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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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Er zerrüttet sich selbst, und mit sich den, den er
liebt.



Jrgendwo muß sich der Mensch an die Schö-
pfung anschließen; es ist ihm unmöglich ganz iso-
lirt in Gottes Welt zu stehen. Findet er unter
seines Gleichen niemand, mit dem er sich verbinden
könne, so sucht er sich aus der übrigen Schöpfung
einen Gegenstand für seine Liebe aus. Sein Herz
hängt sich entweder an ein empfindendes, wenn
gleich nicht vernünftiges Geschöpf, oder die All-
macht der Liebe haucht der Flur und dem Walde
Leben und Sympathie für den Unglücklichen ein.

Armer Rousseau! zu gut und zu groß für
dein Jahrhundert und deine Brüder! du lebtest
und opfertest dich für die Menschheit, und deine
Liebe mußte Nahrung suchen am Busen der leblo-
sen Natur, und in der Gesellschaft eines Ge-
schöpfes, das dich nicht verstehen konnte, aber
dir doch mit liebkosender Treue anhing!

Gehe
Non altramente'l tauro, ove l'irriti
Geloso amor con stimoli pungenti,
Horribilmente mugge, e co'muggiti
Gli spirti in se risveglia, e l'ire ardenti:
E'l corno aguzza a i tronchi, e par ch'inviti
Con vani colpi a la battaglia i venti.


Er zerruͤttet ſich ſelbſt, und mit ſich den, den er
liebt.



Jrgendwo muß ſich der Menſch an die Schoͤ-
pfung anſchließen; es iſt ihm unmoͤglich ganz iſo-
lirt in Gottes Welt zu ſtehen. Findet er unter
ſeines Gleichen niemand, mit dem er ſich verbinden
koͤnne, ſo ſucht er ſich aus der uͤbrigen Schoͤpfung
einen Gegenſtand fuͤr ſeine Liebe aus. Sein Herz
haͤngt ſich entweder an ein empfindendes, wenn
gleich nicht vernuͤnftiges Geſchoͤpf, oder die All-
macht der Liebe haucht der Flur und dem Walde
Leben und Sympathie fuͤr den Ungluͤcklichen ein.

Armer Rouſſeau! zu gut und zu groß fuͤr
dein Jahrhundert und deine Bruͤder! du lebteſt
und opferteſt dich fuͤr die Menſchheit, und deine
Liebe mußte Nahrung ſuchen am Buſen der leblo-
ſen Natur, und in der Geſellſchaft eines Ge-
ſchoͤpfes, das dich nicht verſtehen konnte, aber
dir doch mit liebkoſender Treue anhing!

Gehe
Non altramente'l tauro, ove l'irriti
Geloſo amor con ſtimoli pungenti,
Horribilmente mugge, e co'muggiti
Gli ſpirti in ſe riſveglia, e l'ire ardenti:
E'l corno aguzza a i tronchi, e par ch'inviti
Con vani colpi a la battaglia i venti.
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[555/0271] Er zerruͤttet ſich ſelbſt, und mit ſich den, den er liebt. Jrgendwo muß ſich der Menſch an die Schoͤ- pfung anſchließen; es iſt ihm unmoͤglich ganz iſo- lirt in Gottes Welt zu ſtehen. Findet er unter ſeines Gleichen niemand, mit dem er ſich verbinden koͤnne, ſo ſucht er ſich aus der uͤbrigen Schoͤpfung einen Gegenſtand fuͤr ſeine Liebe aus. Sein Herz haͤngt ſich entweder an ein empfindendes, wenn gleich nicht vernuͤnftiges Geſchoͤpf, oder die All- macht der Liebe haucht der Flur und dem Walde Leben und Sympathie fuͤr den Ungluͤcklichen ein. Armer Rouſſeau! zu gut und zu groß fuͤr dein Jahrhundert und deine Bruͤder! du lebteſt und opferteſt dich fuͤr die Menſchheit, und deine Liebe mußte Nahrung ſuchen am Buſen der leblo- ſen Natur, und in der Geſellſchaft eines Ge- ſchoͤpfes, das dich nicht verſtehen konnte, aber dir doch mit liebkoſender Treue anhing! Gehe *) *) Non altramente'l tauro, ove l'irriti Geloſo amor con ſtimoli pungenti, Horribilmente mugge, e co'muggiti Gli ſpirti in ſe riſveglia, e l'ire ardenti: E'l corno aguzza a i tronchi, e par ch'inviti Con vani colpi a la battaglia i venti.

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/271>, abgerufen am 26.04.2024.