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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Erdteile und Länder in ihrer Eigentümlichkeit.
mäßigsten mit Regen versehen und daher ein Wald- und Ackerbauland ersten Ranges
(Peschel sagt, seinem "schlechten" Wetter dankt es seine hohe Kultur), mit Halbinseln
und Inseln aller Art, welche teilweise in die subtropische Zone reichen, auch im Norden
eine ganz andere wirtschaftliche Entwickelung gestatten als die anderen nördlichen Erd-
teile, mußte es in der Hand der arischen Stämme die Führung der Menschheit an
sich reißen.

Nord- und Südamerika sind zwei Weltteile für sich; gestreckter als Asien und
Afrika, kompakter als Europa, durch alle Zonen reichend, mit einem Drittel Gebirge,
zwei Dritteln tiefen Flachlandes, das durch große Ströme und Seen leicht zugänglich
ist, hat es in der Hand der Kulturmenschen die größte Zukunft. Das Mississippi-
becken hat vielleicht die Aussicht, das dichtbevölkertste, reichste einheitliche Gebiet der
Erde zu werden.

Australien ist der am längsten abseits gebliebene Erdteil; unaufgeschlossen, vielfach
Steppe oder Hochplateau, mit den polynesischen Inseln bis vor kurzem den Menschen,
Mitteln und Tieren der Kultur fast unzugänglich, hat es erst jetzt eine gewisse, allerdings
rasch wachsende Kultur erhalten. Aber die Lage und die Bodengestaltung bleiben
erschwerend, freilich nicht so wie für die Gebiete der weiter nach Süden reichenden Rand-
völker, welche noch mehr als die nordischen durch Kälte, Kargheit der Natur, isoliertes
Leben und Entfernung von den Mittelpunkten der höheren Kultur wohl immer auf
niedriger Stufe der wirtschaftlichen Entwickelung verharren werden.

Wie die Erdteile im großen, so können wir die Länder im kleinen als Individuen
erfassen. Sind ihre Grenzen auch oft mehr durch historisches Schicksal bestimmt gewesen
und immer wieder verrückt worden, im ganzen betraf das doch mehr die Gestaltung im
einzelnen, nicht die wichtigeren Züge. Die Inseln und Halbinseln sind am deutlichsten
geschlossene Einheiten. Aber auch auf die anderen Länder haben stets wieder die Gebirge,
die Seen und Flüsse, die Moräste und Wüsten, die Lage zum Meere grenzbildend eingewirkt
und so natürliche Einheiten des Gebietes geschaffen. Wie schon die ursprünglichsten
Wanderungen der Pflanzen, der Tiere und der Menschen durch diese natürlichen Grenz-
faktoren bestimmt und die Ausbildung eigentümlicher Arten -- nach Moritz Wagners
Migrationstheorie -- so erzielt oder begünstigt wurden, so waren auch später alle
Bewegungs- und Entwickelungsvorgänge des gesellschaftlichen Lebens von diesen grenz-
bildenden Ursachen beherrscht: sie haben die Länder zu natürlich geschlossenen, einheit-
lichen Schauplätzen des wirtschaftlichen und politischen Lebens gemacht. Und die mehr
oder weniger vorhandene Einheitlichkeit des Schauplatzes, die Wirkung derselben Ursachen
durch Jahrhunderte und Jahrtausende erzeugte bestimmte wirtschaftliche Zustände und
Kulturergebnisse. Die phönicische Kultur konnte nur in der Ecke des Mittelmeeres, die
ägyptische nur am Nil, Deutschlands Ackerbauleben nur in der Mitte Europas, die
britische Welthandelsherrschaft nur an den englischen Küsten entstehen. Sagt doch selbst
der idealistische Ranke: die ägyptische Religion ist auf die Kultur des Nillandes, die
persische auf den Anbau im Iran gegründet.

Alle solche natürliche Gebietsbildung ist aber stets nur so zu verstehen, daß die
Entwickelung der wirtschaftlichen oder sonstigen Kultur durch sie eine gewisse Richtung
erhält, daß gewisse Hemmungen und Möglichkeiten dadurch gegeben sind. Wie sie
überwunden oder benutzt werden, hängt von der Rasse, dem Stande der Moral und
der Technik, der sonstigen wirtschaftlichen, politischen und geistigen Erziehung und
Schulung der Menschen ab. Wie oft hat man z. B. die Wirkung der Natur auf die
Größe der Staaten überschätzend behauptet, die europäisch-asiatische Tiefebene erzeuge
direkt große, das westeuropäische Stufenland kleine Staaten. Wahr ist, daß die ver-
schiedene Natur derartiges begünstigt hat, und wenn Rußland heute in Europa 5,4 (im
ganzen 22,4) Mill. qkm, Deutschland 0,540, Frankreich 0,528, Großbritannien 0,313,
die Schweiz 0,041, Dänemark 0,038 Mill. qkm im Zusammenhang besitzt, so ist das
immer ein Beweis für diese Begünstigung. Aber auch das heutige Rußland hat Epochen
zahlreicher kleiner Staaten, und Westeuropa hat zu verschiedenen Zeiten ganz verschieden
große politisch-wirtschaftliche Körper gehabt.

Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 9

Die Erdteile und Länder in ihrer Eigentümlichkeit.
mäßigſten mit Regen verſehen und daher ein Wald- und Ackerbauland erſten Ranges
(Peſchel ſagt, ſeinem „ſchlechten“ Wetter dankt es ſeine hohe Kultur), mit Halbinſeln
und Inſeln aller Art, welche teilweiſe in die ſubtropiſche Zone reichen, auch im Norden
eine ganz andere wirtſchaftliche Entwickelung geſtatten als die anderen nördlichen Erd-
teile, mußte es in der Hand der ariſchen Stämme die Führung der Menſchheit an
ſich reißen.

Nord- und Südamerika ſind zwei Weltteile für ſich; geſtreckter als Aſien und
Afrika, kompakter als Europa, durch alle Zonen reichend, mit einem Drittel Gebirge,
zwei Dritteln tiefen Flachlandes, das durch große Ströme und Seen leicht zugänglich
iſt, hat es in der Hand der Kulturmenſchen die größte Zukunft. Das Miſſiſſippi-
becken hat vielleicht die Ausſicht, das dichtbevölkertſte, reichſte einheitliche Gebiet der
Erde zu werden.

Auſtralien iſt der am längſten abſeits gebliebene Erdteil; unaufgeſchloſſen, vielfach
Steppe oder Hochplateau, mit den polyneſiſchen Inſeln bis vor kurzem den Menſchen,
Mitteln und Tieren der Kultur faſt unzugänglich, hat es erſt jetzt eine gewiſſe, allerdings
raſch wachſende Kultur erhalten. Aber die Lage und die Bodengeſtaltung bleiben
erſchwerend, freilich nicht ſo wie für die Gebiete der weiter nach Süden reichenden Rand-
völker, welche noch mehr als die nordiſchen durch Kälte, Kargheit der Natur, iſoliertes
Leben und Entfernung von den Mittelpunkten der höheren Kultur wohl immer auf
niedriger Stufe der wirtſchaftlichen Entwickelung verharren werden.

Wie die Erdteile im großen, ſo können wir die Länder im kleinen als Individuen
erfaſſen. Sind ihre Grenzen auch oft mehr durch hiſtoriſches Schickſal beſtimmt geweſen
und immer wieder verrückt worden, im ganzen betraf das doch mehr die Geſtaltung im
einzelnen, nicht die wichtigeren Züge. Die Inſeln und Halbinſeln ſind am deutlichſten
geſchloſſene Einheiten. Aber auch auf die anderen Länder haben ſtets wieder die Gebirge,
die Seen und Flüſſe, die Moräſte und Wüſten, die Lage zum Meere grenzbildend eingewirkt
und ſo natürliche Einheiten des Gebietes geſchaffen. Wie ſchon die urſprünglichſten
Wanderungen der Pflanzen, der Tiere und der Menſchen durch dieſe natürlichen Grenz-
faktoren beſtimmt und die Ausbildung eigentümlicher Arten — nach Moritz Wagners
Migrationstheorie — ſo erzielt oder begünſtigt wurden, ſo waren auch ſpäter alle
Bewegungs- und Entwickelungsvorgänge des geſellſchaftlichen Lebens von dieſen grenz-
bildenden Urſachen beherrſcht: ſie haben die Länder zu natürlich geſchloſſenen, einheit-
lichen Schauplätzen des wirtſchaftlichen und politiſchen Lebens gemacht. Und die mehr
oder weniger vorhandene Einheitlichkeit des Schauplatzes, die Wirkung derſelben Urſachen
durch Jahrhunderte und Jahrtauſende erzeugte beſtimmte wirtſchaftliche Zuſtände und
Kulturergebniſſe. Die phöniciſche Kultur konnte nur in der Ecke des Mittelmeeres, die
ägyptiſche nur am Nil, Deutſchlands Ackerbauleben nur in der Mitte Europas, die
britiſche Welthandelsherrſchaft nur an den engliſchen Küſten entſtehen. Sagt doch ſelbſt
der idealiſtiſche Ranke: die ägyptiſche Religion iſt auf die Kultur des Nillandes, die
perſiſche auf den Anbau im Iran gegründet.

Alle ſolche natürliche Gebietsbildung iſt aber ſtets nur ſo zu verſtehen, daß die
Entwickelung der wirtſchaftlichen oder ſonſtigen Kultur durch ſie eine gewiſſe Richtung
erhält, daß gewiſſe Hemmungen und Möglichkeiten dadurch gegeben ſind. Wie ſie
überwunden oder benutzt werden, hängt von der Raſſe, dem Stande der Moral und
der Technik, der ſonſtigen wirtſchaftlichen, politiſchen und geiſtigen Erziehung und
Schulung der Menſchen ab. Wie oft hat man z. B. die Wirkung der Natur auf die
Größe der Staaten überſchätzend behauptet, die europäiſch-aſiatiſche Tiefebene erzeuge
direkt große, das weſteuropäiſche Stufenland kleine Staaten. Wahr iſt, daß die ver-
ſchiedene Natur derartiges begünſtigt hat, und wenn Rußland heute in Europa 5,4 (im
ganzen 22,4) Mill. qkm, Deutſchland 0,540, Frankreich 0,528, Großbritannien 0,313,
die Schweiz 0,041, Dänemark 0,038 Mill. qkm im Zuſammenhang beſitzt, ſo iſt das
immer ein Beweis für dieſe Begünſtigung. Aber auch das heutige Rußland hat Epochen
zahlreicher kleiner Staaten, und Weſteuropa hat zu verſchiedenen Zeiten ganz verſchieden
große politiſch-wirtſchaftliche Körper gehabt.

Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 9
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[129/0145] Die Erdteile und Länder in ihrer Eigentümlichkeit. mäßigſten mit Regen verſehen und daher ein Wald- und Ackerbauland erſten Ranges (Peſchel ſagt, ſeinem „ſchlechten“ Wetter dankt es ſeine hohe Kultur), mit Halbinſeln und Inſeln aller Art, welche teilweiſe in die ſubtropiſche Zone reichen, auch im Norden eine ganz andere wirtſchaftliche Entwickelung geſtatten als die anderen nördlichen Erd- teile, mußte es in der Hand der ariſchen Stämme die Führung der Menſchheit an ſich reißen. Nord- und Südamerika ſind zwei Weltteile für ſich; geſtreckter als Aſien und Afrika, kompakter als Europa, durch alle Zonen reichend, mit einem Drittel Gebirge, zwei Dritteln tiefen Flachlandes, das durch große Ströme und Seen leicht zugänglich iſt, hat es in der Hand der Kulturmenſchen die größte Zukunft. Das Miſſiſſippi- becken hat vielleicht die Ausſicht, das dichtbevölkertſte, reichſte einheitliche Gebiet der Erde zu werden. Auſtralien iſt der am längſten abſeits gebliebene Erdteil; unaufgeſchloſſen, vielfach Steppe oder Hochplateau, mit den polyneſiſchen Inſeln bis vor kurzem den Menſchen, Mitteln und Tieren der Kultur faſt unzugänglich, hat es erſt jetzt eine gewiſſe, allerdings raſch wachſende Kultur erhalten. Aber die Lage und die Bodengeſtaltung bleiben erſchwerend, freilich nicht ſo wie für die Gebiete der weiter nach Süden reichenden Rand- völker, welche noch mehr als die nordiſchen durch Kälte, Kargheit der Natur, iſoliertes Leben und Entfernung von den Mittelpunkten der höheren Kultur wohl immer auf niedriger Stufe der wirtſchaftlichen Entwickelung verharren werden. Wie die Erdteile im großen, ſo können wir die Länder im kleinen als Individuen erfaſſen. Sind ihre Grenzen auch oft mehr durch hiſtoriſches Schickſal beſtimmt geweſen und immer wieder verrückt worden, im ganzen betraf das doch mehr die Geſtaltung im einzelnen, nicht die wichtigeren Züge. Die Inſeln und Halbinſeln ſind am deutlichſten geſchloſſene Einheiten. Aber auch auf die anderen Länder haben ſtets wieder die Gebirge, die Seen und Flüſſe, die Moräſte und Wüſten, die Lage zum Meere grenzbildend eingewirkt und ſo natürliche Einheiten des Gebietes geſchaffen. Wie ſchon die urſprünglichſten Wanderungen der Pflanzen, der Tiere und der Menſchen durch dieſe natürlichen Grenz- faktoren beſtimmt und die Ausbildung eigentümlicher Arten — nach Moritz Wagners Migrationstheorie — ſo erzielt oder begünſtigt wurden, ſo waren auch ſpäter alle Bewegungs- und Entwickelungsvorgänge des geſellſchaftlichen Lebens von dieſen grenz- bildenden Urſachen beherrſcht: ſie haben die Länder zu natürlich geſchloſſenen, einheit- lichen Schauplätzen des wirtſchaftlichen und politiſchen Lebens gemacht. Und die mehr oder weniger vorhandene Einheitlichkeit des Schauplatzes, die Wirkung derſelben Urſachen durch Jahrhunderte und Jahrtauſende erzeugte beſtimmte wirtſchaftliche Zuſtände und Kulturergebniſſe. Die phöniciſche Kultur konnte nur in der Ecke des Mittelmeeres, die ägyptiſche nur am Nil, Deutſchlands Ackerbauleben nur in der Mitte Europas, die britiſche Welthandelsherrſchaft nur an den engliſchen Küſten entſtehen. Sagt doch ſelbſt der idealiſtiſche Ranke: die ägyptiſche Religion iſt auf die Kultur des Nillandes, die perſiſche auf den Anbau im Iran gegründet. Alle ſolche natürliche Gebietsbildung iſt aber ſtets nur ſo zu verſtehen, daß die Entwickelung der wirtſchaftlichen oder ſonſtigen Kultur durch ſie eine gewiſſe Richtung erhält, daß gewiſſe Hemmungen und Möglichkeiten dadurch gegeben ſind. Wie ſie überwunden oder benutzt werden, hängt von der Raſſe, dem Stande der Moral und der Technik, der ſonſtigen wirtſchaftlichen, politiſchen und geiſtigen Erziehung und Schulung der Menſchen ab. Wie oft hat man z. B. die Wirkung der Natur auf die Größe der Staaten überſchätzend behauptet, die europäiſch-aſiatiſche Tiefebene erzeuge direkt große, das weſteuropäiſche Stufenland kleine Staaten. Wahr iſt, daß die ver- ſchiedene Natur derartiges begünſtigt hat, und wenn Rußland heute in Europa 5,4 (im ganzen 22,4) Mill. qkm, Deutſchland 0,540, Frankreich 0,528, Großbritannien 0,313, die Schweiz 0,041, Dänemark 0,038 Mill. qkm im Zuſammenhang beſitzt, ſo iſt das immer ein Beweis für dieſe Begünſtigung. Aber auch das heutige Rußland hat Epochen zahlreicher kleiner Staaten, und Weſteuropa hat zu verſchiedenen Zeiten ganz verſchieden große politiſch-wirtſchaftliche Körper gehabt. Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 9

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/145>, abgerufen am 26.04.2024.