Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

wegs eine tiefgreifende. Das Ergebniß ist im Allgemeinen, daß die
Auffassung der Verwaltung als "Polizei" verschwindet, und der ethischen
und organischen Auffassung der "Verwaltung" und der "Verwaltungs-
lehre" Platz macht. Das ist ganz ohne Zweifel unser heutiger Zustand.

An diesen Zustand knüpft sich nun die Frage, ob es denn noch
und in welchem Sinne, in der heutigen Verwaltungslehre eine "Polizei-
wissenschaft" mit einem besonderen Inhalt geben könne?

c) Der heutige Begriff und Inhalt einer Polizeiwissenschaft.

Wir glauben die Antwort auf die obige Frage, und die Bestim-
mung dessen, was wir künftig noch als Polizeiwissenschaft anerkennen,
leicht geben zu können.

Die Polizei als die negative, schützende Thätigkeit der Verwaltung
ist und bleibt ein immanenter Theil der ganzen Verwaltung, und ist
daher nicht bloß principiell, sondern auch thatsächlich in jedem Gebiete
der letzteren enthalten. Die Form nun, in der sie zur Erscheinung
kommt, oder ihre Vollziehung gegenüber dem Einzelnen, ist kein Theil
der innern Verwaltungslehre, sondern ein Theil der vollziehenden
Gewalt. Die Darstellung derselben gehört daher der Lehre von der
vollziehenden Gewalt, und hat in der letzteren bereits ihren Platz ge-
funden. Es kann sich daher nur fragen, ob der Inhalt der polizei-
lichen Aufgabe es möglich macht, von einer eigenen Polizeiwissenschaft
ferner zu reden.

Nun ist es klar, daß man, wenn man das will, die schützende
Thätigkeit der Verwaltung von der fördernden scheiden müßte. Es
ist ein absoluter Widerspruch mit dem oben dargelegten innern Wesen
der Polizei oder der auf die Begränzung der Kräfte gerichteten Thätig-
keit des Staats, die ganze Verwaltung eine Polizei zu nennen. Es
könnte sich also nur darum handeln, jene negative Seite der Ver-
waltung, von der positiven geschieden, als ein innerlich und äußerlich
selbständiges Gebiet aufzustellen, und die alte Unterscheidung zwischen
Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei damit wieder ins Leben zu rufen.

Offenbar nun ist das für das ganze Gebiet der Verwaltung nicht
thunlich. Denn in vielen Theilen der letzteren ist die negative Seite
von der positiven gar nicht zu scheiden, wie z. B. bei dem Fremden-
wesen, beim Eherecht, bei dem Sanitätswesen, bei der Vormundschaft,
bei hundert andern Dingen. Hier ist die Ordnung, welche durch das
Verwaltungsrecht gilt, zugleich der Schutz gegen die üblen Folgen der
Unordnung. Es ist in allen diesen Fällen geradezu unmöglich zu sagen,
was dem Gedanken einer Sicherheits- und dem einer Wohlfahrtspolizei
entspräche.

wegs eine tiefgreifende. Das Ergebniß iſt im Allgemeinen, daß die
Auffaſſung der Verwaltung als „Polizei“ verſchwindet, und der ethiſchen
und organiſchen Auffaſſung der „Verwaltung“ und der „Verwaltungs-
lehre“ Platz macht. Das iſt ganz ohne Zweifel unſer heutiger Zuſtand.

An dieſen Zuſtand knüpft ſich nun die Frage, ob es denn noch
und in welchem Sinne, in der heutigen Verwaltungslehre eine „Polizei-
wiſſenſchaft“ mit einem beſonderen Inhalt geben könne?

c) Der heutige Begriff und Inhalt einer Polizeiwiſſenſchaft.

Wir glauben die Antwort auf die obige Frage, und die Beſtim-
mung deſſen, was wir künftig noch als Polizeiwiſſenſchaft anerkennen,
leicht geben zu können.

Die Polizei als die negative, ſchützende Thätigkeit der Verwaltung
iſt und bleibt ein immanenter Theil der ganzen Verwaltung, und iſt
daher nicht bloß principiell, ſondern auch thatſächlich in jedem Gebiete
der letzteren enthalten. Die Form nun, in der ſie zur Erſcheinung
kommt, oder ihre Vollziehung gegenüber dem Einzelnen, iſt kein Theil
der innern Verwaltungslehre, ſondern ein Theil der vollziehenden
Gewalt. Die Darſtellung derſelben gehört daher der Lehre von der
vollziehenden Gewalt, und hat in der letzteren bereits ihren Platz ge-
funden. Es kann ſich daher nur fragen, ob der Inhalt der polizei-
lichen Aufgabe es möglich macht, von einer eigenen Polizeiwiſſenſchaft
ferner zu reden.

Nun iſt es klar, daß man, wenn man das will, die ſchützende
Thätigkeit der Verwaltung von der fördernden ſcheiden müßte. Es
iſt ein abſoluter Widerſpruch mit dem oben dargelegten innern Weſen
der Polizei oder der auf die Begränzung der Kräfte gerichteten Thätig-
keit des Staats, die ganze Verwaltung eine Polizei zu nennen. Es
könnte ſich alſo nur darum handeln, jene negative Seite der Ver-
waltung, von der poſitiven geſchieden, als ein innerlich und äußerlich
ſelbſtändiges Gebiet aufzuſtellen, und die alte Unterſcheidung zwiſchen
Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei damit wieder ins Leben zu rufen.

Offenbar nun iſt das für das ganze Gebiet der Verwaltung nicht
thunlich. Denn in vielen Theilen der letzteren iſt die negative Seite
von der poſitiven gar nicht zu ſcheiden, wie z. B. bei dem Fremden-
weſen, beim Eherecht, bei dem Sanitätsweſen, bei der Vormundſchaft,
bei hundert andern Dingen. Hier iſt die Ordnung, welche durch das
Verwaltungsrecht gilt, zugleich der Schutz gegen die üblen Folgen der
Unordnung. Es iſt in allen dieſen Fällen geradezu unmöglich zu ſagen,
was dem Gedanken einer Sicherheits- und dem einer Wohlfahrtspolizei
entſpräche.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0094" n="72"/>
wegs eine tiefgreifende. Das Ergebniß i&#x017F;t im Allgemeinen, daß die<lb/>
Auffa&#x017F;&#x017F;ung der Verwaltung als &#x201E;Polizei&#x201C; ver&#x017F;chwindet, und der ethi&#x017F;chen<lb/>
und organi&#x017F;chen Auffa&#x017F;&#x017F;ung der &#x201E;Verwaltung&#x201C; und der &#x201E;Verwaltungs-<lb/>
lehre&#x201C; Platz macht. Das i&#x017F;t ganz ohne Zweifel un&#x017F;er heutiger Zu&#x017F;tand.</p><lb/>
                  <p>An die&#x017F;en Zu&#x017F;tand knüpft &#x017F;ich nun die Frage, ob es denn noch<lb/>
und in welchem Sinne, in der heutigen Verwaltungslehre eine &#x201E;Polizei-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft&#x201C; mit einem be&#x017F;onderen Inhalt geben könne?</p>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head><hi rendition="#aq">c)</hi><hi rendition="#g">Der heutige Begriff und Inhalt einer Polizeiwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft</hi>.</head><lb/>
                  <p>Wir glauben die Antwort auf die obige Frage, und die Be&#x017F;tim-<lb/>
mung de&#x017F;&#x017F;en, was wir künftig noch als Polizeiwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft anerkennen,<lb/>
leicht geben zu können.</p><lb/>
                  <p>Die Polizei als die negative, &#x017F;chützende Thätigkeit der Verwaltung<lb/>
i&#x017F;t und bleibt ein immanenter Theil der ganzen Verwaltung, und i&#x017F;t<lb/>
daher nicht bloß principiell, &#x017F;ondern auch that&#x017F;ächlich in jedem Gebiete<lb/>
der letzteren enthalten. Die Form nun, in der &#x017F;ie zur Er&#x017F;cheinung<lb/>
kommt, oder ihre Vollziehung gegenüber dem Einzelnen, i&#x017F;t kein Theil<lb/>
der innern Verwaltungslehre, &#x017F;ondern ein Theil der vollziehenden<lb/>
Gewalt. Die Dar&#x017F;tellung der&#x017F;elben gehört daher der Lehre von der<lb/>
vollziehenden Gewalt, und hat in der letzteren bereits ihren Platz ge-<lb/>
funden. Es kann &#x017F;ich daher nur fragen, ob der <hi rendition="#g">Inhalt</hi> der polizei-<lb/>
lichen Aufgabe es möglich macht, von einer <hi rendition="#g">eigenen</hi> Polizeiwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
ferner zu reden.</p><lb/>
                  <p>Nun i&#x017F;t es klar, daß man, wenn man das will, die &#x017F;chützende<lb/>
Thätigkeit der Verwaltung von der fördernden <hi rendition="#g">&#x017F;cheiden</hi> müßte. Es<lb/>
i&#x017F;t ein ab&#x017F;oluter Wider&#x017F;pruch mit dem oben dargelegten innern We&#x017F;en<lb/>
der Polizei oder der auf die Begränzung der Kräfte gerichteten Thätig-<lb/>
keit des Staats, die <hi rendition="#g">ganze</hi> Verwaltung eine Polizei zu nennen. Es<lb/>
könnte &#x017F;ich al&#x017F;o nur darum handeln, jene negative Seite der Ver-<lb/>
waltung, von der po&#x017F;itiven ge&#x017F;chieden, als ein innerlich und äußerlich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tändiges Gebiet aufzu&#x017F;tellen, und die alte Unter&#x017F;cheidung zwi&#x017F;chen<lb/>
Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei damit wieder ins Leben zu rufen.</p><lb/>
                  <p>Offenbar nun i&#x017F;t das für das <hi rendition="#g">ganze</hi> Gebiet der Verwaltung <hi rendition="#g">nicht</hi><lb/>
thunlich. Denn in vielen Theilen der letzteren i&#x017F;t die negative Seite<lb/>
von der po&#x017F;itiven gar nicht zu &#x017F;cheiden, wie z. B. bei dem Fremden-<lb/>
we&#x017F;en, beim Eherecht, bei dem Sanitätswe&#x017F;en, bei der Vormund&#x017F;chaft,<lb/>
bei hundert andern Dingen. Hier i&#x017F;t die Ordnung, welche durch das<lb/>
Verwaltungsrecht gilt, <hi rendition="#g">zugleich</hi> der Schutz gegen die üblen Folgen der<lb/>
Unordnung. Es i&#x017F;t in allen die&#x017F;en Fällen geradezu unmöglich zu &#x017F;agen,<lb/>
was dem Gedanken einer Sicherheits- und dem einer Wohlfahrtspolizei<lb/>
ent&#x017F;präche.</p><lb/>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0094] wegs eine tiefgreifende. Das Ergebniß iſt im Allgemeinen, daß die Auffaſſung der Verwaltung als „Polizei“ verſchwindet, und der ethiſchen und organiſchen Auffaſſung der „Verwaltung“ und der „Verwaltungs- lehre“ Platz macht. Das iſt ganz ohne Zweifel unſer heutiger Zuſtand. An dieſen Zuſtand knüpft ſich nun die Frage, ob es denn noch und in welchem Sinne, in der heutigen Verwaltungslehre eine „Polizei- wiſſenſchaft“ mit einem beſonderen Inhalt geben könne? c) Der heutige Begriff und Inhalt einer Polizeiwiſſenſchaft. Wir glauben die Antwort auf die obige Frage, und die Beſtim- mung deſſen, was wir künftig noch als Polizeiwiſſenſchaft anerkennen, leicht geben zu können. Die Polizei als die negative, ſchützende Thätigkeit der Verwaltung iſt und bleibt ein immanenter Theil der ganzen Verwaltung, und iſt daher nicht bloß principiell, ſondern auch thatſächlich in jedem Gebiete der letzteren enthalten. Die Form nun, in der ſie zur Erſcheinung kommt, oder ihre Vollziehung gegenüber dem Einzelnen, iſt kein Theil der innern Verwaltungslehre, ſondern ein Theil der vollziehenden Gewalt. Die Darſtellung derſelben gehört daher der Lehre von der vollziehenden Gewalt, und hat in der letzteren bereits ihren Platz ge- funden. Es kann ſich daher nur fragen, ob der Inhalt der polizei- lichen Aufgabe es möglich macht, von einer eigenen Polizeiwiſſenſchaft ferner zu reden. Nun iſt es klar, daß man, wenn man das will, die ſchützende Thätigkeit der Verwaltung von der fördernden ſcheiden müßte. Es iſt ein abſoluter Widerſpruch mit dem oben dargelegten innern Weſen der Polizei oder der auf die Begränzung der Kräfte gerichteten Thätig- keit des Staats, die ganze Verwaltung eine Polizei zu nennen. Es könnte ſich alſo nur darum handeln, jene negative Seite der Ver- waltung, von der poſitiven geſchieden, als ein innerlich und äußerlich ſelbſtändiges Gebiet aufzuſtellen, und die alte Unterſcheidung zwiſchen Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei damit wieder ins Leben zu rufen. Offenbar nun iſt das für das ganze Gebiet der Verwaltung nicht thunlich. Denn in vielen Theilen der letzteren iſt die negative Seite von der poſitiven gar nicht zu ſcheiden, wie z. B. bei dem Fremden- weſen, beim Eherecht, bei dem Sanitätsweſen, bei der Vormundſchaft, bei hundert andern Dingen. Hier iſt die Ordnung, welche durch das Verwaltungsrecht gilt, zugleich der Schutz gegen die üblen Folgen der Unordnung. Es iſt in allen dieſen Fällen geradezu unmöglich zu ſagen, was dem Gedanken einer Sicherheits- und dem einer Wohlfahrtspolizei entſpräche.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/94
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/94>, abgerufen am 21.11.2024.