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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
Erleichterung der Geschäftsführung, eine Verminderung des Risikos, als einen Fortschritt
bezeichnet. Sie hat sich aber nicht überall vollzogen, in Deutschland zumal wenig;
man hat neuerdings auch eine Schwächung der betreffenden Großbetriebe in dieser
Teilung gesehen. Wo Kartelle sich bildeten, haben sie recht eigentlich den Absatz in ihre
Hand genommen.

Nun noch einige Zahlen über den Fortschritt des Großbetriebes: in Deutschland
hat man 1882 und 1895 etwas über 5 Mill. landwirtschaftliche Haupt- und Neben-
betriebe gezählt, wovon etwa 25000 Großbetriebe über 100 ha, 5--600 über 1000 ha
bewirtschaften; neben ihnen stehen 281000 größere Bauernbetriebe, welche 30--100 ha,
an mittleren und kleinen Bauernbetrieben je fast 1 Mill., welche 5--20 und 2--5 ha
bewirtschaften, und ca. 3 Mill. Parzellenbetriebe; von 1882--95 fand keine wesentliche
Veränderung statt; nur die beiden Gruppen der mittleren und kleinen Bauern wuchsen
um 35000 und 72000. An gewerblichen Großbetrieben mit über 50 Personen (in
Gärtnerei, Fischzucht, Gewerbe, Bergbau, Handel und Verkehr, wie sie unsere Gewerbe-
statistik zusammenfaßt) zählte man in Deutschland 1861 etwa 4000, 1875 7800,
1882 9900, 1895 18955; an Riesenbetrieben mit über 1000 Personen 1882 127,
1895 255; aber Post und Eisenbahn sind dabei nicht mitbegriffen; die Riesen-
betriebe wären um ein Fünftel zahlreicher, wenn die kombinierten Großunternehmungen
als ganze und nicht in ihren einzelnen Teilen gezählt wären. In den Großbetrieben
arbeiteten aber 1882 von 7 Mill. Personen 1,6, 1895 von 10 Mill. 3 Mill. Fügt
man noch die Mittelbetriebe von 6--50 Personen zu den Großbetrieben, so waren
diese Betriebe 1882--1895 von 121000 auf 210000, ihr Personal von 2,9
auf 5,4 Mill. Menschen gestiegen; mit der Post und den Eisenbahnen wären es
etwa 6 Mill. Betrugen die Allein- und Kleinbetriebe auch noch 1882 2,8 mit
4,3 Mill., 1895 2,9 mit 4,7 Mill. Menschen, so lag doch der persönliche Schwerpunkt
der gewerblichen Produktion schon 1882, noch mehr 1895 auf den größeren Betrieben
mit 6 und mehr Personen; ihrer Produktivkraft nach waren die großen Betriebe
natürlich weit überlegen, schon weil sie ganz anders mit Motoren und Kraftmaschinen
ausgestattet sind. Rechnet man die Pferdekraft in den Großbetrieben 1895 zu 15
Menschenkräften, so verfügten sie statt über 3 über 41 Mill. Kräfte, also über die
sechs- bis siebenfache Zahl der sämtlichen übrigen Gewerbebetriebe.

Daß eine weitere Zunahme des gewerblichen und handelsmäßigen Großbetriebes
zu erwarten steht, darüber kann nach den Veränderungen von 1882--95 kein Zweifel
sein; aber es ist schwer zu sagen, wo und in welchem Maße sie eintreten wird. Daß
aber auch der handwerksmäßige und hausindustrielle Betrieb, noch mehr der Mittel-
betrieb in breitem Maße sich erhalten wird, dafür sprechen alle Anzeichen.

In Großbritannien und den Vereinigten Staaten hat der Großbetrieb sich schon
weiter als in Deutschland ausgedehnt, Frankreich wird Deutschland nahe stehen, Öster-
reich, Rußland, Italien sind auf dieser Bahn noch erheblich zurück, noch viel mehr die
Länder der Halbkultur wie Japan, während in den europäischen Kolonien das Gewerbe
und der Handelsbetrieb sich rasch centralisieren.

143. Das gesellschaftliche Problem des Großbetriebes. Zwei bis
fünf Personen zu gemeinsamer Arbeit oder zu gemeinsamem Leben in dauernder Form
zu verbinden, ist immer schon nicht ganz leicht gewesen, wo nicht besondere sympathische
Bande, Unterordnungs- und Treuverhältnisse oder Derartiges sie verknüpfte. Aber zehn,
hundert, tausend so zu verknüpfen, daß sie ohne zu viel Reibung und Konflikte
zusammenwirken, sich in einander passen, einheitliche Zwecke harmonisch verfolgen, hat
bei allen Kennern des Lebens und der menschlichen Seele stets als ein sociales Kunst-
werk gegolten. Die Sippe und die patriarchalische Familie, später die Gemeinden, die
kirchlichen Genossenschaften, die militärischen Körper, endlich ganze Staaten zu organisieren,
das war stets ein schwieriges Problem, an dem oft Jahrhunderte vergeblich arbeiteten,
das erst nach langen Versuchen der Sitte, dem Recht, den Institutionen der höher stehenden
Rassen und Völker gelang. Sollte es leichter gewesen sein, Dutzende, Hunderte, jetzt
bereits Tausende im Großbetrieb zu einheitlicher Arbeit zu verbinden?

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Erleichterung der Geſchäftsführung, eine Verminderung des Riſikos, als einen Fortſchritt
bezeichnet. Sie hat ſich aber nicht überall vollzogen, in Deutſchland zumal wenig;
man hat neuerdings auch eine Schwächung der betreffenden Großbetriebe in dieſer
Teilung geſehen. Wo Kartelle ſich bildeten, haben ſie recht eigentlich den Abſatz in ihre
Hand genommen.

Nun noch einige Zahlen über den Fortſchritt des Großbetriebes: in Deutſchland
hat man 1882 und 1895 etwas über 5 Mill. landwirtſchaftliche Haupt- und Neben-
betriebe gezählt, wovon etwa 25000 Großbetriebe über 100 ha, 5—600 über 1000 ha
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Veränderung ſtatt; nur die beiden Gruppen der mittleren und kleinen Bauern wuchſen
um 35000 und 72000. An gewerblichen Großbetrieben mit über 50 Perſonen (in
Gärtnerei, Fiſchzucht, Gewerbe, Bergbau, Handel und Verkehr, wie ſie unſere Gewerbe-
ſtatiſtik zuſammenfaßt) zählte man in Deutſchland 1861 etwa 4000, 1875 7800,
1882 9900, 1895 18955; an Rieſenbetrieben mit über 1000 Perſonen 1882 127,
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betriebe wären um ein Fünftel zahlreicher, wenn die kombinierten Großunternehmungen
als ganze und nicht in ihren einzelnen Teilen gezählt wären. In den Großbetrieben
arbeiteten aber 1882 von 7 Mill. Perſonen 1,6, 1895 von 10 Mill. 3 Mill. Fügt
man noch die Mittelbetriebe von 6—50 Perſonen zu den Großbetrieben, ſo waren
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etwa 6 Mill. Betrugen die Allein- und Kleinbetriebe auch noch 1882 2,8 mit
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der gewerblichen Produktion ſchon 1882, noch mehr 1895 auf den größeren Betrieben
mit 6 und mehr Perſonen; ihrer Produktivkraft nach waren die großen Betriebe
natürlich weit überlegen, ſchon weil ſie ganz anders mit Motoren und Kraftmaſchinen
ausgeſtattet ſind. Rechnet man die Pferdekraft in den Großbetrieben 1895 zu 15
Menſchenkräften, ſo verfügten ſie ſtatt über 3 über 41 Mill. Kräfte, alſo über die
ſechs- bis ſiebenfache Zahl der ſämtlichen übrigen Gewerbebetriebe.

Daß eine weitere Zunahme des gewerblichen und handelsmäßigen Großbetriebes
zu erwarten ſteht, darüber kann nach den Veränderungen von 1882—95 kein Zweifel
ſein; aber es iſt ſchwer zu ſagen, wo und in welchem Maße ſie eintreten wird. Daß
aber auch der handwerksmäßige und hausinduſtrielle Betrieb, noch mehr der Mittel-
betrieb in breitem Maße ſich erhalten wird, dafür ſprechen alle Anzeichen.

In Großbritannien und den Vereinigten Staaten hat der Großbetrieb ſich ſchon
weiter als in Deutſchland ausgedehnt, Frankreich wird Deutſchland nahe ſtehen, Öſter-
reich, Rußland, Italien ſind auf dieſer Bahn noch erheblich zurück, noch viel mehr die
Länder der Halbkultur wie Japan, während in den europäiſchen Kolonien das Gewerbe
und der Handelsbetrieb ſich raſch centraliſieren.

143. Das geſellſchaftliche Problem des Großbetriebes. Zwei bis
fünf Perſonen zu gemeinſamer Arbeit oder zu gemeinſamem Leben in dauernder Form
zu verbinden, iſt immer ſchon nicht ganz leicht geweſen, wo nicht beſondere ſympathiſche
Bande, Unterordnungs- und Treuverhältniſſe oder Derartiges ſie verknüpfte. Aber zehn,
hundert, tauſend ſo zu verknüpfen, daß ſie ohne zu viel Reibung und Konflikte
zuſammenwirken, ſich in einander paſſen, einheitliche Zwecke harmoniſch verfolgen, hat
bei allen Kennern des Lebens und der menſchlichen Seele ſtets als ein ſociales Kunſt-
werk gegolten. Die Sippe und die patriarchaliſche Familie, ſpäter die Gemeinden, die
kirchlichen Genoſſenſchaften, die militäriſchen Körper, endlich ganze Staaten zu organiſieren,
das war ſtets ein ſchwieriges Problem, an dem oft Jahrhunderte vergeblich arbeiteten,
das erſt nach langen Verſuchen der Sitte, dem Recht, den Inſtitutionen der höher ſtehenden
Raſſen und Völker gelang. Sollte es leichter geweſen ſein, Dutzende, Hunderte, jetzt
bereits Tauſende im Großbetrieb zu einheitlicher Arbeit zu verbinden?

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[434/0450] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. Erleichterung der Geſchäftsführung, eine Verminderung des Riſikos, als einen Fortſchritt bezeichnet. Sie hat ſich aber nicht überall vollzogen, in Deutſchland zumal wenig; man hat neuerdings auch eine Schwächung der betreffenden Großbetriebe in dieſer Teilung geſehen. Wo Kartelle ſich bildeten, haben ſie recht eigentlich den Abſatz in ihre Hand genommen. Nun noch einige Zahlen über den Fortſchritt des Großbetriebes: in Deutſchland hat man 1882 und 1895 etwas über 5 Mill. landwirtſchaftliche Haupt- und Neben- betriebe gezählt, wovon etwa 25000 Großbetriebe über 100 ha, 5—600 über 1000 ha bewirtſchaften; neben ihnen ſtehen 281000 größere Bauernbetriebe, welche 30—100 ha, an mittleren und kleinen Bauernbetrieben je faſt 1 Mill., welche 5—20 und 2—5 ha bewirtſchaften, und ca. 3 Mill. Parzellenbetriebe; von 1882—95 fand keine weſentliche Veränderung ſtatt; nur die beiden Gruppen der mittleren und kleinen Bauern wuchſen um 35000 und 72000. An gewerblichen Großbetrieben mit über 50 Perſonen (in Gärtnerei, Fiſchzucht, Gewerbe, Bergbau, Handel und Verkehr, wie ſie unſere Gewerbe- ſtatiſtik zuſammenfaßt) zählte man in Deutſchland 1861 etwa 4000, 1875 7800, 1882 9900, 1895 18955; an Rieſenbetrieben mit über 1000 Perſonen 1882 127, 1895 255; aber Poſt und Eiſenbahn ſind dabei nicht mitbegriffen; die Rieſen- betriebe wären um ein Fünftel zahlreicher, wenn die kombinierten Großunternehmungen als ganze und nicht in ihren einzelnen Teilen gezählt wären. In den Großbetrieben arbeiteten aber 1882 von 7 Mill. Perſonen 1,6, 1895 von 10 Mill. 3 Mill. Fügt man noch die Mittelbetriebe von 6—50 Perſonen zu den Großbetrieben, ſo waren dieſe Betriebe 1882—1895 von 121000 auf 210000, ihr Perſonal von 2,9 auf 5,4 Mill. Menſchen geſtiegen; mit der Poſt und den Eiſenbahnen wären es etwa 6 Mill. Betrugen die Allein- und Kleinbetriebe auch noch 1882 2,8 mit 4,3 Mill., 1895 2,9 mit 4,7 Mill. Menſchen, ſo lag doch der perſönliche Schwerpunkt der gewerblichen Produktion ſchon 1882, noch mehr 1895 auf den größeren Betrieben mit 6 und mehr Perſonen; ihrer Produktivkraft nach waren die großen Betriebe natürlich weit überlegen, ſchon weil ſie ganz anders mit Motoren und Kraftmaſchinen ausgeſtattet ſind. Rechnet man die Pferdekraft in den Großbetrieben 1895 zu 15 Menſchenkräften, ſo verfügten ſie ſtatt über 3 über 41 Mill. Kräfte, alſo über die ſechs- bis ſiebenfache Zahl der ſämtlichen übrigen Gewerbebetriebe. Daß eine weitere Zunahme des gewerblichen und handelsmäßigen Großbetriebes zu erwarten ſteht, darüber kann nach den Veränderungen von 1882—95 kein Zweifel ſein; aber es iſt ſchwer zu ſagen, wo und in welchem Maße ſie eintreten wird. Daß aber auch der handwerksmäßige und hausinduſtrielle Betrieb, noch mehr der Mittel- betrieb in breitem Maße ſich erhalten wird, dafür ſprechen alle Anzeichen. In Großbritannien und den Vereinigten Staaten hat der Großbetrieb ſich ſchon weiter als in Deutſchland ausgedehnt, Frankreich wird Deutſchland nahe ſtehen, Öſter- reich, Rußland, Italien ſind auf dieſer Bahn noch erheblich zurück, noch viel mehr die Länder der Halbkultur wie Japan, während in den europäiſchen Kolonien das Gewerbe und der Handelsbetrieb ſich raſch centraliſieren. 143. Das geſellſchaftliche Problem des Großbetriebes. Zwei bis fünf Perſonen zu gemeinſamer Arbeit oder zu gemeinſamem Leben in dauernder Form zu verbinden, iſt immer ſchon nicht ganz leicht geweſen, wo nicht beſondere ſympathiſche Bande, Unterordnungs- und Treuverhältniſſe oder Derartiges ſie verknüpfte. Aber zehn, hundert, tauſend ſo zu verknüpfen, daß ſie ohne zu viel Reibung und Konflikte zuſammenwirken, ſich in einander paſſen, einheitliche Zwecke harmoniſch verfolgen, hat bei allen Kennern des Lebens und der menſchlichen Seele ſtets als ein ſociales Kunſt- werk gegolten. Die Sippe und die patriarchaliſche Familie, ſpäter die Gemeinden, die kirchlichen Genoſſenſchaften, die militäriſchen Körper, endlich ganze Staaten zu organiſieren, das war ſtets ein ſchwieriges Problem, an dem oft Jahrhunderte vergeblich arbeiteten, das erſt nach langen Verſuchen der Sitte, dem Recht, den Inſtitutionen der höher ſtehenden Raſſen und Völker gelang. Sollte es leichter geweſen ſein, Dutzende, Hunderte, jetzt bereits Tauſende im Großbetrieb zu einheitlicher Arbeit zu verbinden?

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/450>, abgerufen am 26.04.2024.