Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

zerbrechen, mit den Zähnen zerbeißen, und mit
wüthender Gewalt zu Boden werfen*); weiß
schon ein jeder aus seiner eignen Erfahrung, daß
der Zorn sich auch zuweilen gegen leblose Dinge
richtet. Kinder an Jahren oder am Verstande
geben davon tägliche Beweise, und zeigen, daß
Zorn gegen leblose Wesen nur dann möglich ist,
wenn es ganz an Verstand und Besonnenheit
fehlt**).

Zorn aus Aergerniß und Kränkung ist Erbit-
terung
. So war Juno wider die Troer, und
diese wider den vor dem belagerten Thurm über-
müthig triumphirenden Pyrrhus (Pyrrhum ex-
sultantem
) erbittert, und so erbittert Manchen
die Wahrheit, wenn sie seine Blöße aufdeckt, und
er zu wenig Unpartheylichkeit gegen sich selbst hat,
um sie zu bemerken, und durch Fleiß an sich selbst
zuzudecken, oder zu viel Stolz, um einem An-
dern ein Urtheil über sich zu erlauben.

Wenn
*) Robertsons Gesch. v. Amerika, 1. Th.
**) Auch der verständigste Mann hebt zuweilen seinen
Fuß wider den Stein oder Klotz, an welchen er
stößt, auf. Allein dies geschieht nicht sowohl in
der Meynung diese leblose Dinge ihre Beleidigung
fühlen zu lassen, als vielmehr aus dem durch den
empfindlichen körperlichen Schmerz hervorgebrach-
ten Wunsch, den Stein des Anstoßes von sich zu
entfernen.

zerbrechen, mit den Zaͤhnen zerbeißen, und mit
wuͤthender Gewalt zu Boden werfen*); weiß
ſchon ein jeder aus ſeiner eignen Erfahrung, daß
der Zorn ſich auch zuweilen gegen lebloſe Dinge
richtet. Kinder an Jahren oder am Verſtande
geben davon taͤgliche Beweiſe, und zeigen, daß
Zorn gegen lebloſe Weſen nur dann moͤglich iſt,
wenn es ganz an Verſtand und Beſonnenheit
fehlt**).

Zorn aus Aergerniß und Kraͤnkung iſt Erbit-
terung
. So war Juno wider die Troer, und
dieſe wider den vor dem belagerten Thurm uͤber-
muͤthig triumphirenden Pyrrhus (Pyrrhum ex-
ſultantem
) erbittert, und ſo erbittert Manchen
die Wahrheit, wenn ſie ſeine Bloͤße aufdeckt, und
er zu wenig Unpartheylichkeit gegen ſich ſelbſt hat,
um ſie zu bemerken, und durch Fleiß an ſich ſelbſt
zuzudecken, oder zu viel Stolz, um einem An-
dern ein Urtheil uͤber ſich zu erlauben.

Wenn
*) Robertſons Geſch. v. Amerika, 1. Th.
**) Auch der verſtaͤndigſte Mann hebt zuweilen ſeinen
Fuß wider den Stein oder Klotz, an welchen er
ſtoͤßt, auf. Allein dies geſchieht nicht ſowohl in
der Meynung dieſe lebloſe Dinge ihre Beleidigung
fuͤhlen zu laſſen, als vielmehr aus dem durch den
empfindlichen koͤrperlichen Schmerz hervorgebrach-
ten Wunſch, den Stein des Anſtoßes von ſich zu
entfernen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0352" n="636"/>
zerbrechen, mit den Za&#x0364;hnen zerbeißen, und mit<lb/>
wu&#x0364;thender Gewalt zu Boden werfen<note place="foot" n="*)">Robert&#x017F;ons Ge&#x017F;ch. v. Amerika, 1. Th.</note>; weiß<lb/>
&#x017F;chon ein jeder aus &#x017F;einer eignen Erfahrung, daß<lb/>
der Zorn &#x017F;ich auch zuweilen gegen leblo&#x017F;e Dinge<lb/>
richtet. Kinder an Jahren oder am Ver&#x017F;tande<lb/>
geben davon ta&#x0364;gliche Bewei&#x017F;e, und zeigen, daß<lb/>
Zorn gegen leblo&#x017F;e We&#x017F;en nur dann mo&#x0364;glich i&#x017F;t,<lb/>
wenn es ganz an Ver&#x017F;tand und Be&#x017F;onnenheit<lb/>
fehlt<note place="foot" n="**)">Auch der ver&#x017F;ta&#x0364;ndig&#x017F;te Mann hebt zuweilen &#x017F;einen<lb/>
Fuß wider den Stein oder Klotz, an welchen er<lb/>
&#x017F;to&#x0364;ßt, auf. Allein dies ge&#x017F;chieht nicht &#x017F;owohl in<lb/>
der Meynung die&#x017F;e leblo&#x017F;e Dinge ihre Beleidigung<lb/>
fu&#x0364;hlen zu la&#x017F;&#x017F;en, als vielmehr aus dem durch den<lb/>
empfindlichen ko&#x0364;rperlichen Schmerz hervorgebrach-<lb/>
ten Wun&#x017F;ch, den Stein des An&#x017F;toßes von &#x017F;ich zu<lb/>
entfernen.</note>.</p><lb/>
        <p>Zorn aus Aergerniß und Kra&#x0364;nkung i&#x017F;t <hi rendition="#b">Erbit-<lb/>
terung</hi>. So war <hi rendition="#b">Juno</hi> wider die Troer, und<lb/>
die&#x017F;e wider den vor dem belagerten Thurm u&#x0364;ber-<lb/>
mu&#x0364;thig triumphirenden Pyrrhus (<hi rendition="#aq">Pyrrhum ex-<lb/>
&#x017F;ultantem</hi>) erbittert, und &#x017F;o erbittert Manchen<lb/>
die Wahrheit, wenn &#x017F;ie &#x017F;eine Blo&#x0364;ße aufdeckt, und<lb/>
er zu wenig Unpartheylichkeit gegen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t hat,<lb/>
um &#x017F;ie zu bemerken, und durch Fleiß an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
zuzudecken, oder zu viel Stolz, um einem An-<lb/>
dern ein Urtheil u&#x0364;ber &#x017F;ich zu erlauben.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Wenn</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[636/0352] zerbrechen, mit den Zaͤhnen zerbeißen, und mit wuͤthender Gewalt zu Boden werfen *); weiß ſchon ein jeder aus ſeiner eignen Erfahrung, daß der Zorn ſich auch zuweilen gegen lebloſe Dinge richtet. Kinder an Jahren oder am Verſtande geben davon taͤgliche Beweiſe, und zeigen, daß Zorn gegen lebloſe Weſen nur dann moͤglich iſt, wenn es ganz an Verſtand und Beſonnenheit fehlt **). Zorn aus Aergerniß und Kraͤnkung iſt Erbit- terung. So war Juno wider die Troer, und dieſe wider den vor dem belagerten Thurm uͤber- muͤthig triumphirenden Pyrrhus (Pyrrhum ex- ſultantem) erbittert, und ſo erbittert Manchen die Wahrheit, wenn ſie ſeine Bloͤße aufdeckt, und er zu wenig Unpartheylichkeit gegen ſich ſelbſt hat, um ſie zu bemerken, und durch Fleiß an ſich ſelbſt zuzudecken, oder zu viel Stolz, um einem An- dern ein Urtheil uͤber ſich zu erlauben. Wenn *) Robertſons Geſch. v. Amerika, 1. Th. **) Auch der verſtaͤndigſte Mann hebt zuweilen ſeinen Fuß wider den Stein oder Klotz, an welchen er ſtoͤßt, auf. Allein dies geſchieht nicht ſowohl in der Meynung dieſe lebloſe Dinge ihre Beleidigung fuͤhlen zu laſſen, als vielmehr aus dem durch den empfindlichen koͤrperlichen Schmerz hervorgebrach- ten Wunſch, den Stein des Anſtoßes von ſich zu entfernen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/352
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 636. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/352>, abgerufen am 26.04.2024.