Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Condictionen. IV.
IV.

Betrachten wir die Fälle, in welchen Condictionen un-
zweifelhaft anwendbar sind, so erscheinen uns diese auf
den ersten Blick höchst mannichfaltig; dennoch lassen sich
dieselben auf ein sehr einfaches Princip zurück führen,
welches sich durch bloße organische Bildungskraft zu jener
Mannichfaltigkeit entfaltet hat, fast ohne Eingriff der Ge-
setzgebung. Es finden sich nur sehr wenige, aus dem Prin-
cip nicht abzuleitende, also ganz positive Zusätze; diese
aber sind nicht nur so unbedeutend, sondern auch als bloße
Ausnahmen so bestimmt und deutlich in unsren Rechtsquel-
len anerkannt, daß sie die Wahrheit des Princips viel-
mehr bestätigen, als zweifelhaft machen.

Um jenes Princip zu finden, gehe ich von der Zerglie-
derung eines einzelnen Rechtsgeschäfts aus, woraus sicher-
lich eine Condiction entspringt, nämlich des Darlehens,
welches ich daher als Ausgangspunkt der ganzen Unter-
suchung behandeln will. Ich muß erwarten, daß dieses
Verfahren als einseitig und willkührlich getadelt werden
möge; dieser Vorwurf wird durch die Wahrnehmung wi-
derlegt, daß unsre Rechtsquellen genau denselben Weg
einschlagen, indem auch sie das Darlehen an die Spitze
der gesammten Lehre von den Condictionen stellen.

In den Digesten ist der erste Titel des zwölften Buchs
überschrieben: de rebus creditis, si certum petetur, et de

Die Condictionen. IV.
IV.

Betrachten wir die Fälle, in welchen Condictionen un-
zweifelhaft anwendbar ſind, ſo erſcheinen uns dieſe auf
den erſten Blick höchſt mannichfaltig; dennoch laſſen ſich
dieſelben auf ein ſehr einfaches Princip zurück führen,
welches ſich durch bloße organiſche Bildungskraft zu jener
Mannichfaltigkeit entfaltet hat, faſt ohne Eingriff der Ge-
ſetzgebung. Es finden ſich nur ſehr wenige, aus dem Prin-
cip nicht abzuleitende, alſo ganz poſitive Zuſätze; dieſe
aber ſind nicht nur ſo unbedeutend, ſondern auch als bloße
Ausnahmen ſo beſtimmt und deutlich in unſren Rechtsquel-
len anerkannt, daß ſie die Wahrheit des Princips viel-
mehr beſtätigen, als zweifelhaft machen.

Um jenes Princip zu finden, gehe ich von der Zerglie-
derung eines einzelnen Rechtsgeſchäfts aus, woraus ſicher-
lich eine Condiction entſpringt, nämlich des Darlehens,
welches ich daher als Ausgangspunkt der ganzen Unter-
ſuchung behandeln will. Ich muß erwarten, daß dieſes
Verfahren als einſeitig und willkührlich getadelt werden
möge; dieſer Vorwurf wird durch die Wahrnehmung wi-
derlegt, daß unſre Rechtsquellen genau denſelben Weg
einſchlagen, indem auch ſie das Darlehen an die Spitze
der geſammten Lehre von den Condictionen ſtellen.

In den Digeſten iſt der erſte Titel des zwölften Buchs
überſchrieben: de rebus creditis, si certum petetur, et de

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0525" n="511"/>
          <fw place="top" type="header">Die Condictionen. <hi rendition="#aq">IV.</hi></fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#aq">IV.</hi> </hi> </head><lb/>
            <p>Betrachten wir die Fälle, in welchen Condictionen un-<lb/>
zweifelhaft anwendbar &#x017F;ind, &#x017F;o er&#x017F;cheinen uns die&#x017F;e auf<lb/>
den er&#x017F;ten Blick höch&#x017F;t mannichfaltig; dennoch la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich<lb/>
die&#x017F;elben auf ein &#x017F;ehr einfaches Princip zurück führen,<lb/>
welches &#x017F;ich durch bloße organi&#x017F;che Bildungskraft zu jener<lb/>
Mannichfaltigkeit entfaltet hat, fa&#x017F;t ohne Eingriff der Ge-<lb/>
&#x017F;etzgebung. Es finden &#x017F;ich nur &#x017F;ehr wenige, aus dem Prin-<lb/>
cip nicht abzuleitende, al&#x017F;o ganz po&#x017F;itive Zu&#x017F;ätze; die&#x017F;e<lb/>
aber &#x017F;ind nicht nur &#x017F;o unbedeutend, &#x017F;ondern auch als bloße<lb/>
Ausnahmen &#x017F;o be&#x017F;timmt und deutlich in un&#x017F;ren Rechtsquel-<lb/>
len anerkannt, daß &#x017F;ie die Wahrheit des Princips viel-<lb/>
mehr be&#x017F;tätigen, als zweifelhaft machen.</p><lb/>
            <p>Um jenes Princip zu finden, gehe ich von der Zerglie-<lb/>
derung eines einzelnen Rechtsge&#x017F;chäfts aus, woraus &#x017F;icher-<lb/>
lich eine Condiction ent&#x017F;pringt, nämlich des Darlehens,<lb/>
welches ich daher als Ausgangspunkt der ganzen Unter-<lb/>
&#x017F;uchung behandeln will. Ich muß erwarten, daß die&#x017F;es<lb/>
Verfahren als ein&#x017F;eitig und willkührlich getadelt werden<lb/>
möge; die&#x017F;er Vorwurf wird durch die Wahrnehmung wi-<lb/>
derlegt, daß un&#x017F;re Rechtsquellen genau den&#x017F;elben Weg<lb/>
ein&#x017F;chlagen, indem auch &#x017F;ie das Darlehen an die Spitze<lb/>
der ge&#x017F;ammten Lehre von den Condictionen &#x017F;tellen.</p><lb/>
            <p>In den Dige&#x017F;ten i&#x017F;t der er&#x017F;te Titel des zwölften Buchs<lb/>
über&#x017F;chrieben: <hi rendition="#aq">de rebus creditis, si certum petetur, et de</hi><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[511/0525] Die Condictionen. IV. IV. Betrachten wir die Fälle, in welchen Condictionen un- zweifelhaft anwendbar ſind, ſo erſcheinen uns dieſe auf den erſten Blick höchſt mannichfaltig; dennoch laſſen ſich dieſelben auf ein ſehr einfaches Princip zurück führen, welches ſich durch bloße organiſche Bildungskraft zu jener Mannichfaltigkeit entfaltet hat, faſt ohne Eingriff der Ge- ſetzgebung. Es finden ſich nur ſehr wenige, aus dem Prin- cip nicht abzuleitende, alſo ganz poſitive Zuſätze; dieſe aber ſind nicht nur ſo unbedeutend, ſondern auch als bloße Ausnahmen ſo beſtimmt und deutlich in unſren Rechtsquel- len anerkannt, daß ſie die Wahrheit des Princips viel- mehr beſtätigen, als zweifelhaft machen. Um jenes Princip zu finden, gehe ich von der Zerglie- derung eines einzelnen Rechtsgeſchäfts aus, woraus ſicher- lich eine Condiction entſpringt, nämlich des Darlehens, welches ich daher als Ausgangspunkt der ganzen Unter- ſuchung behandeln will. Ich muß erwarten, daß dieſes Verfahren als einſeitig und willkührlich getadelt werden möge; dieſer Vorwurf wird durch die Wahrnehmung wi- derlegt, daß unſre Rechtsquellen genau denſelben Weg einſchlagen, indem auch ſie das Darlehen an die Spitze der geſammten Lehre von den Condictionen ſtellen. In den Digeſten iſt der erſte Titel des zwölften Buchs überſchrieben: de rebus creditis, si certum petetur, et de

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/525
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/525>, abgerufen am 21.11.2024.