In der Lehre des Heraklit von Ephesus tritt stärker als bei den älteren Ioniern in der unlöslich gedachten Ver- bindung von Stoff und Bewegungskraft die lebendige Kraft des Urwesens hervor, des All und Einen 1), aus dem durch Ver- wandlung das Viele und Einzelne entsteht. Jenen gilt der Stoff, bestimmt benannt oder nicht nach einer einzelnen Quali- tät bestimmt, wie selbstverständlich zugleich als belebt und be- wegt. Bei Heraklit ist der Urgrund aller Mannichfaltigkeit der Bildungen die absolute Lebendigkeit, die Kraft des Wer- dens selbst, die zugleich als ein bestimmter Stoff, oder einem der bekannten Stoffe analog gedacht ist. Das Lebendige und so auch diejenige Form des Lebendigen, die im Menschen er- scheint, müssen ihm wichtiger werden als seinen Vorgängern.
Der Träger der nie ruhenden, anfanglosen und nie enden- den Werdekraft und Werdethätigkeit ist das Heisse, Trockene, benannt mit dem Namen des Elementarzustandes, der ohne Bewegung nicht gedacht werden kann, des Feuers. Das stets lebendige (aeizoon) Feuer, das periodisch sich entzündet und periodisch erlischt (fr. 20), ist ganz Bewegung und Lebendig- keit. Leben ist alles, Leben aber ist Werden, sich Wandeln, anders werden ohne Rast. Jede Erscheinung treibt schon in dem Moment ihres Hervortretens ihr Gegentheil aus sich her- vor; Geburt, Leben und Tod und neue Geburt schlagen, wie in den Gebilden des Blitzes (fr. 28), in Einem flammenden Augenblick zusammen.
Was so in ewiger Lebendigkeit sich regt, im Werden allein sein Sein hat, sich wandelt, und in "zurückstrebender Span- nung" sich selbst wiederfindet, ist ein vernunftbegabtes, nach Vernunft und "Kunst" bildendes, die Vernunft (logos) selbst. Es verliert sich in der Weltbildung an die Elemente; sein "Tod" (fr. 66. 67) ist es, wenn es im "Wege abwärts" zu Wasser, zu Erde wird (fr. 21). Es giebt eine Werthabstufung
1) en panta einai fragm. 1 (Byw.).
3.
In der Lehre des Heraklit von Ephesus tritt stärker als bei den älteren Ioniern in der unlöslich gedachten Ver- bindung von Stoff und Bewegungskraft die lebendige Kraft des Urwesens hervor, des All und Einen 1), aus dem durch Ver- wandlung das Viele und Einzelne entsteht. Jenen gilt der Stoff, bestimmt benannt oder nicht nach einer einzelnen Quali- tät bestimmt, wie selbstverständlich zugleich als belebt und be- wegt. Bei Heraklit ist der Urgrund aller Mannichfaltigkeit der Bildungen die absolute Lebendigkeit, die Kraft des Wer- dens selbst, die zugleich als ein bestimmter Stoff, oder einem der bekannten Stoffe analog gedacht ist. Das Lebendige und so auch diejenige Form des Lebendigen, die im Menschen er- scheint, müssen ihm wichtiger werden als seinen Vorgängern.
Der Träger der nie ruhenden, anfanglosen und nie enden- den Werdekraft und Werdethätigkeit ist das Heisse, Trockene, benannt mit dem Namen des Elementarzustandes, der ohne Bewegung nicht gedacht werden kann, des Feuers. Das stets lebendige (ἀείζωον) Feuer, das periodisch sich entzündet und periodisch erlischt (fr. 20), ist ganz Bewegung und Lebendig- keit. Leben ist alles, Leben aber ist Werden, sich Wandeln, anders werden ohne Rast. Jede Erscheinung treibt schon in dem Moment ihres Hervortretens ihr Gegentheil aus sich her- vor; Geburt, Leben und Tod und neue Geburt schlagen, wie in den Gebilden des Blitzes (fr. 28), in Einem flammenden Augenblick zusammen.
Was so in ewiger Lebendigkeit sich regt, im Werden allein sein Sein hat, sich wandelt, und in „zurückstrebender Span- nung“ sich selbst wiederfindet, ist ein vernunftbegabtes, nach Vernunft und „Kunst“ bildendes, die Vernunft (λόγος) selbst. Es verliert sich in der Weltbildung an die Elemente; sein „Tod“ (fr. 66. 67) ist es, wenn es im „Wege abwärts“ zu Wasser, zu Erde wird (fr. 21). Es giebt eine Werthabstufung
1) ἓν πάντα εἶναι fragm. 1 (Byw.).
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0453"n="437"/><divn="2"><head>3.</head><lb/><p>In der Lehre des <hirendition="#g">Heraklit</hi> von Ephesus tritt stärker<lb/>
als bei den älteren Ioniern in der unlöslich gedachten Ver-<lb/>
bindung von Stoff und Bewegungskraft die lebendige Kraft des<lb/>
Urwesens hervor, des All und Einen <noteplace="foot"n="1)">ἓνπάνταεἶναι<hirendition="#i">fragm.</hi> 1 (Byw.).</note>, aus dem durch Ver-<lb/>
wandlung das Viele und Einzelne entsteht. Jenen gilt der<lb/>
Stoff, bestimmt benannt oder nicht nach einer einzelnen Quali-<lb/>
tät bestimmt, wie selbstverständlich zugleich als belebt und be-<lb/>
wegt. Bei Heraklit ist der Urgrund aller Mannichfaltigkeit<lb/>
der Bildungen die absolute Lebendigkeit, die Kraft des Wer-<lb/>
dens selbst, die zugleich als ein bestimmter Stoff, oder einem<lb/>
der bekannten Stoffe analog gedacht ist. Das Lebendige und<lb/>
so auch diejenige Form des Lebendigen, die im Menschen er-<lb/>
scheint, müssen ihm wichtiger werden als seinen Vorgängern.</p><lb/><p>Der Träger der nie ruhenden, anfanglosen und nie enden-<lb/>
den Werdekraft und Werdethätigkeit ist das Heisse, Trockene,<lb/>
benannt mit dem Namen des Elementarzustandes, der ohne<lb/>
Bewegung nicht gedacht werden kann, des Feuers. Das stets<lb/>
lebendige (ἀείζωον) Feuer, das periodisch sich entzündet und<lb/>
periodisch erlischt (<hirendition="#i">fr.</hi> 20), ist ganz Bewegung und Lebendig-<lb/>
keit. Leben ist alles, Leben aber ist Werden, sich Wandeln,<lb/>
anders werden ohne Rast. Jede Erscheinung treibt schon in<lb/>
dem Moment ihres Hervortretens ihr Gegentheil aus sich her-<lb/>
vor; Geburt, Leben und Tod und neue Geburt schlagen, wie<lb/>
in den Gebilden des Blitzes (<hirendition="#i">fr.</hi> 28), in Einem flammenden<lb/>
Augenblick zusammen.</p><lb/><p>Was so in ewiger Lebendigkeit sich regt, im Werden allein<lb/>
sein Sein hat, sich wandelt, und in „zurückstrebender Span-<lb/>
nung“ sich selbst wiederfindet, ist ein vernunftbegabtes, nach<lb/>
Vernunft und „Kunst“ bildendes, die Vernunft (λόγος) selbst.<lb/>
Es verliert sich in der Weltbildung an die Elemente; sein<lb/>„Tod“ (<hirendition="#i">fr.</hi> 66. 67) ist es, wenn es im „Wege abwärts“ zu<lb/>
Wasser, zu Erde wird (<hirendition="#i">fr.</hi> 21). Es giebt eine Werthabstufung<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[437/0453]
3.
In der Lehre des Heraklit von Ephesus tritt stärker
als bei den älteren Ioniern in der unlöslich gedachten Ver-
bindung von Stoff und Bewegungskraft die lebendige Kraft des
Urwesens hervor, des All und Einen 1), aus dem durch Ver-
wandlung das Viele und Einzelne entsteht. Jenen gilt der
Stoff, bestimmt benannt oder nicht nach einer einzelnen Quali-
tät bestimmt, wie selbstverständlich zugleich als belebt und be-
wegt. Bei Heraklit ist der Urgrund aller Mannichfaltigkeit
der Bildungen die absolute Lebendigkeit, die Kraft des Wer-
dens selbst, die zugleich als ein bestimmter Stoff, oder einem
der bekannten Stoffe analog gedacht ist. Das Lebendige und
so auch diejenige Form des Lebendigen, die im Menschen er-
scheint, müssen ihm wichtiger werden als seinen Vorgängern.
Der Träger der nie ruhenden, anfanglosen und nie enden-
den Werdekraft und Werdethätigkeit ist das Heisse, Trockene,
benannt mit dem Namen des Elementarzustandes, der ohne
Bewegung nicht gedacht werden kann, des Feuers. Das stets
lebendige (ἀείζωον) Feuer, das periodisch sich entzündet und
periodisch erlischt (fr. 20), ist ganz Bewegung und Lebendig-
keit. Leben ist alles, Leben aber ist Werden, sich Wandeln,
anders werden ohne Rast. Jede Erscheinung treibt schon in
dem Moment ihres Hervortretens ihr Gegentheil aus sich her-
vor; Geburt, Leben und Tod und neue Geburt schlagen, wie
in den Gebilden des Blitzes (fr. 28), in Einem flammenden
Augenblick zusammen.
Was so in ewiger Lebendigkeit sich regt, im Werden allein
sein Sein hat, sich wandelt, und in „zurückstrebender Span-
nung“ sich selbst wiederfindet, ist ein vernunftbegabtes, nach
Vernunft und „Kunst“ bildendes, die Vernunft (λόγος) selbst.
Es verliert sich in der Weltbildung an die Elemente; sein
„Tod“ (fr. 66. 67) ist es, wenn es im „Wege abwärts“ zu
Wasser, zu Erde wird (fr. 21). Es giebt eine Werthabstufung
1) ἓν πάντα εἶναι fragm. 1 (Byw.).
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/453>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.