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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
Hier ist also das fari posse als gleichbedeutend gesetzt mit
dem Ablauf des siebenten Lebensjahres, und die Schluß-
worte auctoritatem praestent müssen in Gedanken ergänzt
werden durch si velint, so daß sie blos die Wiederho-
lung bilden sollen von den vorhergehenden Worten licen-
tia erit
(i).

2) L. 8 C. Th. de maternis bonis (8. 18.). Wenn ei-
nem in väterlicher Gewalt stehenden Sohn eine hereditas
oder bonorum possessio zufällt, so soll während der In-
fantia
der Vater allein den Erwerb besorgen, nach der
Kindheit, das heißt nach dem Ende des siebenten Lebens-

(i) Unterholzner (Note e)
nimmt in dieser Stelle die Un-
terscheidung von drey Lebensal-
tern an: 1) Kinder, die noch gar
nicht sprechen, 2) Von da bis
Sieben Jahre, 3) Über Sieben
Jahre. Im ersten soll nur der
Tutor allein handeln, im zweyten
soll er die Wahl haben, im drit-
ten sollen nur beide vereinigt han-
deln können. Zunächst wird aber
durch diese Erklärung dem Ulpian
eine sehr fehlerhafte Ausdrucks-
weise aufgebürdet, wie dieses der
oben angeführte Recensent S. 678
ausgeführt hat. Ganz entschei-
dend aber gegen diese Erklärung
ist Folgendes. Unter jenen drey
Sätzen wäre der wichtigste der
dritte, durch welchen es dem Tu-
tor untersagt seyn soll, für den
schon Siebenjährigen den Prozeß
allein zu führen. Allein dieser
wichtigste Satz ist auch ganz ge-
wiß falsch. Für die active Pro-
zeßführung (im § 2 ist von der
passiven die Rede) giebt der § 4
dem Tutor ohne alle Einschrän-
kung die Befugniß, allein zu han-
deln. Besonders aber hat diese
uneingeschränkte Befugniß, so-
wohl bey der activen als bey der
passiven Prozeßführung, auch der
Curator eines Minderjährigen
(L. 1 cit. § 3. 4). Es ist aber
völlig undenkbar, daß jemals die-
ser Curator sollte ein ausgedehn-
teres Recht gehabt haben, als der
Tutor eines Unmündigen über
Sieben Jahre. Nimmt man nun
aus diesen Gründen an, daß der
am Ende stehende Ausdruck aucto-
ritatem praestent
eben so wie
der vorhergehende licentia erit,
dem Tutor die Wahl läßt, so
unterscheidet Ulpian überhaupt
nicht Drey Lebensalter, sondern
nur Zwey.

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Hier iſt alſo das fari posse als gleichbedeutend geſetzt mit
dem Ablauf des ſiebenten Lebensjahres, und die Schluß-
worte auctoritatem praestent müſſen in Gedanken ergänzt
werden durch si velint, ſo daß ſie blos die Wiederho-
lung bilden ſollen von den vorhergehenden Worten licen-
tia erit
(i).

2) L. 8 C. Th. de maternis bonis (8. 18.). Wenn ei-
nem in vaͤterlicher Gewalt ſtehenden Sohn eine hereditas
oder bonorum possessio zufällt, ſo ſoll während der In-
fantia
der Vater allein den Erwerb beſorgen, nach der
Kindheit, das heißt nach dem Ende des ſiebenten Lebens-

(i) Unterholzner (Note e)
nimmt in dieſer Stelle die Un-
terſcheidung von drey Lebensal-
tern an: 1) Kinder, die noch gar
nicht ſprechen, 2) Von da bis
Sieben Jahre, 3) Über Sieben
Jahre. Im erſten ſoll nur der
Tutor allein handeln, im zweyten
ſoll er die Wahl haben, im drit-
ten ſollen nur beide vereinigt han-
deln können. Zunächſt wird aber
durch dieſe Erklärung dem Ulpian
eine ſehr fehlerhafte Ausdrucks-
weiſe aufgebürdet, wie dieſes der
oben angeführte Recenſent S. 678
ausgeführt hat. Ganz entſchei-
dend aber gegen dieſe Erklärung
iſt Folgendes. Unter jenen drey
Sätzen wäre der wichtigſte der
dritte, durch welchen es dem Tu-
tor unterſagt ſeyn ſoll, für den
ſchon Siebenjährigen den Prozeß
allein zu führen. Allein dieſer
wichtigſte Satz iſt auch ganz ge-
wiß falſch. Für die active Pro-
zeßführung (im § 2 iſt von der
paſſiven die Rede) giebt der § 4
dem Tutor ohne alle Einſchrän-
kung die Befugniß, allein zu han-
deln. Beſonders aber hat dieſe
uneingeſchränkte Befugniß, ſo-
wohl bey der activen als bey der
paſſiven Prozeßführung, auch der
Curator eines Minderjährigen
(L. 1 cit. § 3. 4). Es iſt aber
völlig undenkbar, daß jemals die-
ſer Curator ſollte ein ausgedehn-
teres Recht gehabt haben, als der
Tutor eines Unmündigen über
Sieben Jahre. Nimmt man nun
aus dieſen Gründen an, daß der
am Ende ſtehende Ausdruck aucto-
ritatem praestent
eben ſo wie
der vorhergehende licentia erit,
dem Tutor die Wahl läßt, ſo
unterſcheidet Ulpian überhaupt
nicht Drey Lebensalter, ſondern
nur Zwey.
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[34/0046] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. Hier iſt alſo das fari posse als gleichbedeutend geſetzt mit dem Ablauf des ſiebenten Lebensjahres, und die Schluß- worte auctoritatem praestent müſſen in Gedanken ergänzt werden durch si velint, ſo daß ſie blos die Wiederho- lung bilden ſollen von den vorhergehenden Worten licen- tia erit (i). 2) L. 8 C. Th. de maternis bonis (8. 18.). Wenn ei- nem in vaͤterlicher Gewalt ſtehenden Sohn eine hereditas oder bonorum possessio zufällt, ſo ſoll während der In- fantia der Vater allein den Erwerb beſorgen, nach der Kindheit, das heißt nach dem Ende des ſiebenten Lebens- (i) Unterholzner (Note e) nimmt in dieſer Stelle die Un- terſcheidung von drey Lebensal- tern an: 1) Kinder, die noch gar nicht ſprechen, 2) Von da bis Sieben Jahre, 3) Über Sieben Jahre. Im erſten ſoll nur der Tutor allein handeln, im zweyten ſoll er die Wahl haben, im drit- ten ſollen nur beide vereinigt han- deln können. Zunächſt wird aber durch dieſe Erklärung dem Ulpian eine ſehr fehlerhafte Ausdrucks- weiſe aufgebürdet, wie dieſes der oben angeführte Recenſent S. 678 ausgeführt hat. Ganz entſchei- dend aber gegen dieſe Erklärung iſt Folgendes. Unter jenen drey Sätzen wäre der wichtigſte der dritte, durch welchen es dem Tu- tor unterſagt ſeyn ſoll, für den ſchon Siebenjährigen den Prozeß allein zu führen. Allein dieſer wichtigſte Satz iſt auch ganz ge- wiß falſch. Für die active Pro- zeßführung (im § 2 iſt von der paſſiven die Rede) giebt der § 4 dem Tutor ohne alle Einſchrän- kung die Befugniß, allein zu han- deln. Beſonders aber hat dieſe uneingeſchränkte Befugniß, ſo- wohl bey der activen als bey der paſſiven Prozeßführung, auch der Curator eines Minderjährigen (L. 1 cit. § 3. 4). Es iſt aber völlig undenkbar, daß jemals die- ſer Curator ſollte ein ausgedehn- teres Recht gehabt haben, als der Tutor eines Unmündigen über Sieben Jahre. Nimmt man nun aus dieſen Gründen an, daß der am Ende ſtehende Ausdruck aucto- ritatem praestent eben ſo wie der vorhergehende licentia erit, dem Tutor die Wahl läßt, ſo unterſcheidet Ulpian überhaupt nicht Drey Lebensalter, ſondern nur Zwey.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/46>, abgerufen am 26.04.2024.