§. 71. Anomalische Rechte in Beziehung auf Rechtsfähigkeit und capitis deminutio.
Wir finden eine nicht geringe Zahl von Rechten, auf welche die hier festgestellten Regeln über Rechtsfähigkeit und capitis deminutio mehr oder weniger unanwendbar sind. Der Grund dieser Unanwendbarkeit liegt darin, daß jene Rechte, obgleich ihrer Form nach mit anderen Rech- ten gleichartig, dennoch mehr den natürlichen, oder den politischen Menschen, als den juristischen (den Träger der Privat-Rechtsverhältnisse) angehen, so daß durch sie irgend Etwas bewirkt werden soll, das durch die so eben darge- stellte Rechtsunfähigkeit nicht berührt wird. Diese Ano- malien kommen am häufigsten und vollständigsten vor in- nerhalb des Vermögensrechts: ferner so, daß dadurch ein Klagerecht möglich wird, wo es nach den aufgestellten Regeln nicht erwartet werden möchte: endlich in Bezie- hung auf den filiusfamilias und die minima capitis demi- nutio; jedoch sind sie auf diese Gränzen keinesweges völlig eingeschränkt. -- Dabey muß vor Allem gegen das mögliche Misverständniß gewarnt werden, als ständen alle hierher gehörenden Fälle auf gleicher Linie, etwa so, daß nun in jedem derselben gar keine Gränze der Rechtsfähigkeit anzuerkennen wäre. Vielmehr wird hier lediglich eine ge- meinschaftliche, leitende Rücksicht angegeben, wodurch bey
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
§. 71. Anomaliſche Rechte in Beziehung auf Rechtsfähigkeit und capitis deminutio.
Wir finden eine nicht geringe Zahl von Rechten, auf welche die hier feſtgeſtellten Regeln über Rechtsfähigkeit und capitis deminutio mehr oder weniger unanwendbar ſind. Der Grund dieſer Unanwendbarkeit liegt darin, daß jene Rechte, obgleich ihrer Form nach mit anderen Rech- ten gleichartig, dennoch mehr den natürlichen, oder den politiſchen Menſchen, als den juriſtiſchen (den Träger der Privat-Rechtsverhältniſſe) angehen, ſo daß durch ſie irgend Etwas bewirkt werden ſoll, das durch die ſo eben darge- ſtellte Rechtsunfähigkeit nicht berührt wird. Dieſe Ano- malien kommen am häufigſten und vollſtändigſten vor in- nerhalb des Vermögensrechts: ferner ſo, daß dadurch ein Klagerecht moͤglich wird, wo es nach den aufgeſtellten Regeln nicht erwartet werden möchte: endlich in Bezie- hung auf den filiusfamilias und die minima capitis demi- nutio; jedoch ſind ſie auf dieſe Gränzen keinesweges voͤllig eingeſchränkt. — Dabey muß vor Allem gegen das mögliche Misverſtändniß gewarnt werden, als ſtänden alle hierher gehörenden Fälle auf gleicher Linie, etwa ſo, daß nun in jedem derſelben gar keine Gränze der Rechtsfähigkeit anzuerkennen wäre. Vielmehr wird hier lediglich eine ge- meinſchaftliche, leitende Rückſicht angegeben, wodurch bey
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0104"n="90"/><fwplace="top"type="header">Buch <hirendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hirendition="#aq">II.</hi> Perſonen.</fw><lb/><divn="3"><head>§. 71.<lb/><hirendition="#g">Anomaliſche Rechte in Beziehung auf Rechtsfähigkeit<lb/>
und <hirendition="#aq">capitis deminutio</hi></hi>.</head><lb/><p>Wir finden eine nicht geringe Zahl von Rechten, auf<lb/>
welche die hier feſtgeſtellten Regeln über Rechtsfähigkeit<lb/>
und <hirendition="#aq">capitis deminutio</hi> mehr oder weniger unanwendbar<lb/>ſind. Der Grund dieſer Unanwendbarkeit liegt darin, daß<lb/>
jene Rechte, obgleich ihrer Form nach mit anderen Rech-<lb/>
ten gleichartig, dennoch mehr den natürlichen, oder den<lb/>
politiſchen Menſchen, als den juriſtiſchen (den Träger der<lb/>
Privat-Rechtsverhältniſſe) angehen, ſo daß durch ſie irgend<lb/>
Etwas bewirkt werden ſoll, das durch die ſo eben darge-<lb/>ſtellte Rechtsunfähigkeit nicht berührt wird. Dieſe Ano-<lb/>
malien kommen am häufigſten und vollſtändigſten vor in-<lb/>
nerhalb des Vermögensrechts: ferner ſo, daß dadurch ein<lb/>
Klagerecht moͤglich wird, wo es nach den aufgeſtellten<lb/>
Regeln nicht erwartet werden möchte: endlich in Bezie-<lb/>
hung auf den <hirendition="#aq">filiusfamilias</hi> und die <hirendition="#aq">minima capitis demi-<lb/>
nutio;</hi> jedoch ſind ſie auf dieſe Gränzen keinesweges voͤllig<lb/>
eingeſchränkt. — Dabey muß vor Allem gegen das mögliche<lb/>
Misverſtändniß gewarnt werden, als ſtänden alle hierher<lb/>
gehörenden Fälle auf gleicher Linie, etwa ſo, daß nun<lb/>
in jedem derſelben gar keine Gränze der Rechtsfähigkeit<lb/>
anzuerkennen wäre. Vielmehr wird hier lediglich eine ge-<lb/>
meinſchaftliche, leitende Rückſicht angegeben, wodurch bey<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[90/0104]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
§. 71.
Anomaliſche Rechte in Beziehung auf Rechtsfähigkeit
und capitis deminutio.
Wir finden eine nicht geringe Zahl von Rechten, auf
welche die hier feſtgeſtellten Regeln über Rechtsfähigkeit
und capitis deminutio mehr oder weniger unanwendbar
ſind. Der Grund dieſer Unanwendbarkeit liegt darin, daß
jene Rechte, obgleich ihrer Form nach mit anderen Rech-
ten gleichartig, dennoch mehr den natürlichen, oder den
politiſchen Menſchen, als den juriſtiſchen (den Träger der
Privat-Rechtsverhältniſſe) angehen, ſo daß durch ſie irgend
Etwas bewirkt werden ſoll, das durch die ſo eben darge-
ſtellte Rechtsunfähigkeit nicht berührt wird. Dieſe Ano-
malien kommen am häufigſten und vollſtändigſten vor in-
nerhalb des Vermögensrechts: ferner ſo, daß dadurch ein
Klagerecht moͤglich wird, wo es nach den aufgeſtellten
Regeln nicht erwartet werden möchte: endlich in Bezie-
hung auf den filiusfamilias und die minima capitis demi-
nutio; jedoch ſind ſie auf dieſe Gränzen keinesweges voͤllig
eingeſchränkt. — Dabey muß vor Allem gegen das mögliche
Misverſtändniß gewarnt werden, als ſtänden alle hierher
gehörenden Fälle auf gleicher Linie, etwa ſo, daß nun
in jedem derſelben gar keine Gränze der Rechtsfähigkeit
anzuerkennen wäre. Vielmehr wird hier lediglich eine ge-
meinſchaftliche, leitende Rückſicht angegeben, wodurch bey
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/104>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.