der Univerſitäten über die ärztliche,
berufsmäßige Bildung entſcheidet. Dieſe Collegien ſind meiſtens aus
der Gefahr, welche anſteckende Krankheiten den Völkern bringen, ent-
ſtanden, und gehören daher urſprünglich meiſt dem Seuchenweſen. Erſt
allmählich entwickelt ſich an und aus ihnen eine förmliche höchſte Ver-
waltungsbehörde für die öffentliche Geſundheit, namentlich mit dem
achtzehnten Jahrhundert. Von dieſen Collegien, als Mittelpunkt in der
Organiſation, geht dann die allmählige Aufſtellung der örtlichen
Geſundheitsorgane (Phyſicate) als allgemeine Inſtitution aus, bis mit
dem neunzehnten Jahrhundert das Miniſterialſyſtem dieſen Organismus
in ſich aufnimmt, und ihm, mit oder ohne Beibehaltung ſeines Namens,
ſeine natürliche Stellung als berathendes und oberaufſehendes
Organ des Miniſteriums des Innern, jener für die eigene ſanitäre Thä-
tigkeit der amtlichen Verwaltung, dieſer für die Thätigkeit einerſeits der
Gemeinden, anderſeits aber auch des geſammten Heilperſonals, verleiht.
Die Fakultäten werden dadurch, was ſie ihrerſeits ſein ſollen, der Orga-
nismus für die berufsmäßige Bildung des Heilperſonals. Durch die
Berufung von Fachmännern für die höchſten Stellen der Geſundheits-
verwaltung ſind dabei die Anforderungen der Wiſſenſchaft geſichert.
Dennoch iſt nicht zu verkennen, daß wir auch in dieſer Beziehung erſt
im Anfange ſtehen, indem bisher faſt durchgehend der Grundſatz gilt,
dieſe Organe, und namentlich die Thätigkeit der unteren und örtlichen
vorwiegend nur bei einzelnen Maßregeln und in außerordentlichen Fällen
zu benutzen, während gerade die regelmäßige Thätigkeit derſelben,
namentlich in Berichten und Statiſtik, erſt den höheren Organen Grund-
lage und Anlaß für umfaſſendere Aufgaben geben könnte. Dazu wäre
allerdings das nöthig, was nur zu wenig geſchieht, daß die amtlichen
Aerzte hinreichend beſoldet würden, um die Aufgaben der Verwaltung
zu ihrer eigenen Hauptaufgabe zu machen. Das wiederum wird erſt
dann geſchehen, wenn die Selbſtverwaltungskörper die Bedeutung der
Sache begreifen und die Koſten daran wenden. Das Hauptmittel aber
dafür wäre es, wenn das Vereinsweſen der Aerzte neben den rein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0043" n="27"/>
Ge&#x017F;undheitswe&#x017F;ens wird mit der Einführung der amtlich be&#x017F;tellten <hi rendition="#g">Orts-<lb/>
ärzte</hi> (Phy&#x017F;iker) und der Apothekerordnungen (&#x017F;echzehntes Jahrhundert)<lb/>
gegeben, mit wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlicher Bildung, aber noch ohne einheitliche Ord-<lb/>
nung mei&#x017F;t nur auf einzelne Städte be&#x017F;chränkt. Er&#x017F;t mit dem Anfange<lb/>
des achtzehnten Jahrhunderts beginnt dann in Deut&#x017F;chland die eigent-<lb/>
liche Organi&#x017F;ation des Ge&#x017F;undheitswe&#x017F;ens, indem die Verwaltung der<lb/>
Ge&#x017F;undheitspflege einem eigenen, aus wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich gebildeten Aerzten<lb/>
zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzten Körper, dem <hi rendition="#aq">Collegium medicum</hi> oder <hi rendition="#aq">sanitatis</hi> über-<lb/>
geben wird, das die höch&#x017F;te In&#x017F;tanz der Verwaltung bildet, während<lb/>
nach wie vor der Organismus der Univer&#x017F;itäten über die ärztliche,<lb/>
berufsmäßige Bildung ent&#x017F;cheidet. Die&#x017F;e Collegien &#x017F;ind mei&#x017F;tens aus<lb/>
der Gefahr, welche an&#x017F;teckende Krankheiten den Völkern bringen, ent-<lb/>
&#x017F;tanden, und gehören daher ur&#x017F;prünglich mei&#x017F;t dem Seuchenwe&#x017F;en. Er&#x017F;t<lb/>
allmählich entwickelt &#x017F;ich an und aus ihnen eine förmliche höch&#x017F;te Ver-<lb/>
waltungsbehörde für die öffentliche Ge&#x017F;undheit, namentlich mit dem<lb/>
achtzehnten Jahrhundert. Von die&#x017F;en Collegien, als Mittelpunkt in der<lb/>
Organi&#x017F;ation, geht dann die allmählige Auf&#x017F;tellung der <hi rendition="#g">örtlichen</hi><lb/>
Ge&#x017F;undheitsorgane (Phy&#x017F;icate) als allgemeine In&#x017F;titution aus, bis mit<lb/>
dem neunzehnten Jahrhundert das Mini&#x017F;terial&#x017F;y&#x017F;tem die&#x017F;en Organismus<lb/>
in &#x017F;ich aufnimmt, und ihm, mit oder ohne Beibehaltung &#x017F;eines Namens,<lb/>
&#x017F;eine natürliche Stellung als <hi rendition="#g">berathendes</hi> und <hi rendition="#g">oberauf&#x017F;ehendes</hi><lb/>
Organ des Mini&#x017F;teriums des Innern, jener für die eigene &#x017F;anitäre Thä-<lb/>
tigkeit der amtlichen Verwaltung, die&#x017F;er für die Thätigkeit einer&#x017F;eits der<lb/>
Gemeinden, ander&#x017F;eits aber auch des ge&#x017F;ammten Heilper&#x017F;onals, verleiht.<lb/>
Die Fakultäten werden dadurch, was &#x017F;ie ihrer&#x017F;eits &#x017F;ein &#x017F;ollen, der Orga-<lb/>
nismus für die berufsmäßige <hi rendition="#g">Bildung</hi> des Heilper&#x017F;onals. Durch die<lb/>
Berufung von Fachmännern für die höch&#x017F;ten Stellen der Ge&#x017F;undheits-<lb/>
verwaltung &#x017F;ind dabei die Anforderungen der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft ge&#x017F;ichert.<lb/>
Dennoch i&#x017F;t nicht zu verkennen, daß wir auch in die&#x017F;er Beziehung er&#x017F;t<lb/>
im Anfange &#x017F;tehen, indem bisher fa&#x017F;t durchgehend der Grund&#x017F;atz gilt,<lb/>
die&#x017F;e Organe, und namentlich die Thätigkeit der unteren und <hi rendition="#g">örtlichen</hi><lb/>
vorwiegend nur bei einzelnen Maßregeln und in außerordentlichen Fällen<lb/>
zu benutzen, während gerade die <hi rendition="#g">regelmäßige</hi> Thätigkeit der&#x017F;elben,<lb/>
namentlich in Berichten und Stati&#x017F;tik, er&#x017F;t den höheren Organen Grund-<lb/>
lage und Anlaß für umfa&#x017F;&#x017F;endere Aufgaben geben könnte. Dazu wäre<lb/>
allerdings das nöthig, was nur zu wenig ge&#x017F;chieht, daß die <hi rendition="#g">amtlichen</hi><lb/>
Aerzte hinreichend be&#x017F;oldet würden, um die Aufgaben der Verwaltung<lb/>
zu ihrer eigenen Hauptaufgabe zu machen. Das wiederum wird er&#x017F;t<lb/>
dann ge&#x017F;chehen, wenn die Selb&#x017F;tverwaltungskörper die Bedeutung der<lb/>
Sache begreifen und die Ko&#x017F;ten daran wenden. Das Hauptmittel aber<lb/>
dafür wäre es, wenn das <hi rendition="#g">Vereinswe&#x017F;en</hi> der Aerzte neben den rein<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0043] Geſundheitsweſens wird mit der Einführung der amtlich beſtellten Orts- ärzte (Phyſiker) und der Apothekerordnungen (ſechzehntes Jahrhundert) gegeben, mit wiſſenſchaftlicher Bildung, aber noch ohne einheitliche Ord- nung meiſt nur auf einzelne Städte beſchränkt. Erſt mit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts beginnt dann in Deutſchland die eigent- liche Organiſation des Geſundheitsweſens, indem die Verwaltung der Geſundheitspflege einem eigenen, aus wiſſenſchaftlich gebildeten Aerzten zuſammengeſetzten Körper, dem Collegium medicum oder sanitatis über- geben wird, das die höchſte Inſtanz der Verwaltung bildet, während nach wie vor der Organismus der Univerſitäten über die ärztliche, berufsmäßige Bildung entſcheidet. Dieſe Collegien ſind meiſtens aus der Gefahr, welche anſteckende Krankheiten den Völkern bringen, ent- ſtanden, und gehören daher urſprünglich meiſt dem Seuchenweſen. Erſt allmählich entwickelt ſich an und aus ihnen eine förmliche höchſte Ver- waltungsbehörde für die öffentliche Geſundheit, namentlich mit dem achtzehnten Jahrhundert. Von dieſen Collegien, als Mittelpunkt in der Organiſation, geht dann die allmählige Aufſtellung der örtlichen Geſundheitsorgane (Phyſicate) als allgemeine Inſtitution aus, bis mit dem neunzehnten Jahrhundert das Miniſterialſyſtem dieſen Organismus in ſich aufnimmt, und ihm, mit oder ohne Beibehaltung ſeines Namens, ſeine natürliche Stellung als berathendes und oberaufſehendes Organ des Miniſteriums des Innern, jener für die eigene ſanitäre Thä- tigkeit der amtlichen Verwaltung, dieſer für die Thätigkeit einerſeits der Gemeinden, anderſeits aber auch des geſammten Heilperſonals, verleiht. Die Fakultäten werden dadurch, was ſie ihrerſeits ſein ſollen, der Orga- nismus für die berufsmäßige Bildung des Heilperſonals. Durch die Berufung von Fachmännern für die höchſten Stellen der Geſundheits- verwaltung ſind dabei die Anforderungen der Wiſſenſchaft geſichert. Dennoch iſt nicht zu verkennen, daß wir auch in dieſer Beziehung erſt im Anfange ſtehen, indem bisher faſt durchgehend der Grundſatz gilt, dieſe Organe, und namentlich die Thätigkeit der unteren und örtlichen vorwiegend nur bei einzelnen Maßregeln und in außerordentlichen Fällen zu benutzen, während gerade die regelmäßige Thätigkeit derſelben, namentlich in Berichten und Statiſtik, erſt den höheren Organen Grund- lage und Anlaß für umfaſſendere Aufgaben geben könnte. Dazu wäre allerdings das nöthig, was nur zu wenig geſchieht, daß die amtlichen Aerzte hinreichend beſoldet würden, um die Aufgaben der Verwaltung zu ihrer eigenen Hauptaufgabe zu machen. Das wiederum wird erſt dann geſchehen, wenn die Selbſtverwaltungskörper die Bedeutung der Sache begreifen und die Koſten daran wenden. Das Hauptmittel aber dafür wäre es, wenn das Vereinsweſen der Aerzte neben den rein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/43
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/43>, abgerufen am 23.11.2024.