Brief von ihr. Du konntest es thun, Ostindier, da du hier ein im limbus infantum zum Engel geword¬ nes Kind bist, da du keine Geheimnisse hast, ausge¬ nommen das Geheimniß der drei Kinder (daher dich der Lord nicht zum Lektor seiner Briefe machte) und da du gar nicht ahndest, die Weggabe des fremden Briefes sey nicht Recht. Aber dein Schü¬ ler hätte ihn nicht lesen sollen.
Der las ihn aber. Er kann sich mit nichts dek¬ ken als mit meinem Leser, der hier diesen nämli¬ chen fremden Brief, den dessen Stellerin nie für ihn geschrieben, doch auf seinem Sessel genau durch¬ sieht. Ich meines Orts lese nichts sondern schreibe nur das ab, was mir der Hund gebracht. -- Es ist schön, daß dieser Brief gerade in der regnenden, melodischen Nacht des Gartenfestes gemacht war, wo er seinen ersten an Emanuel geschrieben hatte.
St. Lune den 4 Mai 179 * *
Sie verlangen es vielleicht nicht, verehrungs¬ würdiger Lehrer, daß ich mich entschuldige, da ich kaum aus Maienthal bin und schon mit einem Briefe wieder komme. Ich wollte gar schon unter Weges schreiben, denn am zweiten Tage und end¬ lich gestern. Dieses Maienthal wird mir noch viele Thäler verderben; jede Musik wird mir wie ein Alp¬ horn klingen, das mich traurig macht und in mein
Hesperus. I. Th. I.
Brief von ihr. Du konnteſt es thun, Oſtindier, da du hier ein im limbus infantum zum Engel geword¬ nes Kind biſt, da du keine Geheimniſſe haſt, ausge¬ nommen das Geheimniß der drei Kinder (daher dich der Lord nicht zum Lektor ſeiner Briefe machte) und da du gar nicht ahndeſt, die Weggabe des fremden Briefes ſey nicht Recht. Aber dein Schuͤ¬ ler haͤtte ihn nicht leſen ſollen.
Der las ihn aber. Er kann ſich mit nichts dek¬ ken als mit meinem Leſer, der hier dieſen naͤmli¬ chen fremden Brief, den deſſen Stellerin nie fuͤr ihn geſchrieben, doch auf ſeinem Seſſel genau durch¬ ſieht. Ich meines Orts leſe nichts ſondern ſchreibe nur das ab, was mir der Hund gebracht. — Es iſt ſchoͤn, daß dieſer Brief gerade in der regnenden, melodiſchen Nacht des Gartenfeſtes gemacht war, wo er ſeinen erſten an Emanuel geſchrieben hatte.
St. Lune den 4 Mai 179 * *
Sie verlangen es vielleicht nicht, verehrungs¬ wuͤrdiger Lehrer, daß ich mich entſchuldige, da ich kaum aus Maienthal bin und ſchon mit einem Briefe wieder komme. Ich wollte gar ſchon unter Weges ſchreiben, denn am zweiten Tage und end¬ lich geſtern. Dieſes Maienthal wird mir noch viele Thaͤler verderben; jede Muſik wird mir wie ein Alp¬ horn klingen, das mich traurig macht und in mein
Heſperus. I. Th. I.
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Brief von ihr. Du konnteſt es thun, Oſtindier, da
du hier ein im limbus infantum zum Engel geword¬
nes Kind biſt, da du keine Geheimniſſe haſt, ausge¬
nommen das Geheimniß der drei Kinder (daher
dich der Lord nicht zum Lektor ſeiner Briefe machte)
und da du gar nicht ahndeſt, die Weggabe des
fremden Briefes ſey nicht Recht. Aber dein Schuͤ¬
ler haͤtte ihn nicht leſen ſollen.
Der las ihn aber. Er kann ſich mit nichts dek¬
ken als mit meinem Leſer, der hier dieſen naͤmli¬
chen fremden Brief, den deſſen Stellerin nie fuͤr
ihn geſchrieben, doch auf ſeinem Seſſel genau durch¬
ſieht. Ich meines Orts leſe nichts ſondern ſchreibe
nur das ab, was mir der Hund gebracht. — Es iſt
ſchoͤn, daß dieſer Brief gerade in der regnenden,
melodiſchen Nacht des Gartenfeſtes gemacht war,
wo er ſeinen erſten an Emanuel geſchrieben hatte.
St. Lune den 4 Mai 179 * *
Sie verlangen es vielleicht nicht, verehrungs¬
wuͤrdiger Lehrer, daß ich mich entſchuldige, da ich
kaum aus Maienthal bin und ſchon mit einem
Briefe wieder komme. Ich wollte gar ſchon unter
Weges ſchreiben, denn am zweiten Tage und end¬
lich geſtern. Dieſes Maienthal wird mir noch viele
Thaͤler verderben; jede Muſik wird mir wie ein Alp¬
horn klingen, das mich traurig macht und in mein
Heſperus. I. Th. I.
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/348>, abgerufen am 21.11.2024.
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