Wenn wir einen geschichtlichen Ueberblick über das Gebiet unserer Forschung hier darzulegen beabsichtigen, so liegt der Beweggrund hierzu einerseits in der Anforderung der Voll¬ ständigkeit, welche vorzugsweise für die Monographie gilt, anderntheils aber und zwar ganz besonders darin, dass ein forschender Blick aus den Schranken der Gegenwart in die Vergangenheit, und das hiermit verknüpfte Studium der Ent¬ wicklung bestimmter Dogmen der Erkenntniss eine gewisse Objectivität und Läuterung von befangenen Begriffen zu sichern vermag.
So kann besonders hier die Gegenwart sich überzeugen, obgleich sie sich gewöhnlich brüstet, auf der Höhe der Wis¬ senschaft zu stehen, dass ein ganzes Jahrhundert vor uns Männer gelebt haben, welche manche Gebiete der Natur und ihres Lebens tiefer und wahrer erfassten, als die jetzt bestehende physiolo¬ gische Schule. Unter jenen Männern hebe ich den vor nunmehr hundert Jahren lebenden geistvollen Schotten hervor, den zu Edinburg als Professor lehrenden Robert Whytt. Er erkannte die sensorische Function des Rückenmarkes; aber seine wahre Lehre ist dem Irrthum gewichen und nunmehr nach hun¬ dert Jahren tritt die Lehre nochmals vor die Schranken der gelehrten Welt, gegen die Unwahrheit und den Irrthum laut
1
Capitel I. Geschichtliche Notizen.
Wenn wir einen geschichtlichen Ueberblick über das Gebiet unserer Forschung hier darzulegen beabsichtigen, so liegt der Beweggrund hierzu einerseits in der Anforderung der Voll¬ ständigkeit, welche vorzugsweise für die Monographie gilt, anderntheils aber und zwar ganz besonders darin, dass ein forschender Blick aus den Schranken der Gegenwart in die Vergangenheit, und das hiermit verknüpfte Studium der Ent¬ wicklung bestimmter Dogmen der Erkenntniss eine gewisse Objectivität und Läuterung von befangenen Begriffen zu sichern vermag.
So kann besonders hier die Gegenwart sich überzeugen, obgleich sie sich gewöhnlich brüstet, auf der Höhe der Wis¬ senschaft zu stehen, dass ein ganzes Jahrhundert vor uns Männer gelebt haben, welche manche Gebiete der Natur und ihres Lebens tiefer und wahrer erfassten, als die jetzt bestehende physiolo¬ gische Schule. Unter jenen Männern hebe ich den vor nunmehr hundert Jahren lebenden geistvollen Schotten hervor, den zu Edinburg als Professor lehrenden Robert Whytt. Er erkannte die sensorische Function des Rückenmarkes; aber seine wahre Lehre ist dem Irrthum gewichen und nunmehr nach hun¬ dert Jahren tritt die Lehre nochmals vor die Schranken der gelehrten Welt, gegen die Unwahrheit und den Irrthum laut
1
<TEI><text><body><pbfacs="#f0023"n="[1]"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Capitel I.<lb/>
Geschichtliche Notizen.</hi><lb/></head><p><hirendition="#in">W</hi>enn wir einen geschichtlichen Ueberblick über das Gebiet<lb/>
unserer Forschung hier darzulegen beabsichtigen, so liegt der<lb/>
Beweggrund hierzu einerseits in der Anforderung der Voll¬<lb/>
ständigkeit, welche vorzugsweise für die Monographie gilt,<lb/>
anderntheils aber und zwar ganz besonders darin, dass ein<lb/>
forschender Blick aus den Schranken der Gegenwart in die<lb/>
Vergangenheit, und das hiermit verknüpfte Studium der Ent¬<lb/>
wicklung bestimmter Dogmen der Erkenntniss eine gewisse<lb/>
Objectivität und Läuterung von befangenen Begriffen zu sichern<lb/>
vermag.</p><lb/><p>So kann besonders hier die Gegenwart sich überzeugen,<lb/>
obgleich sie sich gewöhnlich brüstet, auf der Höhe der Wis¬<lb/>
senschaft zu stehen, dass ein ganzes Jahrhundert vor uns Männer<lb/>
gelebt haben, welche manche Gebiete der Natur und ihres Lebens<lb/>
tiefer und wahrer erfassten, als die jetzt bestehende physiolo¬<lb/>
gische Schule. Unter jenen Männern hebe ich den vor nunmehr<lb/>
hundert Jahren lebenden geistvollen Schotten hervor, den zu<lb/>
Edinburg als Professor lehrenden Robert <hirendition="#g">Whytt</hi>. Er erkannte<lb/>
die sensorische Function des Rückenmarkes; aber seine wahre<lb/>
Lehre ist dem Irrthum gewichen und nunmehr nach hun¬<lb/>
dert Jahren tritt die Lehre nochmals vor die Schranken der<lb/>
gelehrten Welt, gegen die Unwahrheit und den Irrthum laut<lb/><fwplace="bottom"type="sig">1<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[[1]/0023]
Capitel I.
Geschichtliche Notizen.
Wenn wir einen geschichtlichen Ueberblick über das Gebiet
unserer Forschung hier darzulegen beabsichtigen, so liegt der
Beweggrund hierzu einerseits in der Anforderung der Voll¬
ständigkeit, welche vorzugsweise für die Monographie gilt,
anderntheils aber und zwar ganz besonders darin, dass ein
forschender Blick aus den Schranken der Gegenwart in die
Vergangenheit, und das hiermit verknüpfte Studium der Ent¬
wicklung bestimmter Dogmen der Erkenntniss eine gewisse
Objectivität und Läuterung von befangenen Begriffen zu sichern
vermag.
So kann besonders hier die Gegenwart sich überzeugen,
obgleich sie sich gewöhnlich brüstet, auf der Höhe der Wis¬
senschaft zu stehen, dass ein ganzes Jahrhundert vor uns Männer
gelebt haben, welche manche Gebiete der Natur und ihres Lebens
tiefer und wahrer erfassten, als die jetzt bestehende physiolo¬
gische Schule. Unter jenen Männern hebe ich den vor nunmehr
hundert Jahren lebenden geistvollen Schotten hervor, den zu
Edinburg als Professor lehrenden Robert Whytt. Er erkannte
die sensorische Function des Rückenmarkes; aber seine wahre
Lehre ist dem Irrthum gewichen und nunmehr nach hun¬
dert Jahren tritt die Lehre nochmals vor die Schranken der
gelehrten Welt, gegen die Unwahrheit und den Irrthum laut
1
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/23>, abgerufen am 28.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.