Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

zu seyn: denn alle übrigen waren leidlich artig. Ich
trat ein und legte meinen Tornister ab. Es war
Zweydunkel, zwischen Hund und Wolf. "Was will der
Herr?" fragte mich ein ziemlich dicker handfester
Kerl, der bey dem Präsidenten der italiänischen Kanz¬
ley in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien,
so ganz sprach er seine Sprache und seinen Dialekt.
Du weisst, dass sehr oft ein Minister das Talent hat,
durch sein wirksames Beyspiel die Grobheit durch die
ganze Provinz zu verbreiten. "Was will der Herr?"
Ich trat ihm etwas näher und sagte: Essen, trinken
und schlafen. "Das erste kann er, das zweyte nicht."
Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus? "Nicht
für Ihn." Für wen denn sonst? "Für andere ehrli¬
che Leute." Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrli¬
cher Mann. "Geht mich nichts an." Aber es ist
Abend, ich kann nicht weiter und werde also wohl
hier bleiben müssen, sagte ich etwas bestimmt. Hier
gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine beyden
Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit je¬
der auf Einmahl ein halbes Dutzend solcher Knoten¬
stöcke zerbrechen wollte, wie ich trug. "Mach der
Herr nur kein Federlesens, und pack' Er sich; oder
ich rufe meine Knechte, da soll die Geschichte bald
zu Ende seyn." Er deutete grimmig auf die Thür,
und ging selbst hinaus. Ich wandte mich, als er hin¬
aus war, an einen jungen Menschen, der der Sohn
vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft
um die Ursache einer solchen Behandlung. Er ant¬
wortete mir nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht
trauete, so möchte man meine Sachen in Verwahrung

zu seyn: denn alle übrigen waren leidlich artig. Ich
trat ein und legte meinen Tornister ab. Es war
Zweydunkel, zwischen Hund und Wolf. „Was will der
Herr?“ fragte mich ein ziemlich dicker handfester
Kerl, der bey dem Präsidenten der italiänischen Kanz¬
ley in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien,
so ganz sprach er seine Sprache und seinen Dialekt.
Du weiſst, daſs sehr oft ein Minister das Talent hat,
durch sein wirksames Beyspiel die Grobheit durch die
ganze Provinz zu verbreiten. „Was will der Herr?“
Ich trat ihm etwas näher und sagte: Essen, trinken
und schlafen. „Das erste kann er, das zweyte nicht.“
Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus? „Nicht
für Ihn.“ Für wen denn sonst? „Für andere ehrli¬
che Leute.“ Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrli¬
cher Mann. „Geht mich nichts an.“ Aber es ist
Abend, ich kann nicht weiter und werde also wohl
hier bleiben müssen, sagte ich etwas bestimmt. Hier
gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine beyden
Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit je¬
der auf Einmahl ein halbes Dutzend solcher Knoten¬
stöcke zerbrechen wollte, wie ich trug. „Mach der
Herr nur kein Federlesens, und pack' Er sich; oder
ich rufe meine Knechte, da soll die Geschichte bald
zu Ende seyn.“ Er deutete grimmig auf die Thür,
und ging selbst hinaus. Ich wandte mich, als er hin¬
aus war, an einen jungen Menschen, der der Sohn
vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft
um die Ursache einer solchen Behandlung. Er ant¬
wortete mir nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht
trauete, so möchte man meine Sachen in Verwahrung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0090" n="64"/>
zu seyn: denn alle übrigen waren leidlich artig. Ich<lb/>
trat ein und legte meinen Tornister ab. Es war<lb/>
Zweydunkel, zwischen Hund und Wolf. &#x201E;Was will der<lb/>
Herr?&#x201C; fragte mich ein ziemlich dicker handfester<lb/>
Kerl, der bey dem Präsidenten der italiänischen Kanz¬<lb/>
ley in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien,<lb/>
so ganz sprach er seine Sprache und seinen Dialekt.<lb/>
Du wei&#x017F;st, da&#x017F;s sehr oft ein Minister das Talent hat,<lb/>
durch sein wirksames Beyspiel die Grobheit durch die<lb/>
ganze Provinz zu verbreiten. &#x201E;Was will der Herr?&#x201C;<lb/>
Ich trat ihm etwas näher und sagte: Essen, trinken<lb/>
und schlafen. &#x201E;Das erste kann er, das zweyte nicht.&#x201C;<lb/>
Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus? &#x201E;Nicht<lb/>
für Ihn.&#x201C; Für wen denn sonst? &#x201E;Für andere ehrli¬<lb/>
che Leute.&#x201C; Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrli¬<lb/>
cher Mann. &#x201E;Geht mich nichts an.&#x201C; Aber es ist<lb/>
Abend, ich kann nicht weiter und werde also wohl<lb/>
hier bleiben müssen, sagte ich etwas bestimmt. Hier<lb/>
gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine beyden<lb/>
Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit je¬<lb/>
der auf Einmahl ein halbes Dutzend solcher Knoten¬<lb/>
stöcke zerbrechen wollte, wie ich trug. &#x201E;Mach der<lb/>
Herr nur kein Federlesens, und pack' Er sich; oder<lb/>
ich rufe meine Knechte, da soll die Geschichte bald<lb/>
zu Ende seyn.&#x201C; Er deutete grimmig auf die Thür,<lb/>
und ging selbst hinaus. Ich wandte mich, als er hin¬<lb/>
aus war, an einen jungen Menschen, der der Sohn<lb/>
vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft<lb/>
um die Ursache einer solchen Behandlung. Er ant¬<lb/>
wortete mir nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht<lb/>
trauete, so möchte man meine Sachen in Verwahrung<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0090] zu seyn: denn alle übrigen waren leidlich artig. Ich trat ein und legte meinen Tornister ab. Es war Zweydunkel, zwischen Hund und Wolf. „Was will der Herr?“ fragte mich ein ziemlich dicker handfester Kerl, der bey dem Präsidenten der italiänischen Kanz¬ ley in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien, so ganz sprach er seine Sprache und seinen Dialekt. Du weiſst, daſs sehr oft ein Minister das Talent hat, durch sein wirksames Beyspiel die Grobheit durch die ganze Provinz zu verbreiten. „Was will der Herr?“ Ich trat ihm etwas näher und sagte: Essen, trinken und schlafen. „Das erste kann er, das zweyte nicht.“ Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus? „Nicht für Ihn.“ Für wen denn sonst? „Für andere ehrli¬ che Leute.“ Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrli¬ cher Mann. „Geht mich nichts an.“ Aber es ist Abend, ich kann nicht weiter und werde also wohl hier bleiben müssen, sagte ich etwas bestimmt. Hier gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine beyden Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit je¬ der auf Einmahl ein halbes Dutzend solcher Knoten¬ stöcke zerbrechen wollte, wie ich trug. „Mach der Herr nur kein Federlesens, und pack' Er sich; oder ich rufe meine Knechte, da soll die Geschichte bald zu Ende seyn.“ Er deutete grimmig auf die Thür, und ging selbst hinaus. Ich wandte mich, als er hin¬ aus war, an einen jungen Menschen, der der Sohn vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft um die Ursache einer solchen Behandlung. Er ant¬ wortete mir nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht trauete, so möchte man meine Sachen in Verwahrung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/90
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/90>, abgerufen am 26.04.2024.