Von jenen Bildern und Gestalten, deren sich die Sprache des Traumes, so wie die der Poesie und der höheren prophetischen Region als Worte bedienon, fin- den wir die Originale in der uns umgebenden Natur, und diese erscheint uns schon hierinnen als eine ver- körperte Traumwelt, eine prophetische Sprache in le- bendigen Hieroglyphengestalten. Der unbekannte Phi- losoph *) scheint deßhalb nicht ohne Grund die Natur mit einer Somnambüle, einer Traumrednerin zu ver- gleichen, welche überall nach derselben innern Noth- wendigkeit, nach demselben bewußtlesen und blinden Triebe wirke, aus welchem die Handlungen eines Nacht- wandlers hervorgehen, und deren Producte -- in allen ihren mannigfachen Geschlechtern und Arten, den Bil- dern unserer Träume gleichen, die an sich selber unwe- sentlich, erst durch das was sie bedeuten, was sie darstellen, Sinn und Wesenheit erhalten.
In der That, die gemeine teleologische Ansicht machet aus der Natur ein Ungeheuer, welches, damit es nur eine Beschäftigung habe, ewig in seinen eige- nen Eingeweiden wüthet; ein Caroussel, wo sich Katze und Maus, Maus und Katze, ewig in einem Kreise herumjagen, ohne dabey eigentlich "vom Flecke zum Zwecke" zu kommen. Wenn z. B. nach jener Ansicht ein Theil der untergeordneten Thierwelt nur dazu da ist, um von der höheren gesressen zu werden, diese hö-
here
*)Esprit des choses kumaines.
3. Die Symbolik der Natur.
Von jenen Bildern und Geſtalten, deren ſich die Sprache des Traumes, ſo wie die der Poeſie und der hoͤheren prophetiſchen Region als Worte bedienon, fin- den wir die Originale in der uns umgebenden Natur, und dieſe erſcheint uns ſchon hierinnen als eine ver- koͤrperte Traumwelt, eine prophetiſche Sprache in le- bendigen Hieroglyphengeſtalten. Der unbekannte Phi- loſoph *) ſcheint deßhalb nicht ohne Grund die Natur mit einer Somnambuͤle, einer Traumrednerin zu ver- gleichen, welche uͤberall nach derſelben innern Noth- wendigkeit, nach demſelben bewußtleſen und blinden Triebe wirke, aus welchem die Handlungen eines Nacht- wandlers hervorgehen, und deren Producte — in allen ihren mannigfachen Geſchlechtern und Arten, den Bil- dern unſerer Traͤume gleichen, die an ſich ſelber unwe- ſentlich, erſt durch das was ſie bedeuten, was ſie darſtellen, Sinn und Weſenheit erhalten.
In der That, die gemeine teleologiſche Anſicht machet aus der Natur ein Ungeheuer, welches, damit es nur eine Beſchaͤftigung habe, ewig in ſeinen eige- nen Eingeweiden wuͤthet; ein Carouſſel, wo ſich Katze und Maus, Maus und Katze, ewig in einem Kreiſe herumjagen, ohne dabey eigentlich „vom Flecke zum Zwecke‟ zu kommen. Wenn z. B. nach jener Anſicht ein Theil der untergeordneten Thierwelt nur dazu da iſt, um von der hoͤheren geſreſſen zu werden, dieſe hoͤ-
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*)Esprit des choses kumaines.
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3. Die Symbolik der Natur.
Von jenen Bildern und Geſtalten, deren ſich die
Sprache des Traumes, ſo wie die der Poeſie und der
hoͤheren prophetiſchen Region als Worte bedienon, fin-
den wir die Originale in der uns umgebenden Natur,
und dieſe erſcheint uns ſchon hierinnen als eine ver-
koͤrperte Traumwelt, eine prophetiſche Sprache in le-
bendigen Hieroglyphengeſtalten. Der unbekannte Phi-
loſoph *) ſcheint deßhalb nicht ohne Grund die Natur
mit einer Somnambuͤle, einer Traumrednerin zu ver-
gleichen, welche uͤberall nach derſelben innern Noth-
wendigkeit, nach demſelben bewußtleſen und blinden
Triebe wirke, aus welchem die Handlungen eines Nacht-
wandlers hervorgehen, und deren Producte — in allen
ihren mannigfachen Geſchlechtern und Arten, den Bil-
dern unſerer Traͤume gleichen, die an ſich ſelber unwe-
ſentlich, erſt durch das was ſie bedeuten, was ſie
darſtellen, Sinn und Weſenheit erhalten.
In der That, die gemeine teleologiſche Anſicht
machet aus der Natur ein Ungeheuer, welches, damit
es nur eine Beſchaͤftigung habe, ewig in ſeinen eige-
nen Eingeweiden wuͤthet; ein Carouſſel, wo ſich Katze
und Maus, Maus und Katze, ewig in einem Kreiſe
herumjagen, ohne dabey eigentlich „vom Flecke zum
Zwecke‟ zu kommen. Wenn z. B. nach jener Anſicht
ein Theil der untergeordneten Thierwelt nur dazu da
iſt, um von der hoͤheren geſreſſen zu werden, dieſe hoͤ-
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*) Esprit des choses kumaines.
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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/34>, abgerufen am 22.02.2025.
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