Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.Das dritte Capitel. dasjenige/ was er mir schuldig ist/ mit versichertem gewissen annehmen/ ob ichwol nicht versichert bin/ daß ich nicht von ihm aus dergleichen mitteln bezah- let werde/ die ein fremdes gut bey ihm wären: und also auch in andern stücken. Also muß eines diese würckung vornehmenden Medici gewissen versichert seyn/ daß er dieselbe aus sorge vor der mutter leben zu verrichten habe/ ob er wol nicht unfehlbar versichert ist/ daß das kind wahrhafftig todt seye. Wann auch sonsten die moralisten in den etwas zweiffelhafften fällen einen unter- schied machen/ unter dem was das sicherste oder das mit besten rationibus be- gründete seye/ da sie bald dieses bald jenes vorziehen/ so mögen wir sagen/ daß hie die operatio, welche die mutter erhält/ beydes zugleich/ nemlich das sicher- ste und doch auch dabey bewehrteste seye/ das gegentheil aber so vielmehr ge- fahr als auch wichtigere gründe gegen sich habe. Wolte man aber weiter instanz machen/ weil gleichwol noch einiger SECTIO VI. An einen Juristen/ der sich von seinem kost-herrn injuriiret zu seyn einbildete/ und darüber einen proceß mit demselben anheben wolte. SO viel hertzlicher mir desselben geistlich- und leibliches wolwesen ange- als
Das dritte Capitel. dasjenige/ was er mir ſchuldig iſt/ mit verſichertem gewiſſen annehmen/ ob ichwol nicht verſichert bin/ daß ich nicht von ihm aus dergleichen mitteln bezah- let werde/ die ein fremdes gut bey ihm waͤren: und alſo auch in andern ſtuͤcken. Alſo muß eines dieſe wuͤrckung vornehmenden Medici gewiſſen verſichert ſeyn/ daß er dieſelbe aus ſorge vor der mutter leben zu verrichten habe/ ob er wol nicht unfehlbar verſichert iſt/ daß das kind wahrhafftig todt ſeye. Wann auch ſonſten die moraliſten in den etwas zweiffelhafften faͤllen einen unter- ſchied machen/ unter dem was das ſicherſte oder das mit beſten rationibus be- gruͤndete ſeye/ da ſie bald dieſes bald jenes vorziehen/ ſo moͤgen wir ſagen/ daß hie die operatio, welche die mutter erhaͤlt/ beydes zugleich/ nemlich das ſicher- ſte und doch auch dabey bewehrteſte ſeye/ das gegentheil aber ſo vielmehr ge- fahr als auch wichtigere gruͤnde gegen ſich habe. Wolte man aber weiter inſtanz machen/ weil gleichwol noch einiger SECTIO VI. An einen Juriſten/ der ſich von ſeinem koſt-herrn injuriiret zu ſeyn einbildete/ und daruͤber einen proceß mit demſelben anheben wolte. SO viel hertzlicher mir deſſelben geiſtlich- und leibliches wolweſen ange- als
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Das dritte Capitel.
dasjenige/ was er mir ſchuldig iſt/ mit verſichertem gewiſſen annehmen/ ob ich
wol nicht verſichert bin/ daß ich nicht von ihm aus dergleichen mitteln bezah-
let werde/ die ein fremdes gut bey ihm waͤren: und alſo auch in andern ſtuͤcken.
Alſo muß eines dieſe wuͤrckung vornehmenden Medici gewiſſen verſichert
ſeyn/ daß er dieſelbe aus ſorge vor der mutter leben zu verrichten habe/ ob er
wol nicht unfehlbar verſichert iſt/ daß das kind wahrhafftig todt ſeye. Wann
auch ſonſten die moraliſten in den etwas zweiffelhafften faͤllen einen unter-
ſchied machen/ unter dem was das ſicherſte oder das mit beſten rationibus be-
gruͤndete ſeye/ da ſie bald dieſes bald jenes vorziehen/ ſo moͤgen wir ſagen/ daß
hie die operatio, welche die mutter erhaͤlt/ beydes zugleich/ nemlich das ſicher-
ſte und doch auch dabey bewehrteſte ſeye/ das gegentheil aber ſo vielmehr ge-
fahr als auch wichtigere gruͤnde gegen ſich habe.
Wolte man aber weiter inſtanz machen/ weil gleichwol noch einiger
zweiffel uͤbrig waͤre/ muͤſte man gantz ſtill ſtehen/ und nichts thun/ als darmit
man am wenigſten ſuͤndigte/ ſo iſt nicht allein immer zu wiederholen/ daß be-
reits angedeutet/ wie man/ als lang muͤglich iſt/ warten muͤſſe. Aber wo der
eigenlich bedingte caſus ſich ereignet/ hat ſolches ſtillſtehen nicht mehr platz/
dieweil daſſelbe ſelbs eine ſuͤnde waͤre/ die mutter gewiß zu toͤdten (dann wen
ich nicht rette/ da ich kan/ den toͤdte ich in dem gericht GOttes.) Alſo da es
auf dieſe noth kommt/ entweder in gefahr zu ſeyn der toͤdtung einer frucht/ die
man doch nicht anders als vor todt glaubet/ und wo ſie lebte mit der mutter/
der groͤſſeſten wahrſcheinlichkeit nach/ dannoch ſterben muß/ oder wiſſentlich
und ohne einigen zweiffel/ die noch zu retten nuͤtzliche dem todt uͤberlaſſen/ ſo
muß einmal dieſes letzte die andre forcht uͤberwiegen: und kan derjenige ver-
ſichert ſeyn/ der nach allen obgedachten bedingungen aus wahrer begierde die
eine perſon dem gewiſſen todt zu entreiſſen/ moͤchte der frucht unwiſſend ſcha-
den gethan haben/ daß ihm der HErr/ deſſen willen er mit einfaͤltigem hertzen
zu thun geſucht hat/ ſolches nicht zurechnen/ ſondern ihm vielmehr/ was er ge-
than/ gefallen laſſen werde. Er mache uns aber in allen ſtuͤcken ſeines wil-
lens gewiß/ nichts wider denſelben zu thun/ oder ſehe unſere unwiſſenheit/ da
wir nicht weiter zu kommen vermoͤgen/ in gnaden an.
SECTIO VI.
An einen Juriſten/ der ſich von ſeinem koſt-herrn
injuriiret zu ſeyn einbildete/ und daruͤber einen proceß
mit demſelben anheben wolte.
SO viel hertzlicher mir deſſelben geiſtlich- und leibliches wolweſen ange-
legen/ ſo viel weher hat es mir biß daher gethan/ daß von guter zeit mer-
cken muͤſſen/ daß derſelbe ſeine maaß gantz anders zu nehmen ſcheinet/
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