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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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Lande macht allein den gebildeten Menschen; die
Natur bietet nur die Hand, wer das Geschenk
der Menschheit haben will, muß sie ergreifen,
festhalten, ihr folgen.

Unendlich verschieden sind die Werke der Na-
tur in jeder Art; auch in ihrem köstlichsten Werk,
dem menschlichen Verstande, ist sie dem Gesetze der
Mannigfaltigkeit treu geblieben. Dem einen gab
sie viel, dem andern weniger. Diesem scheint
sie alle Mühe der eignen Bildung ersparen zu
wollen, weil sie ihn verschwenderisch beschenkte;
jenem scheint sie nichts vorgearbeitet zu haben, um
ihm die Freude zu verschaffen, durch sich selbst zu
seyn, was er ist.

Die Hauptvollkommenheiten des Verstandes,
vorzüglich in so fern sie ein Geschenk der Natur
sind, werden durch die Namen guter Kopf,
Talent, Genie
und Geist bezeichnet. Wo sich
Fassungskraft, das Vermögen deutlicher Begriffe,
Selbstthätigkeit des Verstandes, und mit einem
Wort gute Anlagen zeigen, da, sagt man, ist
ein guter Kopf, eine Benennung, welche der
Meynung, daß die denkende Seele im Kopfe
wohne, ihren Ursprung verdanket. Sind diese
Anlagen besonders hervorstechend, sind sie leicht
zu entwickeln, und auf einer oder der andern Seite
schon mit dem Bilde einer nicht gemeinen Voll-
kommenheit ausgeprägt; so erhalten sie den Na-

men

Lande macht allein den gebildeten Menſchen; die
Natur bietet nur die Hand, wer das Geſchenk
der Menſchheit haben will, muß ſie ergreifen,
feſthalten, ihr folgen.

Unendlich verſchieden ſind die Werke der Na-
tur in jeder Art; auch in ihrem koͤſtlichſten Werk,
dem menſchlichen Verſtande, iſt ſie dem Geſetze der
Mannigfaltigkeit treu geblieben. Dem einen gab
ſie viel, dem andern weniger. Dieſem ſcheint
ſie alle Muͤhe der eignen Bildung erſparen zu
wollen, weil ſie ihn verſchwenderiſch beſchenkte;
jenem ſcheint ſie nichts vorgearbeitet zu haben, um
ihm die Freude zu verſchaffen, durch ſich ſelbſt zu
ſeyn, was er iſt.

Die Hauptvollkommenheiten des Verſtandes,
vorzuͤglich in ſo fern ſie ein Geſchenk der Natur
ſind, werden durch die Namen guter Kopf,
Talent, Genie
und Geiſt bezeichnet. Wo ſich
Faſſungskraft, das Vermoͤgen deutlicher Begriffe,
Selbſtthaͤtigkeit des Verſtandes, und mit einem
Wort gute Anlagen zeigen, da, ſagt man, iſt
ein guter Kopf, eine Benennung, welche der
Meynung, daß die denkende Seele im Kopfe
wohne, ihren Urſprung verdanket. Sind dieſe
Anlagen beſonders hervorſtechend, ſind ſie leicht
zu entwickeln, und auf einer oder der andern Seite
ſchon mit dem Bilde einer nicht gemeinen Voll-
kommenheit ausgepraͤgt; ſo erhalten ſie den Na-

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[159/0183] Lande macht allein den gebildeten Menſchen; die Natur bietet nur die Hand, wer das Geſchenk der Menſchheit haben will, muß ſie ergreifen, feſthalten, ihr folgen. Unendlich verſchieden ſind die Werke der Na- tur in jeder Art; auch in ihrem koͤſtlichſten Werk, dem menſchlichen Verſtande, iſt ſie dem Geſetze der Mannigfaltigkeit treu geblieben. Dem einen gab ſie viel, dem andern weniger. Dieſem ſcheint ſie alle Muͤhe der eignen Bildung erſparen zu wollen, weil ſie ihn verſchwenderiſch beſchenkte; jenem ſcheint ſie nichts vorgearbeitet zu haben, um ihm die Freude zu verſchaffen, durch ſich ſelbſt zu ſeyn, was er iſt. Die Hauptvollkommenheiten des Verſtandes, vorzuͤglich in ſo fern ſie ein Geſchenk der Natur ſind, werden durch die Namen guter Kopf, Talent, Genie und Geiſt bezeichnet. Wo ſich Faſſungskraft, das Vermoͤgen deutlicher Begriffe, Selbſtthaͤtigkeit des Verſtandes, und mit einem Wort gute Anlagen zeigen, da, ſagt man, iſt ein guter Kopf, eine Benennung, welche der Meynung, daß die denkende Seele im Kopfe wohne, ihren Urſprung verdanket. Sind dieſe Anlagen beſonders hervorſtechend, ſind ſie leicht zu entwickeln, und auf einer oder der andern Seite ſchon mit dem Bilde einer nicht gemeinen Voll- kommenheit ausgepraͤgt; ſo erhalten ſie den Na- men

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/183>, abgerufen am 27.04.2024.