Ganz froh erstaunt fragte Walt, was Vult darin gemacht. Sie sagt' Ihm -- mit der den Litteratoren noch gewöhnlichern Verwechslung glei¬ cher Namen -- folgenden Polymeter von ihm selber her:
Das Maiblümchen.
Weißes Glöckchen mit dem gelben Klöppel, warum senkst du dich? Ist es Scham, weil du bleich wie Schnee früher die Erde durchbrichst als die großen stolzen Farbenflammen der Tulpen und der Rosen? -- Oder senkst du dein weißes Herz vor dem gewaltigen Himmel, der die neue Erde auf der alten erschaft, oder vor dem stür¬ menden Mai? Oder willt du gern deinen Thau¬ tropfen wie eine Freuden-Thräne vergießen für die junge schöne Erde? -- Zartes, weißes Kno¬ spenblümlein, hebe dein Herz! Ich will es fül¬ len mit Blicken der Liebe, mit Thränen der Won¬ ne. O Schönste, du erste Liebe des Frühlings, hebe dein Herz!
Walten waren unter dem Zuhören vor Freu¬ de und Liebe, und vor Dichtkunst, die Augen übergegangen -- und Wina hatte mit geweint,
Ganz froh erſtaunt fragte Walt, was Vult darin gemacht. Sie ſagt' Ihm — mit der den Litteratoren noch gewoͤhnlichern Verwechslung glei¬ cher Namen — folgenden Polymeter von ihm ſelber her:
Das Maibluͤmchen.
Weißes Gloͤckchen mit dem gelben Kloͤppel, warum ſenkſt du dich? Iſt es Scham, weil du bleich wie Schnee fruͤher die Erde durchbrichſt als die großen ſtolzen Farbenflammen der Tulpen und der Roſen? — Oder ſenkſt du dein weißes Herz vor dem gewaltigen Himmel, der die neue Erde auf der alten erſchaft, oder vor dem ſtuͤr¬ menden Mai? Oder willt du gern deinen Thau¬ tropfen wie eine Freuden-Thraͤne vergießen fuͤr die junge ſchoͤne Erde? — Zartes, weißes Kno¬ ſpenbluͤmlein, hebe dein Herz! Ich will es fuͤl¬ len mit Blicken der Liebe, mit Thraͤnen der Won¬ ne. O Schoͤnſte, du erſte Liebe des Fruͤhlings, hebe dein Herz!
Walten waren unter dem Zuhoͤren vor Freu¬ de und Liebe, und vor Dichtkunſt, die Augen uͤbergegangen — und Wina hatte mit geweint,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0222"n="216"/><p>Ganz froh erſtaunt fragte Walt, was Vult<lb/>
darin gemacht. Sie ſagt' Ihm — mit der den<lb/>
Litteratoren noch gewoͤhnlichern Verwechslung glei¬<lb/>
cher Namen — folgenden Polymeter von ihm<lb/>ſelber her:</p><lb/><divn="2"><head><hirendition="#g">Das Maibluͤmchen.</hi><lb/></head><p>Weißes Gloͤckchen mit dem gelben Kloͤppel,<lb/>
warum ſenkſt du dich? Iſt es Scham, weil du<lb/>
bleich wie Schnee fruͤher die Erde durchbrichſt<lb/>
als die großen ſtolzen Farbenflammen der Tulpen<lb/>
und der Roſen? — Oder ſenkſt du dein weißes<lb/>
Herz vor dem gewaltigen Himmel, der die neue<lb/>
Erde auf der alten erſchaft, oder vor dem ſtuͤr¬<lb/>
menden Mai? Oder willt du gern deinen Thau¬<lb/>
tropfen wie eine Freuden-Thraͤne vergießen fuͤr<lb/>
die junge ſchoͤne Erde? — Zartes, weißes Kno¬<lb/>ſpenbluͤmlein, hebe dein Herz! Ich will es fuͤl¬<lb/>
len mit Blicken der Liebe, mit Thraͤnen der Won¬<lb/>
ne. O Schoͤnſte, du erſte Liebe des Fruͤhlings,<lb/>
hebe dein Herz!</p><lb/><p>Walten waren unter dem Zuhoͤren vor Freu¬<lb/>
de und Liebe, und vor Dichtkunſt, die Augen<lb/>
uͤbergegangen — und Wina hatte mit geweint,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[216/0222]
Ganz froh erſtaunt fragte Walt, was Vult
darin gemacht. Sie ſagt' Ihm — mit der den
Litteratoren noch gewoͤhnlichern Verwechslung glei¬
cher Namen — folgenden Polymeter von ihm
ſelber her:
Das Maibluͤmchen.
Weißes Gloͤckchen mit dem gelben Kloͤppel,
warum ſenkſt du dich? Iſt es Scham, weil du
bleich wie Schnee fruͤher die Erde durchbrichſt
als die großen ſtolzen Farbenflammen der Tulpen
und der Roſen? — Oder ſenkſt du dein weißes
Herz vor dem gewaltigen Himmel, der die neue
Erde auf der alten erſchaft, oder vor dem ſtuͤr¬
menden Mai? Oder willt du gern deinen Thau¬
tropfen wie eine Freuden-Thraͤne vergießen fuͤr
die junge ſchoͤne Erde? — Zartes, weißes Kno¬
ſpenbluͤmlein, hebe dein Herz! Ich will es fuͤl¬
len mit Blicken der Liebe, mit Thraͤnen der Won¬
ne. O Schoͤnſte, du erſte Liebe des Fruͤhlings,
hebe dein Herz!
Walten waren unter dem Zuhoͤren vor Freu¬
de und Liebe, und vor Dichtkunſt, die Augen
uͤbergegangen — und Wina hatte mit geweint,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/222>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.