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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Wie Herr Spazzo des andern Morgens erwachte, lag er am Fuß
des hunniſchen Grabhügels. Auf der Wieſe ſah er ſeinen Reiters-
mantel liegen, ſein ſchwarzes Rößlein Falada erging ſich fern am
Waldesſaum, der Sattel hing unten am Bauch, die Zügel waren
zerriſſen; es fraß die jungen Wieſenblumen. Langſam wandte der
ſchlafmüde Mann ſein Haupt und ſchaute ſich gähnend um. Der
Kloſterthurm der Reichenau ſpiegelte ſich ſo ruhig und fern im See,
als wenn nichts geſchehen wäre. Er aber riß einen Büſchel Gras
aus und hielt die thauigen Halme an die Stirn. Vince luna! ſprach
er mit bitterſüßem Lächeln. Er hatte ſchwer Kopfweh.



Neunzehntes Kapitel.
Burkard der Kloſterſchüler.


Rudimann der Kellermeiſter war kein falſcher Rechner. Eine Rolle
Pergament in einem Lachsrachen muß Neugier erregen. Während
Herr Spazzo den Reichenauer Kloſterwein getrunken, war ſeine Ge-
bieterin mit Praxedis im ſtillen Cloſet an Entzifferung der Gunzo'ſchen
Schrift geſeſſen; die Schülerinnen Ekkehard's hatten des Lateiniſchen
genug gelernt, um die Hauptſachen zu verſtehen; was grammatiſch
unklar blieb, erriethen ſie, was nicht zu errathen war, ſetzten ſie nach
eigenem Gutdünken zuſammen.

Praxedis war empört: Iſt denn die Nation der Gelehrten überall
wie in Byzanzium? ſprach ſie. Erſt die Mücke zum Elephanten ge-
macht und dann einen Feldzug gegen das ſelbſtgeſchaffene Ungethüm
begonnen! Das Reichenauer Geſchenk ſchmeckt eſſigſauer. — Sie verzog
den lieblichen Mund wie damals, da ſie Wiborad's Holzäpfel koſten
mußte.

Frau Hadwig war ſonderbar bewegt. Ein unheimlich Gefühl
ſagte ihr, daß in Gunzo's Blättern ein Geiſt ſein Weſen treibe, der
nicht vom Guten, aber ſie gönnte Ekkehard die Demüthigung.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/288>, abgerufen am 24.02.2025.