Wir haben zunächst für das Erbrecht, so wie es für an- dere Rechtsinstitute bereits geschehen ist, zu untersuchen, welchem örtlichen Recht dasselbe nach seiner besonderen Na- tur angehört, also wo es seinen eigentlichen Sitz hat (§ 360). Um Dieses zu erkennen, müssen wir zurücksehen auf die oben angedeutete Natur des Erbrechts (B. 1 § 57). Es besteht in dem Uebergang eines Vermögens, bei dem Tode des Inhabers, auf andere Personen. Darin liegt eine künstliche Erstreckung der Macht, also auch des Willens, eines Menschen über die Gränze des Lebens hinaus, wel- cher fortwirkende Wille bald ein ausdrücklicher seyn kann (in dem Testament), bald ein stillschweigender (in der In- testaterbfolge) (a). Dieses Verhältniß nun schließt sich ganz und unmittelbar an die Person des Verstorbenen an, ge- rade so, wie es oben von der Rechtsfähigkeit bemerkt wor- den ist (§ 362), und wie es späterhin bei der Familie ge- zeigt werden wird. Ist nun diese Auffassung der Sache richtig, so muß behauptet werden, daß das Erbrecht sich im Allgemeinen richtet nach dem örtlichen Recht des Wohn- sitzes, welchen der Verstorbene zur Zeit seines Todes
(a) Diese zweite Art des fortwirkenden Willens steht zugleich in Zusammenhang mit der Fortsetzung der Individualität des Menschen durch die Verwandtschaft, s. o. B. 1 § 53.
§ 375. IV. Erbrecht.
§. 375. IV.Erbrecht.
Wir haben zunächſt für das Erbrecht, ſo wie es für an- dere Rechtsinſtitute bereits geſchehen iſt, zu unterſuchen, welchem örtlichen Recht daſſelbe nach ſeiner beſonderen Na- tur angehört, alſo wo es ſeinen eigentlichen Sitz hat (§ 360). Um Dieſes zu erkennen, müſſen wir zurückſehen auf die oben angedeutete Natur des Erbrechts (B. 1 § 57). Es beſteht in dem Uebergang eines Vermögens, bei dem Tode des Inhabers, auf andere Perſonen. Darin liegt eine künſtliche Erſtreckung der Macht, alſo auch des Willens, eines Menſchen über die Gränze des Lebens hinaus, wel- cher fortwirkende Wille bald ein ausdrücklicher ſeyn kann (in dem Teſtament), bald ein ſtillſchweigender (in der In- teſtaterbfolge) (a). Dieſes Verhältniß nun ſchließt ſich ganz und unmittelbar an die Perſon des Verſtorbenen an, ge- rade ſo, wie es oben von der Rechtsfähigkeit bemerkt wor- den iſt (§ 362), und wie es ſpäterhin bei der Familie ge- zeigt werden wird. Iſt nun dieſe Auffaſſung der Sache richtig, ſo muß behauptet werden, daß das Erbrecht ſich im Allgemeinen richtet nach dem örtlichen Recht des Wohn- ſitzes, welchen der Verſtorbene zur Zeit ſeines Todes
(a) Dieſe zweite Art des fortwirkenden Willens ſteht zugleich in Zuſammenhang mit der Fortſetzung der Individualität des Menſchen durch die Verwandtſchaft, ſ. o. B. 1 § 53.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0317"n="295"/><fwplace="top"type="header">§ 375. <hirendition="#aq">IV.</hi> Erbrecht.</fw><lb/><divn="3"><head>§. 375.<lb/><hirendition="#aq">IV.</hi><hirendition="#g">Erbrecht</hi>.</head><lb/><p>Wir haben zunächſt für das Erbrecht, ſo wie es für an-<lb/>
dere Rechtsinſtitute bereits geſchehen iſt, zu unterſuchen,<lb/>
welchem örtlichen Recht daſſelbe nach ſeiner beſonderen Na-<lb/>
tur angehört, alſo wo es ſeinen eigentlichen Sitz hat (§ 360).<lb/>
Um Dieſes zu erkennen, müſſen wir zurückſehen auf die<lb/>
oben angedeutete Natur des Erbrechts (B. 1 § 57). Es<lb/>
beſteht in dem Uebergang eines Vermögens, bei dem Tode<lb/>
des Inhabers, auf andere Perſonen. Darin liegt eine<lb/>
künſtliche Erſtreckung der Macht, alſo auch des Willens,<lb/>
eines Menſchen über die Gränze des Lebens hinaus, wel-<lb/>
cher fortwirkende Wille bald ein ausdrücklicher ſeyn kann<lb/>
(in dem Teſtament), bald ein ſtillſchweigender (in der In-<lb/>
teſtaterbfolge) <noteplace="foot"n="(a)">Dieſe zweite Art des fortwirkenden Willens ſteht zugleich in<lb/>
Zuſammenhang mit der Fortſetzung der Individualität des Menſchen<lb/>
durch die Verwandtſchaft, ſ. o. B. 1 § 53.</note>. Dieſes Verhältniß nun ſchließt ſich ganz<lb/>
und unmittelbar an die Perſon des Verſtorbenen an, ge-<lb/>
rade ſo, wie es oben von der Rechtsfähigkeit bemerkt wor-<lb/>
den iſt (§ 362), und wie es ſpäterhin bei der Familie ge-<lb/>
zeigt werden wird. Iſt nun dieſe Auffaſſung der Sache<lb/>
richtig, ſo muß behauptet werden, daß das Erbrecht ſich<lb/>
im Allgemeinen richtet nach dem örtlichen Recht des Wohn-<lb/>ſitzes, welchen der Verſtorbene zur Zeit ſeines Todes<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[295/0317]
§ 375. IV. Erbrecht.
§. 375.
IV. Erbrecht.
Wir haben zunächſt für das Erbrecht, ſo wie es für an-
dere Rechtsinſtitute bereits geſchehen iſt, zu unterſuchen,
welchem örtlichen Recht daſſelbe nach ſeiner beſonderen Na-
tur angehört, alſo wo es ſeinen eigentlichen Sitz hat (§ 360).
Um Dieſes zu erkennen, müſſen wir zurückſehen auf die
oben angedeutete Natur des Erbrechts (B. 1 § 57). Es
beſteht in dem Uebergang eines Vermögens, bei dem Tode
des Inhabers, auf andere Perſonen. Darin liegt eine
künſtliche Erſtreckung der Macht, alſo auch des Willens,
eines Menſchen über die Gränze des Lebens hinaus, wel-
cher fortwirkende Wille bald ein ausdrücklicher ſeyn kann
(in dem Teſtament), bald ein ſtillſchweigender (in der In-
teſtaterbfolge) (a). Dieſes Verhältniß nun ſchließt ſich ganz
und unmittelbar an die Perſon des Verſtorbenen an, ge-
rade ſo, wie es oben von der Rechtsfähigkeit bemerkt wor-
den iſt (§ 362), und wie es ſpäterhin bei der Familie ge-
zeigt werden wird. Iſt nun dieſe Auffaſſung der Sache
richtig, ſo muß behauptet werden, daß das Erbrecht ſich
im Allgemeinen richtet nach dem örtlichen Recht des Wohn-
ſitzes, welchen der Verſtorbene zur Zeit ſeines Todes
(a) Dieſe zweite Art des fortwirkenden Willens ſteht zugleich in
Zuſammenhang mit der Fortſetzung der Individualität des Menſchen
durch die Verwandtſchaft, ſ. o. B. 1 § 53.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/317>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.