Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Körper ruht in dem großen Garten des Schlosses,
man muß sich durch Dornenheken hindurch win-
den, wenn man das schöne Grabmahl der unglück-
lichen Liebe näher betrachten will. Es stellt die
Ruinen eines Tempels vor, der wahrscheinlich
einst der Liebe geheiligt war. Die Statuen des
Amors, des Hymen, und der Venus liegen am
Eingange verstümmelt, die Fackel des Hymen,
die Pfeile des Amors, die schnäbelnden Tauben
der Venus, sind zerbrochen. Epheu und Winter-
grün kriechen auf den Ruinen umher, und werden
bald alles bedecken. Viele Turteltauben hecken in
den Höhlen und Löchern. Das freche Gelächter
des buhlenden Taubers, kontrastirt mit der tiefen
Stille, welche in diesen Ruinen herrscht, aber der
klagende schmachtende Ruf der verlaßnen Täubin,
erinnert lebhaft an die Unglückliche, welche hier
ruht.



Franz L -- r.


Baron M -- besaß großen Reichthum und viele
Güter. Er war von früher Jugend an ein Lieb-
ling des sonst so veränderlichen und launischen Schick-
sals, jede seiner Unternehmungen ward mit dem
herrlichsten Erfolge gekrönt, jeder seiner oft küh-

Koͤrper ruht in dem großen Garten des Schloſſes,
man muß ſich durch Dornenheken hindurch win-
den, wenn man das ſchoͤne Grabmahl der ungluͤck-
lichen Liebe naͤher betrachten will. Es ſtellt die
Ruinen eines Tempels vor, der wahrſcheinlich
einſt der Liebe geheiligt war. Die Statuen des
Amors, des Hymen, und der Venus liegen am
Eingange verſtuͤmmelt, die Fackel des Hymen,
die Pfeile des Amors, die ſchnaͤbelnden Tauben
der Venus, ſind zerbrochen. Epheu und Winter-
gruͤn kriechen auf den Ruinen umher, und werden
bald alles bedecken. Viele Turteltauben hecken in
den Hoͤhlen und Loͤchern. Das freche Gelaͤchter
des buhlenden Taubers, kontraſtirt mit der tiefen
Stille, welche in dieſen Ruinen herrſcht, aber der
klagende ſchmachtende Ruf der verlaßnen Taͤubin,
erinnert lebhaft an die Ungluͤckliche, welche hier
ruht.



Franz L — r.


Baron M — beſaß großen Reichthum und viele
Guͤter. Er war von fruͤher Jugend an ein Lieb-
ling des ſonſt ſo veraͤnderlichen und launiſchen Schick-
ſals, jede ſeiner Unternehmungen ward mit dem
herrlichſten Erfolge gekroͤnt, jeder ſeiner oft kuͤh-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0074" n="66"/>
Ko&#x0364;rper ruht in dem großen Garten des Schlo&#x017F;&#x017F;es,<lb/>
man muß &#x017F;ich durch Dornenheken hindurch win-<lb/>
den, wenn man das &#x017F;cho&#x0364;ne Grabmahl der unglu&#x0364;ck-<lb/>
lichen Liebe na&#x0364;her betrachten will. Es &#x017F;tellt die<lb/>
Ruinen eines Tempels vor, der wahr&#x017F;cheinlich<lb/>
ein&#x017F;t der Liebe geheiligt war. Die Statuen des<lb/>
Amors, des Hymen, und der Venus liegen am<lb/>
Eingange ver&#x017F;tu&#x0364;mmelt, die Fackel des Hymen,<lb/>
die Pfeile des Amors, die &#x017F;chna&#x0364;belnden Tauben<lb/>
der Venus, &#x017F;ind zerbrochen. Epheu und Winter-<lb/>
gru&#x0364;n kriechen auf den Ruinen umher, und werden<lb/>
bald alles bedecken. Viele Turteltauben hecken in<lb/>
den Ho&#x0364;hlen und Lo&#x0364;chern. Das freche Gela&#x0364;chter<lb/>
des buhlenden Taubers, kontra&#x017F;tirt mit der tiefen<lb/>
Stille, welche in die&#x017F;en Ruinen herr&#x017F;cht, aber der<lb/>
klagende &#x017F;chmachtende Ruf der verlaßnen Ta&#x0364;ubin,<lb/>
erinnert lebhaft an die Unglu&#x0364;ckliche, welche hier<lb/>
ruht.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Franz</hi> L &#x2014; r.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#in">B</hi>aron M &#x2014; be&#x017F;aß großen Reichthum und viele<lb/>
Gu&#x0364;ter. Er war von fru&#x0364;her Jugend an ein Lieb-<lb/>
ling des &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o vera&#x0364;nderlichen und launi&#x017F;chen Schick-<lb/>
&#x017F;als, jede &#x017F;einer Unternehmungen ward mit dem<lb/>
herrlich&#x017F;ten Erfolge gekro&#x0364;nt, jeder &#x017F;einer oft ku&#x0364;h-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0074] Koͤrper ruht in dem großen Garten des Schloſſes, man muß ſich durch Dornenheken hindurch win- den, wenn man das ſchoͤne Grabmahl der ungluͤck- lichen Liebe naͤher betrachten will. Es ſtellt die Ruinen eines Tempels vor, der wahrſcheinlich einſt der Liebe geheiligt war. Die Statuen des Amors, des Hymen, und der Venus liegen am Eingange verſtuͤmmelt, die Fackel des Hymen, die Pfeile des Amors, die ſchnaͤbelnden Tauben der Venus, ſind zerbrochen. Epheu und Winter- gruͤn kriechen auf den Ruinen umher, und werden bald alles bedecken. Viele Turteltauben hecken in den Hoͤhlen und Loͤchern. Das freche Gelaͤchter des buhlenden Taubers, kontraſtirt mit der tiefen Stille, welche in dieſen Ruinen herrſcht, aber der klagende ſchmachtende Ruf der verlaßnen Taͤubin, erinnert lebhaft an die Ungluͤckliche, welche hier ruht. Franz L — r. Baron M — beſaß großen Reichthum und viele Guͤter. Er war von fruͤher Jugend an ein Lieb- ling des ſonſt ſo veraͤnderlichen und launiſchen Schick- ſals, jede ſeiner Unternehmungen ward mit dem herrlichſten Erfolge gekroͤnt, jeder ſeiner oft kuͤh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/74
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/74>, abgerufen am 30.12.2024.