Gemüthe eingepflantzet sind, die ich in meinem Herzen fand, ehe ich es hatte durch Schlüsse beleh- ren können, und die ich deswegen von dem Vater aller Geister herleiten muß. Diese Grund-Sätze zwingen mich, ihnen gemäß zu handeln, und ich hoffe in und ausser der Ehe bey ihnen nicht zu Schan- den zu werden, andere mögen mit mir umgehen, wie sie wollen.
Jch hoffe nicht, daß ich mich selbst betrüge, und nur einen Eigensinn entschuldige, weil ich ihn nicht gern überwinden will, anstatt, daß ich suchen sollte, meine vorigen Fehler zu verbessern. Unser Hertz ist betrüglich: ich bitte Sie, suchen Sie mein Hertz zu entdecken, das ohnehin vor Jhnen offen und entdeckt ist, und schonen Sie meiner nicht, wenn Sie Feh- ler bey mir finden.
Jch habe Jhnen indessen melden sollen, wie ich mich bey genauer Prüfung gefunden habe, damit ich Sie überzeugen möchte, daß, wenn ich in eini- gen Kleinigkeiten, oder auch in wichtigeren Dingen fehle, die Schuld meiner Sünden nicht in meinem Willen, sondern in meinem Verstande zu suchen ist. Jch verbleibe
Dero ewig ergebene Cl. Harlowe.
Der dreizehnte Brief von Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein Howe.
Dienstags Abends den 16ten May.
Herr
Gemuͤthe eingepflantzet ſind, die ich in meinem Herzen fand, ehe ich es hatte durch Schluͤſſe beleh- ren koͤnnen, und die ich deswegen von dem Vater aller Geiſter herleiten muß. Dieſe Grund-Saͤtze zwingen mich, ihnen gemaͤß zu handeln, und ich hoffe in und auſſer der Ehe bey ihnen nicht zu Schan- den zu werden, andere moͤgen mit mir umgehen, wie ſie wollen.
Jch hoffe nicht, daß ich mich ſelbſt betruͤge, und nur einen Eigenſinn entſchuldige, weil ich ihn nicht gern uͤberwinden will, anſtatt, daß ich ſuchen ſollte, meine vorigen Fehler zu verbeſſern. Unſer Hertz iſt betruͤglich: ich bitte Sie, ſuchen Sie mein Hertz zu entdecken, das ohnehin vor Jhnen offen und entdeckt iſt, und ſchonen Sie meiner nicht, wenn Sie Feh- ler bey mir finden.
Jch habe Jhnen indeſſen melden ſollen, wie ich mich bey genauer Pruͤfung gefunden habe, damit ich Sie uͤberzeugen moͤchte, daß, wenn ich in eini- gen Kleinigkeiten, oder auch in wichtigeren Dingen fehle, die Schuld meiner Suͤnden nicht in meinem Willen, ſondern in meinem Verſtande zu ſuchen iſt. Jch verbleibe
Dero ewig ergebene Cl. Harlowe.
Der dreizehnte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.
Dienſtags Abends den 16ten May.
Herr
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Gemuͤthe eingepflantzet ſind, die ich in meinem
Herzen fand, ehe ich es hatte durch Schluͤſſe beleh-
ren koͤnnen, und die ich deswegen von dem Vater
aller Geiſter herleiten muß. Dieſe Grund-Saͤtze
zwingen mich, ihnen gemaͤß zu handeln, und ich
hoffe in und auſſer der Ehe bey ihnen nicht zu Schan-
den zu werden, andere moͤgen mit mir umgehen,
wie ſie wollen.
Jch hoffe nicht, daß ich mich ſelbſt betruͤge, und
nur einen Eigenſinn entſchuldige, weil ich ihn nicht
gern uͤberwinden will, anſtatt, daß ich ſuchen ſollte,
meine vorigen Fehler zu verbeſſern. Unſer Hertz iſt
betruͤglich: ich bitte Sie, ſuchen Sie mein Hertz zu
entdecken, das ohnehin vor Jhnen offen und entdeckt
iſt, und ſchonen Sie meiner nicht, wenn Sie Feh-
ler bey mir finden.
Jch habe Jhnen indeſſen melden ſollen, wie ich
mich bey genauer Pruͤfung gefunden habe, damit
ich Sie uͤberzeugen moͤchte, daß, wenn ich in eini-
gen Kleinigkeiten, oder auch in wichtigeren Dingen
fehle, die Schuld meiner Suͤnden nicht in meinem
Willen, ſondern in meinem Verſtande zu ſuchen iſt.
Jch verbleibe
Dero ewig ergebene
Cl. Harlowe.
Der dreizehnte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.
Dienſtags Abends den 16ten May.
Herr
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/92>, abgerufen am 03.07.2024.
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