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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
straffamt mit freyen munde zu führen: wo ieder immer sorgen müste/ wo man ei-
nigen fehler in den umständen dessen/ was er in der sache recht nach seinem gewis-
sen gethan/ anträffe/ daß nicht eben alles auffs vorsichtigste von ihm geschehen wä-
re/ so stehe er so bald in gefahr/ nicht nur des unwillens bey der gemeinde/ sondern
auch einer solchen schweren straff. Wird also/ wer etwas schwach ist/ und son-
derlich sorget/ nicht alle nöthige klugheit in solchem stücke zu haben/ lieber seine zu-
hörer gehen lassen/ wie sie gehen/ als sich in solche gefahr stürtzen: damit er aber
so wohl seine eigne seele verletzte/ als auch mancher anderer seelen-schad dadurch
geschehe. Da ich hingegen an dergleichen nicht gern schuld haben wolte/ durch
decretirung einer solchen harten straff die Prediger in ihrem straffamt allzuschüch-
tern zu machen/ welche ohne des fast mehr bedurffen auffgemuntert zu werden/
und derjenigen fast immer mehr sind/ die zu wenig als zu viel thun.
Aus solchen ursachen würde ich nimmermehr zu einer poenal-translation rathen.

6. Wo aber aus solcher gelegenheit das vertrauen und liebe zwischen dem
Prediger und der gemeinde oder dero grösten theil gefallen wäre/ man auch sehe/
daß mit allem angewandten fleiß (dazu man denn verbunden ist) die gemüther nicht
in eine solche harmonie gebracht werden könten/ daß die erbauung deswegen
nicht noth lidte/ so würde auff ein ander expediens zu dencken seyn: welches ich
dieses achtete zu seyn/ daß man wartete/ biß eine andere der vorigen gleiche oder
bessere stelle vocant würde/ die alsdenn dem Prediger/ ohne den schein einer straf-
fe/ gegeben würde/ bey dero er/ nachdem er an einem ort erfahre/ wie viel an der
fürsichtigkeit gelegen seye/ sein amt vollends vorsichtiger und behutsamer auch
fruchtbahrer verrichtete.

Der HErr gebe in allen stücken die weisheit/ die aus ihm ist/ und zeige was
zu seinen ehren und der kirchen besten das ersprißlichste seye.

SECTIO. VIII.
Von dem christ-spiel. Nöthige regeln der klugheit
in dem straffamt/ und anrichtung guter
anstallten.

SO sehr mich betrübet hat/ aus dessen letztem von dem 27. pass. zu verneh-
men von der aus gelegenheit des so genannten heiligen Christs entstande-
nen ungelegenheit und mißfelligkeit/ so hertzlich hat mich erfreuet/ da hin-
wieder von dero glücklichen beylegung vergnügliche nachricht empfangen habe/
davor billich die göttliche güte preise. Ob nun also wol eben um dieser ursach wil-
len/ nachdem der stein gehoben/ die beantwortung unterlassen könte/ so habe doch

nicht

Das andere Capitel.
ſtraffamt mit freyen munde zu fuͤhren: wo ieder immer ſorgen muͤſte/ wo man ei-
nigen fehler in den umſtaͤnden deſſen/ was er in der ſache recht nach ſeinem gewiſ-
ſen gethan/ antraͤffe/ daß nicht eben alles auffs vorſichtigſte von ihm geſchehen waͤ-
re/ ſo ſtehe er ſo bald in gefahr/ nicht nur des unwillens bey der gemeinde/ ſondern
auch einer ſolchen ſchweren ſtraff. Wird alſo/ wer etwas ſchwach iſt/ und ſon-
derlich ſorget/ nicht alle noͤthige klugheit in ſolchem ſtuͤcke zu haben/ lieber ſeine zu-
hoͤrer gehen laſſen/ wie ſie gehen/ als ſich in ſolche gefahr ſtuͤrtzen: damit er aber
ſo wohl ſeine eigne ſeele verletzte/ als auch mancher anderer ſeelen-ſchad dadurch
geſchehe. Da ich hingegen an dergleichen nicht gern ſchuld haben wolte/ durch
decretirung einer ſolchen harten ſtraff die Prediger in ihrem ſtraffamt allzuſchuͤch-
tern zu machen/ welche ohne des faſt mehr bedurffen auffgemuntert zu werden/
und derjenigen faſt immer mehr ſind/ die zu wenig als zu viel thun.
Aus ſolchen urſachen wuͤrde ich nimmermehr zu einer pœnal-translation rathen.

6. Wo aber aus ſolcher gelegenheit das vertrauen und liebe zwiſchen dem
Prediger und der gemeinde oder dero groͤſten theil gefallen waͤre/ man auch ſehe/
daß mit allem angewandten fleiß (dazu man denn verbunden iſt) die gemuͤther nicht
in eine ſolche harmonie gebracht werden koͤnten/ daß die erbauung deswegen
nicht noth lidte/ ſo wuͤrde auff ein ander expediens zu dencken ſeyn: welches ich
dieſes achtete zu ſeyn/ daß man wartete/ biß eine andere der vorigen gleiche oder
beſſere ſtelle vocant wuͤrde/ die alsdenn dem Prediger/ ohne den ſchein einer ſtraf-
fe/ gegeben wuͤrde/ bey dero er/ nachdem er an einem ort erfahre/ wie viel an der
fuͤrſichtigkeit gelegen ſeye/ ſein amt vollends vorſichtiger und behutſamer auch
fruchtbahrer verrichtete.

Der HErr gebe in allen ſtuͤcken die weisheit/ die aus ihm iſt/ und zeige was
zu ſeinen ehren und der kirchen beſten das erſprißlichſte ſeye.

SECTIO. VIII.
Von dem chriſt-ſpiel. Noͤthige regeln der klugheit
in dem ſtraffamt/ und anrichtung guter
anſtallten.

SO ſehr mich betruͤbet hat/ aus deſſen letztem von dem 27. paſſ. zu verneh-
men von der aus gelegenheit des ſo genannten heiligen Chriſts entſtande-
nen ungelegenheit und mißfelligkeit/ ſo hertzlich hat mich erfreuet/ da hin-
wieder von dero gluͤcklichen beylegung vergnuͤgliche nachricht empfangen habe/
davor billich die goͤttliche guͤte preiſe. Ob nun alſo wol eben um dieſer urſach wil-
len/ nachdem der ſtein gehoben/ die beantwortung unterlaſſen koͤnte/ ſo habe doch

nicht
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[30/0830] Das andere Capitel. ſtraffamt mit freyen munde zu fuͤhren: wo ieder immer ſorgen muͤſte/ wo man ei- nigen fehler in den umſtaͤnden deſſen/ was er in der ſache recht nach ſeinem gewiſ- ſen gethan/ antraͤffe/ daß nicht eben alles auffs vorſichtigſte von ihm geſchehen waͤ- re/ ſo ſtehe er ſo bald in gefahr/ nicht nur des unwillens bey der gemeinde/ ſondern auch einer ſolchen ſchweren ſtraff. Wird alſo/ wer etwas ſchwach iſt/ und ſon- derlich ſorget/ nicht alle noͤthige klugheit in ſolchem ſtuͤcke zu haben/ lieber ſeine zu- hoͤrer gehen laſſen/ wie ſie gehen/ als ſich in ſolche gefahr ſtuͤrtzen: damit er aber ſo wohl ſeine eigne ſeele verletzte/ als auch mancher anderer ſeelen-ſchad dadurch geſchehe. Da ich hingegen an dergleichen nicht gern ſchuld haben wolte/ durch decretirung einer ſolchen harten ſtraff die Prediger in ihrem ſtraffamt allzuſchuͤch- tern zu machen/ welche ohne des faſt mehr bedurffen auffgemuntert zu werden/ und derjenigen faſt immer mehr ſind/ die zu wenig als zu viel thun. Aus ſolchen urſachen wuͤrde ich nimmermehr zu einer pœnal-translation rathen. 6. Wo aber aus ſolcher gelegenheit das vertrauen und liebe zwiſchen dem Prediger und der gemeinde oder dero groͤſten theil gefallen waͤre/ man auch ſehe/ daß mit allem angewandten fleiß (dazu man denn verbunden iſt) die gemuͤther nicht in eine ſolche harmonie gebracht werden koͤnten/ daß die erbauung deswegen nicht noth lidte/ ſo wuͤrde auff ein ander expediens zu dencken ſeyn: welches ich dieſes achtete zu ſeyn/ daß man wartete/ biß eine andere der vorigen gleiche oder beſſere ſtelle vocant wuͤrde/ die alsdenn dem Prediger/ ohne den ſchein einer ſtraf- fe/ gegeben wuͤrde/ bey dero er/ nachdem er an einem ort erfahre/ wie viel an der fuͤrſichtigkeit gelegen ſeye/ ſein amt vollends vorſichtiger und behutſamer auch fruchtbahrer verrichtete. Der HErr gebe in allen ſtuͤcken die weisheit/ die aus ihm iſt/ und zeige was zu ſeinen ehren und der kirchen beſten das erſprißlichſte ſeye. SECTIO. VIII. Von dem chriſt-ſpiel. Noͤthige regeln der klugheit in dem ſtraffamt/ und anrichtung guter anſtallten. SO ſehr mich betruͤbet hat/ aus deſſen letztem von dem 27. paſſ. zu verneh- men von der aus gelegenheit des ſo genannten heiligen Chriſts entſtande- nen ungelegenheit und mißfelligkeit/ ſo hertzlich hat mich erfreuet/ da hin- wieder von dero gluͤcklichen beylegung vergnuͤgliche nachricht empfangen habe/ davor billich die goͤttliche guͤte preiſe. Ob nun alſo wol eben um dieſer urſach wil- len/ nachdem der ſtein gehoben/ die beantwortung unterlaſſen koͤnte/ ſo habe doch nicht

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/830>, abgerufen am 21.11.2024.