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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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Ein großer Schauspieler, ein wahrer Künstler in
diesem Fach, steht gewiß sehr hoch! Was muß er
alles wissen und können! und wie viel Genie muß
er mit körperlicher Grazie und Gewandtheit, wie viel
Schaffungskraft mit der größten und langweiligsten
Routine verbinden.

Ich sah heute zum Erstenmal seit meinem Aufent-
halt in England Macbeth, vielleicht die erhabenste
und vollendetste der Tragödien Shakspeares. Ma-
cready, ein erst kürzlich von Amerika zurückgekehrter
Schauspieler spielte die Hauptrolle vortrefflich. Be-
fonders wahr und ergreifend erschien er mir in fol-
genden Momenten -- erstens in der Nachtscene, wo
er nach dem Morde Dunkans mit den blutigen Dol-
chen herauskömmt, und seiner Frau die geschehene
That mittheilt. Er führte das ganze Gespräch leise
(wie es die Natur der Sache mit sich bringt) wie
ein Geflüster im Dunkeln, und doch so deutlich und
mit so furchtbarem Ausdruck, daß alle Schauder der
Nacht und des Verbrechens in die Seele des Zu-
schauers für den Augenblick mit übergingen. Eben so
gut gelang das schwierige Spiel mit Banquo's Geist.
Die schöne Stelle: "Was Männer wagen, wag auch
"ich. Komm als der zott'ge Bär, komm als Hirka-
"niens Tiger, komm' mit der Kraft von Zehn, ich
"stehe Dir, und meine Nerven sollst Du nimmer zit-
"tern sehn. Sey lebend wieder, und rufe in die


Ein großer Schauſpieler, ein wahrer Künſtler in
dieſem Fach, ſteht gewiß ſehr hoch! Was muß er
alles wiſſen und können! und wie viel Genie muß
er mit körperlicher Grazie und Gewandtheit, wie viel
Schaffungskraft mit der größten und langweiligſten
Routine verbinden.

Ich ſah heute zum Erſtenmal ſeit meinem Aufent-
halt in England Macbeth, vielleicht die erhabenſte
und vollendetſte der Tragödien Shakspeares. Ma-
cready, ein erſt kürzlich von Amerika zurückgekehrter
Schauſpieler ſpielte die Hauptrolle vortrefflich. Be-
fonders wahr und ergreifend erſchien er mir in fol-
genden Momenten — erſtens in der Nachtſcene, wo
er nach dem Morde Dunkans mit den blutigen Dol-
chen herauskömmt, und ſeiner Frau die geſchehene
That mittheilt. Er führte das ganze Geſpräch leiſe
(wie es die Natur der Sache mit ſich bringt) wie
ein Geflüſter im Dunkeln, und doch ſo deutlich und
mit ſo furchtbarem Ausdruck, daß alle Schauder der
Nacht und des Verbrechens in die Seele des Zu-
ſchauers für den Augenblick mit übergingen. Eben ſo
gut gelang das ſchwierige Spiel mit Banquo’s Geiſt.
Die ſchöne Stelle: „Was Männer wagen, wag auch
„ich. Komm als der zott’ge Bär, komm als Hirka-
„niens Tiger, komm’ mit der Kraft von Zehn, ich
„ſtehe Dir, und meine Nerven ſollſt Du nimmer zit-
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[255/0271] Den 28ſten. Ein großer Schauſpieler, ein wahrer Künſtler in dieſem Fach, ſteht gewiß ſehr hoch! Was muß er alles wiſſen und können! und wie viel Genie muß er mit körperlicher Grazie und Gewandtheit, wie viel Schaffungskraft mit der größten und langweiligſten Routine verbinden. Ich ſah heute zum Erſtenmal ſeit meinem Aufent- halt in England Macbeth, vielleicht die erhabenſte und vollendetſte der Tragödien Shakspeares. Ma- cready, ein erſt kürzlich von Amerika zurückgekehrter Schauſpieler ſpielte die Hauptrolle vortrefflich. Be- fonders wahr und ergreifend erſchien er mir in fol- genden Momenten — erſtens in der Nachtſcene, wo er nach dem Morde Dunkans mit den blutigen Dol- chen herauskömmt, und ſeiner Frau die geſchehene That mittheilt. Er führte das ganze Geſpräch leiſe (wie es die Natur der Sache mit ſich bringt) wie ein Geflüſter im Dunkeln, und doch ſo deutlich und mit ſo furchtbarem Ausdruck, daß alle Schauder der Nacht und des Verbrechens in die Seele des Zu- ſchauers für den Augenblick mit übergingen. Eben ſo gut gelang das ſchwierige Spiel mit Banquo’s Geiſt. Die ſchöne Stelle: „Was Männer wagen, wag auch „ich. Komm als der zott’ge Bär, komm als Hirka- „niens Tiger, komm’ mit der Kraft von Zehn, ich „ſtehe Dir, und meine Nerven ſollſt Du nimmer zit- „tern ſehn. Sey lebend wieder, und rufe in die

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/271>, abgerufen am 23.11.2024.