Das war also meines Vaters Johann, der dickköpfige dumme Junge, wie ich ihn sonst be- ständig nennte, der war es, den ich itzt unter der Versichrung meiner Hochachtung bitten, und bey der Asche meines Vaters beschwören mußte, er möchte doch das Werk der Barmherzigkeit, und der christlichen Liebe an mir armen verlassenen Wayse ausüben, und mich, so bald als möglich, zu seiner gehorsamstergebensten Frau machen, und eine Hand annehmen, von der er in vorigen Jah- ren so viel Nasenstüber, und Ohrfeigen bekommen hatte. So elend meine Umstände waren, so viel Stolz hatte ich doch noch übrig zu glauben, daß mein angebeteter Johann dumm genug seyn wür- de, mit beiden Händen zu zugreifen, und das Glück, so ich ihm an den Hals warf, fest zu hal- ten. Aber wie ändert sich doch alles mit der Zeit! Der dumme Johann war klüger als ich wünschte. Lesen Sie seinen Brief, und urthei- len Sie von meiner Beschämung. Hier ist er von Wort zu Wort.
Mademoiselle,
"Es hätte mir keine Erinnerung empfindlicher "seyn können, als diejenige ist, auf welche Sie "mich in Jhrem Briefe zurück führen. Der Tod "Jhres seligen Herrn Vaters, eines Mannes, den "ich noch im Grabe als meinen Gönner und Ver- "sorger verehre, dieser Tod hat mich so viele Thrä-
"nen
P
Satyriſche Briefe.
Das war alſo meines Vaters Johann, der dickkoͤpfige dumme Junge, wie ich ihn ſonſt be- ſtaͤndig nennte, der war es, den ich itzt unter der Verſichrung meiner Hochachtung bitten, und bey der Aſche meines Vaters beſchwoͤren mußte, er moͤchte doch das Werk der Barmherzigkeit, und der chriſtlichen Liebe an mir armen verlaſſenen Wayſe ausuͤben, und mich, ſo bald als moͤglich, zu ſeiner gehorſamſtergebenſten Frau machen, und eine Hand annehmen, von der er in vorigen Jah- ren ſo viel Naſenſtuͤber, und Ohrfeigen bekommen hatte. So elend meine Umſtaͤnde waren, ſo viel Stolz hatte ich doch noch uͤbrig zu glauben, daß mein angebeteter Johann dumm genug ſeyn wuͤr- de, mit beiden Haͤnden zu zugreifen, und das Gluͤck, ſo ich ihm an den Hals warf, feſt zu hal- ten. Aber wie aͤndert ſich doch alles mit der Zeit! Der dumme Johann war kluͤger als ich wuͤnſchte. Leſen Sie ſeinen Brief, und urthei- len Sie von meiner Beſchaͤmung. Hier iſt er von Wort zu Wort.
Mademoiſelle,
„Es haͤtte mir keine Erinnerung empfindlicher „ſeyn koͤnnen, als diejenige iſt, auf welche Sie „mich in Jhrem Briefe zuruͤck fuͤhren. Der Tod „Jhres ſeligen Herrn Vaters, eines Mannes, den „ich noch im Grabe als meinen Goͤnner und Ver- „ſorger verehre, dieſer Tod hat mich ſo viele Thraͤ-
„nen
P
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0253"n="225"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Satyriſche Briefe.</hi></fw><lb/><p>Das war alſo meines Vaters Johann, der<lb/>
dickkoͤpfige dumme Junge, wie ich ihn ſonſt be-<lb/>ſtaͤndig nennte, der war es, den ich itzt unter der<lb/>
Verſichrung meiner Hochachtung bitten, und bey<lb/>
der Aſche meines Vaters beſchwoͤren mußte, er<lb/>
moͤchte doch das Werk der Barmherzigkeit, und<lb/>
der chriſtlichen Liebe an mir armen verlaſſenen<lb/>
Wayſe ausuͤben, und mich, ſo bald als moͤglich,<lb/>
zu ſeiner gehorſamſtergebenſten Frau machen, und<lb/>
eine Hand annehmen, von der er in vorigen Jah-<lb/>
ren ſo viel Naſenſtuͤber, und Ohrfeigen bekommen<lb/>
hatte. So elend meine Umſtaͤnde waren, ſo viel<lb/>
Stolz hatte ich doch noch uͤbrig zu glauben, daß<lb/>
mein angebeteter Johann dumm genug ſeyn wuͤr-<lb/>
de, mit beiden Haͤnden zu zugreifen, und das<lb/>
Gluͤck, ſo ich ihm an den Hals warf, feſt zu hal-<lb/>
ten. Aber wie aͤndert ſich doch alles mit der<lb/>
Zeit! Der dumme Johann war kluͤger als ich<lb/>
wuͤnſchte. Leſen Sie ſeinen Brief, und urthei-<lb/>
len Sie von meiner Beſchaͤmung. Hier iſt er von<lb/>
Wort zu Wort.</p><lb/><floatingText><body><divtype="letter"><salute><hirendition="#et"><hirendition="#fr">Mademoiſelle,</hi></hi></salute><lb/><p>„<hirendition="#in">E</hi>s haͤtte mir keine Erinnerung empfindlicher<lb/>„ſeyn koͤnnen, als diejenige iſt, auf welche Sie<lb/>„mich in Jhrem Briefe zuruͤck fuͤhren. Der Tod<lb/>„Jhres ſeligen Herrn Vaters, eines Mannes, den<lb/>„ich noch im Grabe als meinen Goͤnner und Ver-<lb/>„ſorger verehre, dieſer Tod hat mich ſo viele Thraͤ-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">P</fw><fwplace="bottom"type="catch">„nen</fw><lb/></p></div></body></floatingText></div></body></text></TEI>
[225/0253]
Satyriſche Briefe.
Das war alſo meines Vaters Johann, der
dickkoͤpfige dumme Junge, wie ich ihn ſonſt be-
ſtaͤndig nennte, der war es, den ich itzt unter der
Verſichrung meiner Hochachtung bitten, und bey
der Aſche meines Vaters beſchwoͤren mußte, er
moͤchte doch das Werk der Barmherzigkeit, und
der chriſtlichen Liebe an mir armen verlaſſenen
Wayſe ausuͤben, und mich, ſo bald als moͤglich,
zu ſeiner gehorſamſtergebenſten Frau machen, und
eine Hand annehmen, von der er in vorigen Jah-
ren ſo viel Naſenſtuͤber, und Ohrfeigen bekommen
hatte. So elend meine Umſtaͤnde waren, ſo viel
Stolz hatte ich doch noch uͤbrig zu glauben, daß
mein angebeteter Johann dumm genug ſeyn wuͤr-
de, mit beiden Haͤnden zu zugreifen, und das
Gluͤck, ſo ich ihm an den Hals warf, feſt zu hal-
ten. Aber wie aͤndert ſich doch alles mit der
Zeit! Der dumme Johann war kluͤger als ich
wuͤnſchte. Leſen Sie ſeinen Brief, und urthei-
len Sie von meiner Beſchaͤmung. Hier iſt er von
Wort zu Wort.
Mademoiſelle,
„Es haͤtte mir keine Erinnerung empfindlicher
„ſeyn koͤnnen, als diejenige iſt, auf welche Sie
„mich in Jhrem Briefe zuruͤck fuͤhren. Der Tod
„Jhres ſeligen Herrn Vaters, eines Mannes, den
„ich noch im Grabe als meinen Goͤnner und Ver-
„ſorger verehre, dieſer Tod hat mich ſo viele Thraͤ-
„nen
P
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/253>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.