Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

der Freund seiner Freundin zu werden und jetzt,
weil er sterbe und weil sie nicht mehr komme -- sie
war bloß das letzteremal da gewesen, um zu Pfing¬
sten, unpersiflirt von ihren Eltern, öffentlich mit den
Stiftfräulein das Abendmahl zu empfangen -- jetzt
seine Stelle zu besetzen bei diesem gegen die Sterne
gehobnen Auge, bei diesem für die Ewigkeit beweg¬
ten Herzen: so hätt' er vor Rührung und vor Liebe
dem Freund und der Freundin zu Füßen sinken mö¬
gen: -- -- In einem solchen Munde giebt das Lob
des Gegenstandes allzeit der Liebe einen ausserordent¬
lichen Wachsthum, weil diese immer Vorwand sucht
und dann auf einmal zeitigt, wenn sie ihn gefunden.

Wenn dir, mein Freund, das Herz für ein frem¬
des nicht schnell und heftig genug schlägt -- ob es
gleich meines Erachtens schon fieberhaft pulsirt, näm¬
lich 111 mal in einer Minute -- so gehe, um dein
kaltes Fieber in ein warmes umzusetzen, dein viertä¬
giges in ein tägliches, nur zu andern besonders ge¬
achteten Leuten hin und lasse die sie vorloben, die
Gute, oder nur oft vornennen: todtkrank und mit
deinen 140 Pulsschlägen versehen gehst du weg und
hast das verlangte Fieber am Hals.

Der unschuldige Emanuel, der Viktors Wärme
nicht errieth, glaubte, er müsse noch mehr thun, um
ihm die siebenfache Weihe zum Priester der Freund¬
schaft für Klotilden zu geben und gab ihm einen --

Brief

der Freund ſeiner Freundin zu werden und jetzt,
weil er ſterbe und weil ſie nicht mehr komme — ſie
war bloß das letzteremal da geweſen, um zu Pfing¬
ſten, unperſiflirt von ihren Eltern, oͤffentlich mit den
Stiftfraͤulein das Abendmahl zu empfangen — jetzt
ſeine Stelle zu beſetzen bei dieſem gegen die Sterne
gehobnen Auge, bei dieſem fuͤr die Ewigkeit beweg¬
ten Herzen: ſo haͤtt' er vor Ruͤhrung und vor Liebe
dem Freund und der Freundin zu Fuͤßen ſinken moͤ¬
gen: — — In einem ſolchen Munde giebt das Lob
des Gegenſtandes allzeit der Liebe einen auſſerordent¬
lichen Wachsthum, weil dieſe immer Vorwand ſucht
und dann auf einmal zeitigt, wenn ſie ihn gefunden.

Wenn dir, mein Freund, das Herz fuͤr ein frem¬
des nicht ſchnell und heftig genug ſchlaͤgt — ob es
gleich meines Erachtens ſchon fieberhaft pulſirt, naͤm¬
lich 111 mal in einer Minute — ſo gehe, um dein
kaltes Fieber in ein warmes umzuſetzen, dein viertaͤ¬
giges in ein taͤgliches, nur zu andern beſonders ge¬
achteten Leuten hin und laſſe die ſie vorloben, die
Gute, oder nur oft vornennen: todtkrank und mit
deinen 140 Pulsſchlaͤgen verſehen gehſt du weg und
haſt das verlangte Fieber am Hals.

Der unſchuldige Emanuel, der Viktors Waͤrme
nicht errieth, glaubte, er muͤſſe noch mehr thun, um
ihm die ſiebenfache Weihe zum Prieſter der Freund¬
ſchaft fuͤr Klotilden zu geben und gab ihm einen —

Brief
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0347" n="336"/>
der Freund &#x017F;einer Freundin zu werden und jetzt,<lb/>
weil er &#x017F;terbe und weil &#x017F;ie nicht mehr komme &#x2014; &#x017F;ie<lb/>
war bloß das letzteremal da gewe&#x017F;en, um zu Pfing¬<lb/>
&#x017F;ten, unper&#x017F;iflirt von ihren Eltern, o&#x0364;ffentlich mit den<lb/>
Stiftfra&#x0364;ulein das Abendmahl zu empfangen &#x2014; jetzt<lb/>
&#x017F;eine Stelle zu be&#x017F;etzen bei die&#x017F;em gegen die Sterne<lb/>
gehobnen Auge, bei die&#x017F;em fu&#x0364;r die Ewigkeit beweg¬<lb/>
ten Herzen: &#x017F;o ha&#x0364;tt' er vor Ru&#x0364;hrung und vor Liebe<lb/>
dem Freund und der Freundin zu Fu&#x0364;ßen &#x017F;inken mo&#x0364;¬<lb/>
gen: &#x2014; &#x2014; In einem &#x017F;olchen Munde giebt das Lob<lb/>
des Gegen&#x017F;tandes allzeit der Liebe einen au&#x017F;&#x017F;erordent¬<lb/>
lichen Wachsthum, weil die&#x017F;e immer Vorwand &#x017F;ucht<lb/>
und dann auf einmal zeitigt, wenn &#x017F;ie ihn gefunden.</p><lb/>
        <p>Wenn dir, mein Freund, das Herz fu&#x0364;r ein frem¬<lb/>
des nicht &#x017F;chnell und heftig genug &#x017F;chla&#x0364;gt &#x2014; ob es<lb/>
gleich meines Erachtens &#x017F;chon fieberhaft pul&#x017F;irt, na&#x0364;<lb/>
lich 111 mal in einer Minute &#x2014; &#x017F;o gehe, um dein<lb/>
kaltes Fieber in ein warmes umzu&#x017F;etzen, dein vierta&#x0364;¬<lb/>
giges in ein ta&#x0364;gliches, nur zu andern be&#x017F;onders ge¬<lb/>
achteten Leuten hin und la&#x017F;&#x017F;e die &#x017F;ie vorloben, die<lb/>
Gute, oder nur oft vornennen: todtkrank und mit<lb/>
deinen 140 Puls&#x017F;chla&#x0364;gen ver&#x017F;ehen geh&#x017F;t du weg und<lb/>
ha&#x017F;t das verlangte Fieber am Hals.</p><lb/>
        <p>Der un&#x017F;chuldige Emanuel, der Viktors Wa&#x0364;rme<lb/>
nicht errieth, glaubte, er mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e noch mehr thun, um<lb/>
ihm die &#x017F;iebenfache Weihe zum Prie&#x017F;ter der Freund¬<lb/>
&#x017F;chaft fu&#x0364;r Klotilden zu geben und gab ihm einen &#x2014;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Brief<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0347] der Freund ſeiner Freundin zu werden und jetzt, weil er ſterbe und weil ſie nicht mehr komme — ſie war bloß das letzteremal da geweſen, um zu Pfing¬ ſten, unperſiflirt von ihren Eltern, oͤffentlich mit den Stiftfraͤulein das Abendmahl zu empfangen — jetzt ſeine Stelle zu beſetzen bei dieſem gegen die Sterne gehobnen Auge, bei dieſem fuͤr die Ewigkeit beweg¬ ten Herzen: ſo haͤtt' er vor Ruͤhrung und vor Liebe dem Freund und der Freundin zu Fuͤßen ſinken moͤ¬ gen: — — In einem ſolchen Munde giebt das Lob des Gegenſtandes allzeit der Liebe einen auſſerordent¬ lichen Wachsthum, weil dieſe immer Vorwand ſucht und dann auf einmal zeitigt, wenn ſie ihn gefunden. Wenn dir, mein Freund, das Herz fuͤr ein frem¬ des nicht ſchnell und heftig genug ſchlaͤgt — ob es gleich meines Erachtens ſchon fieberhaft pulſirt, naͤm¬ lich 111 mal in einer Minute — ſo gehe, um dein kaltes Fieber in ein warmes umzuſetzen, dein viertaͤ¬ giges in ein taͤgliches, nur zu andern beſonders ge¬ achteten Leuten hin und laſſe die ſie vorloben, die Gute, oder nur oft vornennen: todtkrank und mit deinen 140 Pulsſchlaͤgen verſehen gehſt du weg und haſt das verlangte Fieber am Hals. Der unſchuldige Emanuel, der Viktors Waͤrme nicht errieth, glaubte, er muͤſſe noch mehr thun, um ihm die ſiebenfache Weihe zum Prieſter der Freund¬ ſchaft fuͤr Klotilden zu geben und gab ihm einen — Brief

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/347
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/347>, abgerufen am 23.11.2024.