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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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in Albano die fremde Vergangenheit zur eig¬
nen Zukunft -- keine Wehmuth, sondern ein
Durst nach allem Großen, was den Geist be¬
wohnt und hebt, und ein Schauder vor den
schmutzigen Ködern der Zukunft, zogen sein
Auge recht schmerzlich zusammen und schwere
Tropfen fielen daraus. -- Er stieg herab, weil
das innere Schwindeln zuletzt äußeres wurde.
Die ländliche Erziehung und Dian, welcher den
gehaltenen Gang der Natur verehrte, hatten
den Knospengarten seiner Kräfte vor frühzeitiger
Morgensonne und schnellem Aufspringen be¬
wahret; aber durch die Erwartung des Abends
und durch die Reise wurde der Tag seines Le¬
bens jetzt zu warm und zu treibend.

Zufällig und träumend verlor er sich unter
Orangeblüten; plötzlich war ihm als mache ein
süßes Wühlen im innersten Herzen dieses be¬
klemmend weit und leer und wieder voll. Ach
er wußte nicht, daß es die Düfte waren, die er
hier in seiner Kindheit so oft in die Brust ge¬
sogen, und welche nun jede Phantasie und Er¬
innerung der Vergangenheit dunkel, aber ge¬
waltsam zurückriefen, eben weil Düfte, un¬

Titan. I. D

in Albano die fremde Vergangenheit zur eig¬
nen Zukunft — keine Wehmuth, ſondern ein
Durſt nach allem Großen, was den Geiſt be¬
wohnt und hebt, und ein Schauder vor den
ſchmutzigen Ködern der Zukunft, zogen ſein
Auge recht ſchmerzlich zuſammen und ſchwere
Tropfen fielen daraus. — Er ſtieg herab, weil
das innere Schwindeln zuletzt äußeres wurde.
Die ländliche Erziehung und Dian, welcher den
gehaltenen Gang der Natur verehrte, hatten
den Knoſpengarten ſeiner Kräfte vor frühzeitiger
Morgenſonne und ſchnellem Aufſpringen be¬
wahret; aber durch die Erwartung des Abends
und durch die Reiſe wurde der Tag ſeines Le¬
bens jetzt zu warm und zu treibend.

Zufällig und träumend verlor er ſich unter
Orangeblüten; plötzlich war ihm als mache ein
ſüßes Wühlen im innerſten Herzen dieſes be¬
klemmend weit und leer und wieder voll. Ach
er wußte nicht, daß es die Düfte waren, die er
hier in ſeiner Kindheit ſo oft in die Bruſt ge¬
ſogen, und welche nun jede Phantaſie und Er¬
innerung der Vergangenheit dunkel, aber ge¬
waltſam zurückriefen, eben weil Düfte, un¬

Titan. I. D
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[49/0069] in Albano die fremde Vergangenheit zur eig¬ nen Zukunft — keine Wehmuth, ſondern ein Durſt nach allem Großen, was den Geiſt be¬ wohnt und hebt, und ein Schauder vor den ſchmutzigen Ködern der Zukunft, zogen ſein Auge recht ſchmerzlich zuſammen und ſchwere Tropfen fielen daraus. — Er ſtieg herab, weil das innere Schwindeln zuletzt äußeres wurde. Die ländliche Erziehung und Dian, welcher den gehaltenen Gang der Natur verehrte, hatten den Knoſpengarten ſeiner Kräfte vor frühzeitiger Morgenſonne und ſchnellem Aufſpringen be¬ wahret; aber durch die Erwartung des Abends und durch die Reiſe wurde der Tag ſeines Le¬ bens jetzt zu warm und zu treibend. Zufällig und träumend verlor er ſich unter Orangeblüten; plötzlich war ihm als mache ein ſüßes Wühlen im innerſten Herzen dieſes be¬ klemmend weit und leer und wieder voll. Ach er wußte nicht, daß es die Düfte waren, die er hier in ſeiner Kindheit ſo oft in die Bruſt ge¬ ſogen, und welche nun jede Phantaſie und Er¬ innerung der Vergangenheit dunkel, aber ge¬ waltſam zurückriefen, eben weil Düfte, un¬ Titan. I. D

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/69>, abgerufen am 26.04.2024.