Der drey und funfzigste Brief von Herrn Lovelace an Hrn. Joh. Belford.
Dienstags, Abends, den 20ten Jun.
Noch kein Zutritt zu meiner Geliebten! Sie befindet sich sehr übel - - Es ist ein hefti- ges Fieber, glaubet Dorcas. Dennoch will sie keinen Rath haben.
Dorcas vermeldet ihr, wie sehr ich deswegen bekümmert sey.
Erlaube mir aber, noch einmal zu fragen: Thut diese Fräulein recht, daß sie sich krank ma- chet, wenn sie es doch nicht ist? Jch meines Orts, so ein Freygeist ich auch in den Gedanken der Welt bin, nahm etwas von dem Jpecacuan- ha ein, als ich nöthig hatte, krank zu werden, damit ich mich nicht einer Unwahrheit schuldig machte. Jch war auch recht herzlich krank: wie sie selbst, die damals Mitleiden mit mir hatte, wohl wußte. Wie unchristlich aber ist es hier, daß sie sich für sehr krank ausgiebet, nur, damit sie eine bequeme Gelegenheit bekomme, davon zu laufen, und einem Menschen, da sie beleidiget hat, nicht vergeben dürfe! - - Wo fromme Leute es für erlaubt halten, eine erkannte Pflicht auf die- se Art zu brechen und sich selbst dergleichen vor-
setz-
Der drey und funfzigſte Brief von Herrn Lovelace an Hrn. Joh. Belford.
Dienſtags, Abends, den 20ten Jun.
Noch kein Zutritt zu meiner Geliebten! Sie befindet ſich ſehr uͤbel ‒ ‒ Es iſt ein hefti- ges Fieber, glaubet Dorcas. Dennoch will ſie keinen Rath haben.
Dorcas vermeldet ihr, wie ſehr ich deswegen bekuͤmmert ſey.
Erlaube mir aber, noch einmal zu fragen: Thut dieſe Fraͤulein recht, daß ſie ſich krank ma- chet, wenn ſie es doch nicht iſt? Jch meines Orts, ſo ein Freygeiſt ich auch in den Gedanken der Welt bin, nahm etwas von dem Jpecacuan- ha ein, als ich noͤthig hatte, krank zu werden, damit ich mich nicht einer Unwahrheit ſchuldig machte. Jch war auch recht herzlich krank: wie ſie ſelbſt, die damals Mitleiden mit mir hatte, wohl wußte. Wie unchriſtlich aber iſt es hier, daß ſie ſich fuͤr ſehr krank ausgiebet, nur, damit ſie eine bequeme Gelegenheit bekomme, davon zu laufen, und einem Menſchen, da ſie beleidiget hat, nicht vergeben duͤrfe! ‒ ‒ Wo fromme Leute es fuͤr erlaubt halten, eine erkannte Pflicht auf die- ſe Art zu brechen und ſich ſelbſt dergleichen vor-
ſetz-
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Der drey und funfzigſte Brief
von
Herrn Lovelace an Hrn. Joh. Belford.
Dienſtags, Abends, den 20ten Jun.
Noch kein Zutritt zu meiner Geliebten! Sie
befindet ſich ſehr uͤbel ‒ ‒ Es iſt ein hefti-
ges Fieber, glaubet Dorcas. Dennoch will ſie
keinen Rath haben.
Dorcas vermeldet ihr, wie ſehr ich deswegen
bekuͤmmert ſey.
Erlaube mir aber, noch einmal zu fragen:
Thut dieſe Fraͤulein recht, daß ſie ſich krank ma-
chet, wenn ſie es doch nicht iſt? Jch meines
Orts, ſo ein Freygeiſt ich auch in den Gedanken
der Welt bin, nahm etwas von dem Jpecacuan-
ha ein, als ich noͤthig hatte, krank zu werden,
damit ich mich nicht einer Unwahrheit ſchuldig
machte. Jch war auch recht herzlich krank: wie
ſie ſelbſt, die damals Mitleiden mit mir hatte,
wohl wußte. Wie unchriſtlich aber iſt es hier,
daß ſie ſich fuͤr ſehr krank ausgiebet, nur, damit
ſie eine bequeme Gelegenheit bekomme, davon zu
laufen, und einem Menſchen, da ſie beleidiget hat,
nicht vergeben duͤrfe! ‒ ‒ Wo fromme Leute es
fuͤr erlaubt halten, eine erkannte Pflicht auf die-
ſe Art zu brechen und ſich ſelbſt dergleichen vor-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 728. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/734>, abgerufen am 30.12.2024.
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