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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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Muse ähnliche Figur der Allegorie erscheint Vielen als die
schönste Gestalt, welche die neuere Kunst im Einzelnen hervor-
gebracht. In dem Zwickel desselben Gewölbtheiles der Sieg
des Edlen über das Gemeine, die Strafe des Marsyas. Im
Halbrunde über dem Fenster der Parnaß, in welchem neben
den alten Dichtern auch neuere ihre Stelle gefunden. In
dem noch übrigen Raum dieser Wand die zierlichsten Gesims-
bilder, voll anmuthiger Beziehungen auf Dinge der Poesie.

Verschiedentlich hat man über den allgemeinen Gedanken
dieses allegorischen Cyclus mit Raphael gehadert, den Künst-
ler, nicht allein für die Lösung, nein auch für die Aufgabe
an sich selbst zur Verantwortung gezogen. Vielleicht übersah
man, daß die Aufgabe damals (wie sich's gehört) noch im-
mer von denen ausging, welche die Gemälde begehrten und
belohnten; unter allen Umständen aber verkümmert man sich
ganz unnöthig den schönsten Genuß, indem man Angesichts
des Vortrefflichen mit den Ansichten rechtet, in welchen das-
selbe einen Stützpunct gefunden hat. Künstlerisch angesehn,
möchte indeß die früheste der vaticanischen Stanzen dem Ta-
del unterliegen, daß sie durch ihre Fülle blende. Denn mit
welchen Vorsätzen wir eintreten mögen, so wird doch bey die-
sem Reichthum schöner und anziehender Gemälde nicht leicht
die Muße gewonnen, mit dessen untergeordneten Bildern sich
zu beschäftigen, aus vielen Hunderten ein neues, bis dahin
unbeachtetes Antlitz hervorzuheben. Die erdrückende Wirkung
dieser Gestaltenfülle scheint Raphael aufgefallen zu seyn.
Denn er vereinfachte in seinen späteren Wandgemälden die
Eintheilungen, und gab im Fortgang der Zeit mehr und
mehr der Ansicht Raum, bey Mauergemälden das Architecto-
nische durchgehend vorwalten zu lassen.

Muſe aͤhnliche Figur der Allegorie erſcheint Vielen als die
ſchoͤnſte Geſtalt, welche die neuere Kunſt im Einzelnen hervor-
gebracht. In dem Zwickel deſſelben Gewoͤlbtheiles der Sieg
des Edlen uͤber das Gemeine, die Strafe des Marſyas. Im
Halbrunde uͤber dem Fenſter der Parnaß, in welchem neben
den alten Dichtern auch neuere ihre Stelle gefunden. In
dem noch uͤbrigen Raum dieſer Wand die zierlichſten Geſims-
bilder, voll anmuthiger Beziehungen auf Dinge der Poeſie.

Verſchiedentlich hat man uͤber den allgemeinen Gedanken
dieſes allegoriſchen Cyclus mit Raphael gehadert, den Kuͤnſt-
ler, nicht allein fuͤr die Loͤſung, nein auch fuͤr die Aufgabe
an ſich ſelbſt zur Verantwortung gezogen. Vielleicht uͤberſah
man, daß die Aufgabe damals (wie ſich’s gehoͤrt) noch im-
mer von denen ausging, welche die Gemaͤlde begehrten und
belohnten; unter allen Umſtaͤnden aber verkuͤmmert man ſich
ganz unnoͤthig den ſchoͤnſten Genuß, indem man Angeſichts
des Vortrefflichen mit den Anſichten rechtet, in welchen daſ-
ſelbe einen Stuͤtzpunct gefunden hat. Kuͤnſtleriſch angeſehn,
moͤchte indeß die fruͤheſte der vaticaniſchen Stanzen dem Ta-
del unterliegen, daß ſie durch ihre Fuͤlle blende. Denn mit
welchen Vorſaͤtzen wir eintreten moͤgen, ſo wird doch bey die-
ſem Reichthum ſchoͤner und anziehender Gemaͤlde nicht leicht
die Muße gewonnen, mit deſſen untergeordneten Bildern ſich
zu beſchaͤftigen, aus vielen Hunderten ein neues, bis dahin
unbeachtetes Antlitz hervorzuheben. Die erdruͤckende Wirkung
dieſer Geſtaltenfuͤlle ſcheint Raphael aufgefallen zu ſeyn.
Denn er vereinfachte in ſeinen ſpaͤteren Wandgemaͤlden die
Eintheilungen, und gab im Fortgang der Zeit mehr und
mehr der Anſicht Raum, bey Mauergemaͤlden das Architecto-
niſche durchgehend vorwalten zu laſſen.

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[101/0123] Muſe aͤhnliche Figur der Allegorie erſcheint Vielen als die ſchoͤnſte Geſtalt, welche die neuere Kunſt im Einzelnen hervor- gebracht. In dem Zwickel deſſelben Gewoͤlbtheiles der Sieg des Edlen uͤber das Gemeine, die Strafe des Marſyas. Im Halbrunde uͤber dem Fenſter der Parnaß, in welchem neben den alten Dichtern auch neuere ihre Stelle gefunden. In dem noch uͤbrigen Raum dieſer Wand die zierlichſten Geſims- bilder, voll anmuthiger Beziehungen auf Dinge der Poeſie. Verſchiedentlich hat man uͤber den allgemeinen Gedanken dieſes allegoriſchen Cyclus mit Raphael gehadert, den Kuͤnſt- ler, nicht allein fuͤr die Loͤſung, nein auch fuͤr die Aufgabe an ſich ſelbſt zur Verantwortung gezogen. Vielleicht uͤberſah man, daß die Aufgabe damals (wie ſich’s gehoͤrt) noch im- mer von denen ausging, welche die Gemaͤlde begehrten und belohnten; unter allen Umſtaͤnden aber verkuͤmmert man ſich ganz unnoͤthig den ſchoͤnſten Genuß, indem man Angeſichts des Vortrefflichen mit den Anſichten rechtet, in welchen daſ- ſelbe einen Stuͤtzpunct gefunden hat. Kuͤnſtleriſch angeſehn, moͤchte indeß die fruͤheſte der vaticaniſchen Stanzen dem Ta- del unterliegen, daß ſie durch ihre Fuͤlle blende. Denn mit welchen Vorſaͤtzen wir eintreten moͤgen, ſo wird doch bey die- ſem Reichthum ſchoͤner und anziehender Gemaͤlde nicht leicht die Muße gewonnen, mit deſſen untergeordneten Bildern ſich zu beſchaͤftigen, aus vielen Hunderten ein neues, bis dahin unbeachtetes Antlitz hervorzuheben. Die erdruͤckende Wirkung dieſer Geſtaltenfuͤlle ſcheint Raphael aufgefallen zu ſeyn. Denn er vereinfachte in ſeinen ſpaͤteren Wandgemaͤlden die Eintheilungen, und gab im Fortgang der Zeit mehr und mehr der Anſicht Raum, bey Mauergemaͤlden das Architecto- niſche durchgehend vorwalten zu laſſen.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/123>, abgerufen am 26.04.2024.