Der neun und vierzigste Brief von Fräulein Howe an Fräulein Clarissa Har- lowe.
Donnerstags frühe, den 20ten Jul.
Was, liebste Freundinn, haben Sie ausge- standen! - - Wie groß muß Jhre Angst bey einer so schändlichen Beschimpfung auf freyer Gassen und am hellen Tage gewesen seyn!
Kein Ende, denke ich, mit den unverdienten Drangsalen einer theuren Seele, die so unglück- lich einem schändlichen Freydenker in die Hände getrieben und verrätherischer weise übergeben ist! - - Wie erschrack ich bey dem Empfang Jhres Briefes, der von einer andern Hand geschrieben und nur von Jhnen in die Feder gegeben war! - - Sie müssen sich sehr übel befinden. Und es ist auch nicht zu verwundern. Allein ich hoffe, daß es vielmehr von Bestürzung, Schrecken und Niedergeschlagenheit herrühre, die sich über- winden lassen, als von einem eingerissenen Kum- mer, der solche Folgen haben möchte, woran es mir unerträglich wird, nur einmal zu gedenken.
Aber vor allen Dingen, meine Allerliebste, müssen sie den Muth nicht sinken lassen! Jn der That sie müssen den Muth nicht sinken lassen! Bisher haben sie nichts versehen: allein Ver-
zwei-
Der neun und vierzigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Har- lowe.
Donnerſtags fruͤhe, den 20ten Jul.
Was, liebſte Freundinn, haben Sie ausge- ſtanden! ‒ ‒ Wie groß muß Jhre Angſt bey einer ſo ſchaͤndlichen Beſchimpfung auf freyer Gaſſen und am hellen Tage geweſen ſeyn!
Kein Ende, denke ich, mit den unverdienten Drangſalen einer theuren Seele, die ſo ungluͤck- lich einem ſchaͤndlichen Freydenker in die Haͤnde getrieben und verraͤtheriſcher weiſe uͤbergeben iſt! ‒ ‒ Wie erſchrack ich bey dem Empfang Jhres Briefes, der von einer andern Hand geſchrieben und nur von Jhnen in die Feder gegeben war! ‒ ‒ Sie muͤſſen ſich ſehr uͤbel befinden. Und es iſt auch nicht zu verwundern. Allein ich hoffe, daß es vielmehr von Beſtuͤrzung, Schrecken und Niedergeſchlagenheit herruͤhre, die ſich uͤber- winden laſſen, als von einem eingeriſſenen Kum- mer, der ſolche Folgen haben moͤchte, woran es mir unertraͤglich wird, nur einmal zu gedenken.
Aber vor allen Dingen, meine Allerliebſte, muͤſſen ſie den Muth nicht ſinken laſſen! Jn der That ſie muͤſſen den Muth nicht ſinken laſſen! Bisher haben ſie nichts verſehen: allein Ver-
zwei-
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Der neun und vierzigſte Brief
von
Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Har-
lowe.
Donnerſtags fruͤhe, den 20ten Jul.
Was, liebſte Freundinn, haben Sie ausge-
ſtanden! ‒ ‒ Wie groß muß Jhre Angſt
bey einer ſo ſchaͤndlichen Beſchimpfung auf freyer
Gaſſen und am hellen Tage geweſen ſeyn!
Kein Ende, denke ich, mit den unverdienten
Drangſalen einer theuren Seele, die ſo ungluͤck-
lich einem ſchaͤndlichen Freydenker in die Haͤnde
getrieben und verraͤtheriſcher weiſe uͤbergeben iſt!
‒ ‒ Wie erſchrack ich bey dem Empfang Jhres
Briefes, der von einer andern Hand geſchrieben
und nur von Jhnen in die Feder gegeben war!
‒ ‒ Sie muͤſſen ſich ſehr uͤbel befinden. Und es
iſt auch nicht zu verwundern. Allein ich hoffe,
daß es vielmehr von Beſtuͤrzung, Schrecken und
Niedergeſchlagenheit herruͤhre, die ſich uͤber-
winden laſſen, als von einem eingeriſſenen Kum-
mer, der ſolche Folgen haben moͤchte, woran es
mir unertraͤglich wird, nur einmal zu gedenken.
Aber vor allen Dingen, meine Allerliebſte,
muͤſſen ſie den Muth nicht ſinken laſſen! Jn der
That ſie muͤſſen den Muth nicht ſinken laſſen!
Bisher haben ſie nichts verſehen: allein Ver-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/392>, abgerufen am 23.11.2024.
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