Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

und compilire lustig fort an meinem wichtigen Werke
De vanitate hominum, einem ausnehmend -- dicken
Gegenstande.



Ich liebe in großen Städten diese ältern Stadttheile
mit ihren engen, krummen, dunkeln Gassen, in welche der
Sonnenschein nur verstohlen hineinzublicken wagt; ich
liebe sie mit ihren Giebelhäusern und wundersamen Dach-
traufen, mit ihren alten Carthaunen und Feldschlangen,
welche man als Prellsteine an die Ecken gesetzt hat.
Ich liebe diesen Mittelpunkt einer vergangenen Zeit, um
welchen sich ein neues Leben in liniengraden, parade-
mäßig aufmarschirten Straßen und Plätzen angesetzt hat,
und nie kann ich um die Ecke meiner Sperlingsgasse
biegen, ohne den alten Geschützlauf mit der Jahreszahl
1589, der dort lehnt, liebkosend mit der Hand zu be-
rühren. Selbst die Bewohner des ältern Stadttheils
scheinen noch ein originelleres, sonderbareres Völkchen zu
sein, als die Leute der modernen Viertel. Hier in diesen
winkligen Gassen wohnt das Volk des Leichtsinns dicht
neben dem der Arbeit und des Ernst's, und der zusam-
mengedrängtere Verkehr reibt die Menschen in tolleren,

und compilire luſtig fort an meinem wichtigen Werke
De vanitate hominum, einem ausnehmend — dicken
Gegenſtande.



Ich liebe in großen Städten dieſe ältern Stadttheile
mit ihren engen, krummen, dunkeln Gaſſen, in welche der
Sonnenſchein nur verſtohlen hineinzublicken wagt; ich
liebe ſie mit ihren Giebelhäuſern und wunderſamen Dach-
traufen, mit ihren alten Carthaunen und Feldſchlangen,
welche man als Prellſteine an die Ecken geſetzt hat.
Ich liebe dieſen Mittelpunkt einer vergangenen Zeit, um
welchen ſich ein neues Leben in liniengraden, parade-
mäßig aufmarſchirten Straßen und Plätzen angeſetzt hat,
und nie kann ich um die Ecke meiner Sperlingsgaſſe
biegen, ohne den alten Geſchützlauf mit der Jahreszahl
1589, der dort lehnt, liebkoſend mit der Hand zu be-
rühren. Selbſt die Bewohner des ältern Stadttheils
ſcheinen noch ein originelleres, ſonderbareres Völkchen zu
ſein, als die Leute der modernen Viertel. Hier in dieſen
winkligen Gaſſen wohnt das Volk des Leichtſinns dicht
neben dem der Arbeit und des Ernſt’s, und der zuſam-
mengedrängtere Verkehr reibt die Menſchen in tolleren,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0019" n="9"/>
und compilire lu&#x017F;tig fort an meinem wichtigen Werke<lb/><hi rendition="#aq">De vanitate hominum</hi>, einem ausnehmend &#x2014; dicken<lb/>
Gegen&#x017F;tande.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
      <div n="1">
        <dateline> <hi rendition="#right">Am 20. November. &#x2014;</hi> </dateline><lb/>
        <p>Ich liebe in großen Städten die&#x017F;e ältern Stadttheile<lb/>
mit ihren engen, krummen, dunkeln Ga&#x017F;&#x017F;en, in welche der<lb/>
Sonnen&#x017F;chein nur ver&#x017F;tohlen hineinzublicken wagt; ich<lb/>
liebe &#x017F;ie mit ihren Giebelhäu&#x017F;ern und wunder&#x017F;amen Dach-<lb/>
traufen, mit ihren alten Carthaunen und Feld&#x017F;chlangen,<lb/>
welche man als Prell&#x017F;teine an die Ecken ge&#x017F;etzt hat.<lb/>
Ich liebe die&#x017F;en Mittelpunkt einer vergangenen Zeit, um<lb/>
welchen &#x017F;ich ein neues Leben in liniengraden, parade-<lb/>
mäßig aufmar&#x017F;chirten Straßen und Plätzen ange&#x017F;etzt hat,<lb/>
und nie kann ich um die Ecke meiner Sperlingsga&#x017F;&#x017F;e<lb/>
biegen, ohne den alten Ge&#x017F;chützlauf mit der Jahreszahl<lb/>
1589, der dort lehnt, liebko&#x017F;end mit der Hand zu be-<lb/>
rühren. Selb&#x017F;t die Bewohner des ältern Stadttheils<lb/>
&#x017F;cheinen noch ein originelleres, &#x017F;onderbareres Völkchen zu<lb/>
&#x017F;ein, als die Leute der modernen Viertel. Hier in die&#x017F;en<lb/>
winkligen Ga&#x017F;&#x017F;en wohnt das Volk des Leicht&#x017F;inns dicht<lb/>
neben dem der Arbeit und des Ern&#x017F;t&#x2019;s, und der zu&#x017F;am-<lb/>
mengedrängtere Verkehr reibt die Men&#x017F;chen in tolleren,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0019] und compilire luſtig fort an meinem wichtigen Werke De vanitate hominum, einem ausnehmend — dicken Gegenſtande. Am 20. November. — Ich liebe in großen Städten dieſe ältern Stadttheile mit ihren engen, krummen, dunkeln Gaſſen, in welche der Sonnenſchein nur verſtohlen hineinzublicken wagt; ich liebe ſie mit ihren Giebelhäuſern und wunderſamen Dach- traufen, mit ihren alten Carthaunen und Feldſchlangen, welche man als Prellſteine an die Ecken geſetzt hat. Ich liebe dieſen Mittelpunkt einer vergangenen Zeit, um welchen ſich ein neues Leben in liniengraden, parade- mäßig aufmarſchirten Straßen und Plätzen angeſetzt hat, und nie kann ich um die Ecke meiner Sperlingsgaſſe biegen, ohne den alten Geſchützlauf mit der Jahreszahl 1589, der dort lehnt, liebkoſend mit der Hand zu be- rühren. Selbſt die Bewohner des ältern Stadttheils ſcheinen noch ein originelleres, ſonderbareres Völkchen zu ſein, als die Leute der modernen Viertel. Hier in dieſen winkligen Gaſſen wohnt das Volk des Leichtſinns dicht neben dem der Arbeit und des Ernſt’s, und der zuſam- mengedrängtere Verkehr reibt die Menſchen in tolleren,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/19
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/19>, abgerufen am 03.12.2024.