Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



leicht deinen empfindlichen Kummer ein wenig un-
terbrechen: wenigstens kann es dieß nach Verlauf
einiger Zeit thun; wo nicht itzo.

Was für elende Geschöpfe giebt es in der
Welt! Was für wunderlich gemischte Gemüths-
arten! - - So empfindlich und so thöricht zu-
gleich! Was für ein mannichfaltiges, was für
ein thörichtes Geschöpfe ist der Mensch! - -


Die Fräulein hat eben ihren Brief zu Ende
gebracht, und die Fr. Lovick, Fr. Smithinn
und mich mit einer vortrefflichen Unterredung von
der Eitelkeit und Kürze des Lebens unterhalten.
Jch kann sie nicht vollkommen wiederholen: und,
in Wahrheit, ich bin um sie so bekümmert, daß,
so krank sie auch ist, mein Verstand nicht halb so
aufgekläret ist, als der ihrige.

Auf einige wenige Dinge, die so wohl wegen
der Betrachtungen selbst, als wegen der Art und
Weise, womit sie sie vortrug, den stärksten Ein-
druck bey mir machten, besinne ich mich. Sie
brachte sie folgendergestalt vor:

Jch denke, sprach sie, was für einen allmähli-
gen und glücklichen Tod mir Gott der Allmäch-
tige; gelobet sey sein Name! verleihet! Wer hät-
te denken sollen, daß, nach allem dem, was ich ge-
litten habe, und so verlassen als ich gewesen bin,
bey einer so zärtlichen Erziehung, ich so langsam
sterben würde! - - Allein man sehe, wie es nach
und nach so weit gekommen ist. Zuerst ward

mir



leicht deinen empfindlichen Kummer ein wenig un-
terbrechen: wenigſtens kann es dieß nach Verlauf
einiger Zeit thun; wo nicht itzo.

Was fuͤr elende Geſchoͤpfe giebt es in der
Welt! Was fuͤr wunderlich gemiſchte Gemuͤths-
arten! ‒ ‒ So empfindlich und ſo thoͤricht zu-
gleich! Was fuͤr ein mannichfaltiges, was fuͤr
ein thoͤrichtes Geſchoͤpfe iſt der Menſch! ‒ ‒


Die Fraͤulein hat eben ihren Brief zu Ende
gebracht, und die Fr. Lovick, Fr. Smithinn
und mich mit einer vortrefflichen Unterredung von
der Eitelkeit und Kuͤrze des Lebens unterhalten.
Jch kann ſie nicht vollkommen wiederholen: und,
in Wahrheit, ich bin um ſie ſo bekuͤmmert, daß,
ſo krank ſie auch iſt, mein Verſtand nicht halb ſo
aufgeklaͤret iſt, als der ihrige.

Auf einige wenige Dinge, die ſo wohl wegen
der Betrachtungen ſelbſt, als wegen der Art und
Weiſe, womit ſie ſie vortrug, den ſtaͤrkſten Ein-
druck bey mir machten, beſinne ich mich. Sie
brachte ſie folgendergeſtalt vor:

Jch denke, ſprach ſie, was fuͤr einen allmaͤhli-
gen und gluͤcklichen Tod mir Gott der Allmaͤch-
tige; gelobet ſey ſein Name! verleihet! Wer haͤt-
te denken ſollen, daß, nach allem dem, was ich ge-
litten habe, und ſo verlaſſen als ich geweſen bin,
bey einer ſo zaͤrtlichen Erziehung, ich ſo langſam
ſterben wuͤrde! ‒ ‒ Allein man ſehe, wie es nach
und nach ſo weit gekommen iſt. Zuerſt ward

mir
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0382" n="376"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
leicht deinen empfindlichen Kummer ein wenig un-<lb/>
terbrechen: wenig&#x017F;tens kann es dieß nach Verlauf<lb/>
einiger Zeit thun; wo nicht itzo.</p><lb/>
            <p>Was fu&#x0364;r elende Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe giebt es in der<lb/>
Welt! Was fu&#x0364;r wunderlich gemi&#x017F;chte Gemu&#x0364;ths-<lb/>
arten! &#x2012; &#x2012; So empfindlich und &#x017F;o tho&#x0364;richt zu-<lb/>
gleich! Was fu&#x0364;r ein <hi rendition="#fr">mannichfaltiges,</hi> was fu&#x0364;r<lb/>
ein <hi rendition="#fr">tho&#x0364;richtes</hi> Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe i&#x017F;t der Men&#x017F;ch! &#x2012; &#x2012;</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Um drey.</hi> </dateline><lb/>
            <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Fra&#x0364;ulein hat eben ihren Brief zu Ende<lb/>
gebracht, und die Fr. Lovick, Fr. Smithinn<lb/>
und mich mit einer vortrefflichen Unterredung von<lb/>
der Eitelkeit und Ku&#x0364;rze des Lebens unterhalten.<lb/>
Jch kann &#x017F;ie nicht vollkommen wiederholen: und,<lb/>
in Wahrheit, ich bin um &#x017F;ie &#x017F;o beku&#x0364;mmert, daß,<lb/>
&#x017F;o krank &#x017F;ie auch i&#x017F;t, mein Ver&#x017F;tand nicht halb &#x017F;o<lb/>
aufgekla&#x0364;ret i&#x017F;t, als der ihrige.</p><lb/>
            <p>Auf einige wenige Dinge, die &#x017F;o wohl wegen<lb/>
der Betrachtungen &#x017F;elb&#x017F;t, als wegen der Art und<lb/>
Wei&#x017F;e, womit &#x017F;ie &#x017F;ie vortrug, den &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten Ein-<lb/>
druck bey mir machten, be&#x017F;inne ich mich. Sie<lb/>
brachte &#x017F;ie folgenderge&#x017F;talt vor:</p><lb/>
            <p>Jch denke, &#x017F;prach &#x017F;ie, was fu&#x0364;r einen allma&#x0364;hli-<lb/>
gen und glu&#x0364;cklichen Tod mir Gott der Allma&#x0364;ch-<lb/>
tige; gelobet &#x017F;ey &#x017F;ein Name! verleihet! Wer ha&#x0364;t-<lb/>
te denken &#x017F;ollen, daß, nach allem dem, was ich ge-<lb/>
litten habe, und &#x017F;o verla&#x017F;&#x017F;en als ich gewe&#x017F;en bin,<lb/>
bey einer &#x017F;o za&#x0364;rtlichen Erziehung, ich &#x017F;o lang&#x017F;am<lb/>
&#x017F;terben wu&#x0364;rde! &#x2012; &#x2012; Allein man &#x017F;ehe, wie es nach<lb/>
und nach &#x017F;o weit gekommen i&#x017F;t. Zuer&#x017F;t ward<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mir</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[376/0382] leicht deinen empfindlichen Kummer ein wenig un- terbrechen: wenigſtens kann es dieß nach Verlauf einiger Zeit thun; wo nicht itzo. Was fuͤr elende Geſchoͤpfe giebt es in der Welt! Was fuͤr wunderlich gemiſchte Gemuͤths- arten! ‒ ‒ So empfindlich und ſo thoͤricht zu- gleich! Was fuͤr ein mannichfaltiges, was fuͤr ein thoͤrichtes Geſchoͤpfe iſt der Menſch! ‒ ‒ Um drey. Die Fraͤulein hat eben ihren Brief zu Ende gebracht, und die Fr. Lovick, Fr. Smithinn und mich mit einer vortrefflichen Unterredung von der Eitelkeit und Kuͤrze des Lebens unterhalten. Jch kann ſie nicht vollkommen wiederholen: und, in Wahrheit, ich bin um ſie ſo bekuͤmmert, daß, ſo krank ſie auch iſt, mein Verſtand nicht halb ſo aufgeklaͤret iſt, als der ihrige. Auf einige wenige Dinge, die ſo wohl wegen der Betrachtungen ſelbſt, als wegen der Art und Weiſe, womit ſie ſie vortrug, den ſtaͤrkſten Ein- druck bey mir machten, beſinne ich mich. Sie brachte ſie folgendergeſtalt vor: Jch denke, ſprach ſie, was fuͤr einen allmaͤhli- gen und gluͤcklichen Tod mir Gott der Allmaͤch- tige; gelobet ſey ſein Name! verleihet! Wer haͤt- te denken ſollen, daß, nach allem dem, was ich ge- litten habe, und ſo verlaſſen als ich geweſen bin, bey einer ſo zaͤrtlichen Erziehung, ich ſo langſam ſterben wuͤrde! ‒ ‒ Allein man ſehe, wie es nach und nach ſo weit gekommen iſt. Zuerſt ward mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/382
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/382>, abgerufen am 23.11.2024.