Eintritt in einen Studentinnenverein wird gerade noch gestattet. Was im Studentinnenverein getan wird, wird von den Eltern, namentlich aber von Tanten u. dergl. genau kontrolliert.
Ein solch ängstliches Verhalten der Eltern für ihre studierenden Töchter ist aus manchen Gründen erklärlich. Es hängt wieder damit zusammen, daß die Frauenbewe- gung die Grundlagen der Kultur noch kaum berührt hat - die Wertschätzung der arbeitenden Frau ist noch eine viel zu geringe. Der Vater kennt das wirkliche Leben mit seinen ganzen Gefahren für "ein junges, unbeschütz- tes Mädchen", die Mutter ahnt es; - so halten beide wach- sames Auge über jeden Schritt ihrer Tochter. Daß damit der geistigen Entwicklung des jungen Mädchens nicht ge- dient und diese Art der Vorbereitung für den Beruf die denkbar schlechteste ist, bedenken die Eltern nicht. Sie wollen von dem einzigen Mittel, das ihren Töchtern durch die tatsächlichen Schwierigkeiten des sozialen Lebens helfen kann, im allgemeinen nichts wissen, von der Aufklärung und der Bildung eines charakterfesten, selbständigen Mäd- chenwillens.
IV.
Die Studentin, die unter solchen Umständen aufwächst, - und ihre Zahl ist eine große und vermehrt sich mit der Ausdehnung und Verallgemeinerung des Frauenstudiums - bringt nun alle die Anschauungen in die Universität mit. Sie verlangt vom Kommilitonen, was sie im Ballsaal von ihrem Kavalier fordert. Sie hält an den gesell- schaftlichen Formen umso fester, weil sie sich ohne den Schutz der Erwachsenen fühlt. Jhr sind die Korporations- studenten lieber, weil die korpsstudentische Erziehung die Beherrschung gesellschaftlicher Formen garantiert. Viele
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Eintritt in einen Studentinnenverein wird gerade noch gestattet. Was im Studentinnenverein getan wird, wird von den Eltern, namentlich aber von Tanten u. dergl. genau kontrolliert.
Ein solch ängstliches Verhalten der Eltern für ihre studierenden Töchter ist aus manchen Gründen erklärlich. Es hängt wieder damit zusammen, daß die Frauenbewe- gung die Grundlagen der Kultur noch kaum berührt hat – die Wertschätzung der arbeitenden Frau ist noch eine viel zu geringe. Der Vater kennt das wirkliche Leben mit seinen ganzen Gefahren für „ein junges, unbeschütz- tes Mädchen“, die Mutter ahnt es; – so halten beide wach- sames Auge über jeden Schritt ihrer Tochter. Daß damit der geistigen Entwicklung des jungen Mädchens nicht ge- dient und diese Art der Vorbereitung für den Beruf die denkbar schlechteste ist, bedenken die Eltern nicht. Sie wollen von dem einzigen Mittel, das ihren Töchtern durch die tatsächlichen Schwierigkeiten des sozialen Lebens helfen kann, im allgemeinen nichts wissen, von der Aufklärung und der Bildung eines charakterfesten, selbständigen Mäd- chenwillens.
IV.
Die Studentin, die unter solchen Umständen aufwächst, – und ihre Zahl ist eine große und vermehrt sich mit der Ausdehnung und Verallgemeinerung des Frauenstudiums – bringt nun alle die Anschauungen in die Universität mit. Sie verlangt vom Kommilitonen, was sie im Ballsaal von ihrem Kavalier fordert. Sie hält an den gesell- schaftlichen Formen umso fester, weil sie sich ohne den Schutz der Erwachsenen fühlt. Jhr sind die Korporations- studenten lieber, weil die korpsstudentische Erziehung die Beherrschung gesellschaftlicher Formen garantiert. Viele
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[17/0016]
Eintritt in einen Studentinnenverein wird gerade noch
gestattet. Was im Studentinnenverein getan wird, wird
von den Eltern, namentlich aber von Tanten u. dergl.
genau kontrolliert.
Ein solch ängstliches Verhalten der Eltern für ihre
studierenden Töchter ist aus manchen Gründen erklärlich.
Es hängt wieder damit zusammen, daß die Frauenbewe-
gung die Grundlagen der Kultur noch kaum berührt hat
– die Wertschätzung der arbeitenden Frau ist noch eine
viel zu geringe. Der Vater kennt das wirkliche Leben
mit seinen ganzen Gefahren für „ein junges, unbeschütz-
tes Mädchen“, die Mutter ahnt es; – so halten beide wach-
sames Auge über jeden Schritt ihrer Tochter. Daß damit
der geistigen Entwicklung des jungen Mädchens nicht ge-
dient und diese Art der Vorbereitung für den Beruf die
denkbar schlechteste ist, bedenken die Eltern nicht. Sie
wollen von dem einzigen Mittel, das ihren Töchtern durch
die tatsächlichen Schwierigkeiten des sozialen Lebens helfen
kann, im allgemeinen nichts wissen, von der Aufklärung
und der Bildung eines charakterfesten, selbständigen Mäd-
chenwillens.
IV.
Die Studentin, die unter solchen Umständen aufwächst,
– und ihre Zahl ist eine große und vermehrt sich mit der
Ausdehnung und Verallgemeinerung des Frauenstudiums
– bringt nun alle die Anschauungen in die Universität mit.
Sie verlangt vom Kommilitonen, was sie im Ballsaal
von ihrem Kavalier fordert. Sie hält an den gesell-
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Ohr, Julie: Die Studentin der Gegenwart. München-Gern, 1909, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ohr_studentin_1909/16>, abgerufen am 16.07.2024.
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