Allgemeine Zeitung, Nr. 45, 7. November 1914.7. November 1914. Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
nationalen Denkens und Empfindens zur Lösung bringen. JederStaat soll auch für seine Frauen und die Gestaltung ihrer Existenz, ihres Berufes und ihrer Geltung im Staate aufkommen, so gut wie für seine geistigen und wirtschaftlichen Arbeiter. Die Rolle, welche jedes Volk seinen Frauen zuweist, beruht viel zu sehr auf eigen- artigen Volksüberzeugungen religiöser, sittlicher und wirtschaftlich- sozialer Natur, als daß sie bei der Verschiedenheit dieser Ueber- zeugungen in den einzelnen Völkern durch internationales Zusam- menarbeiten bestimmt werden könnte, wie leider viele Frauenvereine wähnen. Der Krieg hat enthüllt, daß solche Hoffnungen auf inter- Militarismus. Der neueste Köder, mit dem Staatsmänner und andere Poli- Sonach könnten wir die Sache auf sich beruhen lassen, wenn Diese für uns ungünstigen Umstände suchen nun die Draht- Zensur und Zeitungsredaktion. Zu diesem Thema bringt die Kölnische Zeitung folgende sehr Nur wenige Zeitungsleser werden sich darüber klar sein, welche Was nun die offizielle Berichterstattung unserer Heeres- und Was nun die übrigen Mitteilungen der Zeitung betrifft, so 7. November 1914. Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch]
nationalen Denkens und Empfindens zur Löſung bringen. JederStaat ſoll auch für ſeine Frauen und die Geſtaltung ihrer Exiſtenz, ihres Berufes und ihrer Geltung im Staate aufkommen, ſo gut wie für ſeine geiſtigen und wirtſchaftlichen Arbeiter. Die Rolle, welche jedes Volk ſeinen Frauen zuweiſt, beruht viel zu ſehr auf eigen- artigen Volksüberzeugungen religiöſer, ſittlicher und wirtſchaftlich- ſozialer Natur, als daß ſie bei der Verſchiedenheit dieſer Ueber- zeugungen in den einzelnen Völkern durch internationales Zuſam- menarbeiten beſtimmt werden könnte, wie leider viele Frauenvereine wähnen. Der Krieg hat enthüllt, daß ſolche Hoffnungen auf inter- Militarismus. Der neueſte Köder, mit dem Staatsmänner und andere Poli- Sonach könnten wir die Sache auf ſich beruhen laſſen, wenn Dieſe für uns ungünſtigen Umſtände ſuchen nun die Draht- Zenſur und Zeitungsredaktion. Zu dieſem Thema bringt die Kölniſche Zeitung folgende ſehr Nur wenige Zeitungsleſer werden ſich darüber klar ſein, welche Was nun die offizielle Berichterſtattung unſerer Heeres- und Was nun die übrigen Mitteilungen der Zeitung betrifft, ſo <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <div n="2"> <div type="jComment" n="3"> <p><pb facs="#f0009" n="653"/><fw place="top" type="header">7. November 1914. <hi rendition="#b">Allgemeine Zeitung</hi></fw><lb/><cb/> nationalen Denkens und Empfindens zur Löſung bringen. Jeder<lb/> Staat ſoll auch für ſeine Frauen und die Geſtaltung ihrer Exiſtenz,<lb/> ihres Berufes und ihrer Geltung im Staate aufkommen, ſo gut wie<lb/> für ſeine geiſtigen und wirtſchaftlichen Arbeiter. Die Rolle, welche<lb/> jedes Volk ſeinen Frauen zuweiſt, beruht viel zu ſehr auf eigen-<lb/> artigen Volksüberzeugungen religiöſer, ſittlicher und wirtſchaftlich-<lb/> ſozialer Natur, als daß ſie bei der Verſchiedenheit dieſer Ueber-<lb/> zeugungen in den einzelnen Völkern durch internationales Zuſam-<lb/> menarbeiten beſtimmt werden könnte, wie leider viele Frauenvereine<lb/> wähnen.</p><lb/> <p>Der Krieg hat enthüllt, daß ſolche Hoffnungen auf inter-<lb/> nationale Löſung der wichtigſten menſchlichen Probleme nur<lb/> Träume geweſen ſind. Der harte Realismus des engliſchen Den-<lb/> kens hat ſo manchen Traum jählings vernichtet, den die deutſche<lb/> Gutgläubigkeit für Wahrheit nahm. Die Zukunft gehört den<lb/> Völkern von ſtarkem nationalem Selbſtbewußtſein. Sie gehört<lb/> nicht denen, die alle völkiſchen Unterſchiede ausgleichen und ver-<lb/> wiſchen möchten.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jComment" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Militarismus.</hi> </head><lb/> <p>Der neueſte Köder, mit dem Staatsmänner und andere Poli-<lb/> tiker Englands krebſen gehen, iſt das Schlagwort „Militarismus“.<lb/> Nicht die deutſche Nation zu vernichten, ſagen ſie, ſei der Zweck des<lb/> gegenwärtigen Krieges, ſondern uns und die ganze Welt von dem<lb/> unerträglichen Druck des preußiſch-deutſchen Militarismus zu be-<lb/> freien. Man ſollte kaum glauben, daß ſo ein plumper Verſuch, die<lb/> öffentliche Meinung über die Ziele der engliſchen Kriegführung<lb/> irre zu führen, Erfolg haben könnte. Wenn ihm die Abſicht zu-<lb/> grunde liegen ſollte, die Kraft Deutſchlands durch Wiedererweckung<lb/> früherer Parteigegenſätze zu lähmen, ſo werden die Intriganten<lb/> heute ſchon wiſſen, wie ſehr ſie den geſunden geiſtigen Kern der<lb/> deutſchen Nation unterſchätzt haben. Und ſelbſt in ihrem eigenen<lb/> Lande ſcheint ihre Idee nicht allgemeinen Anklang zu finden, denn<lb/> in der Morningpoſt vom 20. Oktober d. J. begegnen wir dem Aus-<lb/> ſpruch: „Das abſurde Geſchwätz, daß dieſer Krieg nur dem Mili-<lb/> tarismus gelte, muß unterdrückt werden.“</p><lb/> <p>Sonach könnten wir die Sache auf ſich beruhen laſſen, wenn<lb/> nicht beachtenswerte Stimmen des Auslandes erkennen ließen, daß<lb/> dort die betrügeriſche Vorſpiegelung vielfach ihren Zweck zu er-<lb/> reichen droht. Das iſt, wie der Gen. d. Inf. z. D., v. <hi rendition="#g">Blume</hi>,<lb/> in der Kreuz-Zeitung mit Recht ſagt, nicht zum geringen Teil eine<lb/> Folge davon, daß wir bisher zu wenig, weit weniger als andere<lb/> Nationen, darauf bedacht geweſen ſind, unſer Licht auch in der<lb/> Fremde leuchten zu laſſen, daß wir die oft kleinlichen, aber not-<lb/> wendigen Mittel zur Erzielung einer gerechten Würdigung unſeres<lb/> Volkscharakters, unſerer Inſtitutionen und unſerer Leiſtungen ver-<lb/> ſchmäht und dadurch unſeren Widerſachern freie Hand zu unſerer<lb/> Verunglimpfung gelaſſen haben. Infolgedeſſen unterliegen auch<lb/> unſere Wehrverfaſſung und unſer Heerweſen in nicht wenigen<lb/> Ländern, beſonders in ſolchen, in denen demokratiſche Anſchauungen<lb/> vorherrſchen, abfälliger Beurteilung unter Verwertung von Schlag-<lb/> wörtern wie Militarismus, Sklavendienſt, Kadavergehorſam uſw.,<lb/> während man bei näherer Bekanntſchaft mit ihnen erkennen würde,<lb/> eine wie ſtarke und volkstümliche Schutzwehr und wie wertvolle<lb/> Bildungsmittel wir ihnen verdanken. Und auch darüber, wie<lb/> unſere Wehrverfaſſung, unſer Heer und unſere Marine ſich im<lb/> jetzigen Kriege bewähren, gelangen infolge unſerer unzulänglichen<lb/> Beziehungen zum Auslande faſt nur die Lügenberichte unſerer<lb/> Gegner dorthin.</p><lb/> <p>Dieſe für uns ungünſtigen Umſtände ſuchen nun die Draht-<lb/> zieher jenſeits des Kanals, die die Gefahren der Verteidigung ihres<lb/> Landes und ſeiner Intereſſen nach Art des dunklen Mittelalters<lb/> Söldnern überlaſſen, zu benutzen, um in der angegebenen Weiſe<lb/> die Welt darüber zu täuſchen, daß für ſie lediglich Herrſch- und<lb/> ſchnöde Gewinnſucht die Triebfedern zu dem gegenwärtigen Kriege<lb/> ſind. Daß ſie lediglich den Zweck verfolgen, die Menſchheit von<lb/> dem angeblichen Druck des Militarismus zu befreien, kann ihnen<lb/> nur der glauben, der den Pferdefuß nicht ſieht, der aus ihren<lb/> Verſicherungen herausguckt. Wenn ſie ehrlich erklärten, daß ſie<lb/> es auf Vernichtung der deutſchen Wehrkraft abgeſehen haben, ſo<lb/> ließe ſich dagegen wenigſtens inſoferne nichts ſagen, als das Ziel<lb/> jeder ernſten Kriegführung darin beſteht, die Wehrkraft des Geg-<lb/> ners und dadurch ſeinen politiſchen Willen zu brechen. Aber da-<lb/> neben zu verkünden, man habe nur das Wohl der Menſchheit und<lb/><cb/> auch das des feindlichen Landes im Auge, indem man ſie von<lb/> einem ſchweren Druck befreien wolle, iſt eine Heuchelei, deren ſich<lb/> Männer nicht ſchuldig machen ſollten. Es iſt überdies eine Dor-<lb/> heit, wenn ſolcher Verſuch von Staatsmännern der Macht unter-<lb/> nommen wird, die unverfroren die Alleinherrſchaft auf dem Meere<lb/> für ſich in Anſpruch nimmt und ſich bei ihrer Ausübung rückſichts-<lb/> los über das Völkerrecht ſowie über die Intereſſen anderer Staaten<lb/> hinwegſetzt, ſobald ſie ſich davon Vorteile verſpricht, ja, andere<lb/> Völker in dieſem Falle unbedenklich der Freiheit beraubt.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jArticle" n="3"> <head> <hi rendition="#b">Zenſur und Zeitungsredaktion.</hi> </head><lb/> <p>Zu dieſem Thema bringt die Kölniſche Zeitung folgende ſehr<lb/> berechtigte Ausführungen, deren Wiedergabe in der Tagespreſſe ſo-<lb/> wohl im Intereſſe der Zenſurbehörden wie der <hi rendition="#g">Aufklärung des<lb/> Publikums</hi> erwünſcht erſcheint:</p><lb/> <cit> <quote>Nur wenige Zeitungsleſer werden ſich darüber klar ſein, welche<lb/> beſondern Schwierigkeiten der Krieg für die redaktionelle Herſtellung<lb/> der Zeitungen mit ſich bringt. Der Leſer denkt vermutlich, daß die<lb/> Zuſammenſtellung einer Zeitung in dieſer Zeit, da eine intereſſante<lb/> Nachricht der andern folgt, beſonders leicht und einfach ſei. Dem iſt<lb/> jedoch nicht ſo. Der Weg vom Ereignis bis in die Spalten der Zei-<lb/> tung iſt aus verſchiedenen Gründen in Kriegszeiten beſonders<lb/> ſchwierig. In dem Augenblick der Mobilmachung tritt gebieteriſch<lb/> eine Notwendigkeit ein, der ſich alle Rückſichten auf die Preſſe und<lb/> die Leſer unterzuordnen haben; zu verhüten, daß auch nur der ge-<lb/> ringſte Aufſchluß über den Aufmarſch ins feindliche Ausland gelangt.<lb/> Im weitern Verlauf des Krieges tritt die Notwendigkeit hinzu, alles<lb/> zu verheimlichen, was dem Feinde auch nur den geringſten Anhalt<lb/> über die Abſichten der Heeres- und Marineleitung geben könnte.<lb/> Kurz geſagt, es darf nichts bekannt werden, was die Erfüllung der<lb/> gewaltigen Aufgabe irgendwie ſchädigen könnte. Dieſe Bedingung<lb/> muß zuerſt erfüllt ſein, ehe das Publikum durch die Preſſe über die<lb/> Vorgänge im Kampfgebiet unterrichtet werden kann. Noch mehr als<lb/> ſonſt gilt jetzt der Satz, daß die Tat wichtiger iſt als das Wort, und<lb/> daß das Wort, das die Tat beeinträchtigen könnte, unterdrückt wer-<lb/> den muß.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Was nun die offizielle Berichterſtattung unſerer Heeres- und<lb/> Marineleitung betrifft, ſo war ſie von Anfang an von dem Grund-<lb/> ſatz geleitet, daß man nichts mitteilen werde, was nicht bis ins<lb/> kleinſte hinein richtig iſt. Dieſem Grundſatz iſt unſere Heeres- und<lb/> Marineleitung in muſterhafter Weiſe gefolgt. Knapp, ſachlich, den<lb/> leiſeſten Schein von Phraſe vermeidend, eher zurückhaltend als auch<lb/> nur im geringſten etwas als erreicht hinſtellend, was nicht ganz ab-<lb/> geſchloſſen vorlag, ſo hat ſie im Lapidarſtil das deutſche Volk unter-<lb/> richtet. Von Anfang an war geplant geweſen, öfter einmal aus-<lb/> führlich, zuſammenfaſſend zu berichten. Der ſtürmiſche Sieges-<lb/> lauf unſerer Truppen hat das unmöglich gemacht. Das Bild ändert<lb/> ſich immer wieder. Es kam ſo unaufhaltſam Neues, daß jeder<lb/> ſammelnde Rückblick unmöglich wurde. Solange unſer Feldheer<lb/> ſo unaufhaltſam vordringt, muß es bei der knappen Berichterſtat-<lb/> tung bleiben. Das wird das Publikum verſtehen.</quote> </cit><lb/> <cit> <quote>Was nun die übrigen Mitteilungen der Zeitung betrifft, ſo<lb/> unterliegen ſie einer notwendigen, ſorgfältigen Zenſur. So ſorg-<lb/> fältig auch die Redaktionen ſelbſt prüfen, manches iſt im Werden,<lb/> das auch der beſtunterrichteten Redaktion unter den heutigen Ver-<lb/> hältniſſen nicht bekannt ſein kann, mancher Faden iſt angeknüpft,<lb/> den unter den jetzigen Umſtänden der Zeitungsmann noch nicht<lb/> ſieht. Die Redaktionen ordnen ſich der Notwendigkeit der Prü-<lb/> fung ihres Materials um der Sache willen gern unter, und ſie<lb/> nehmen es in Kauf, daß dieſe Prüfung die Veröffentlichung der<lb/> Nachrichten verzögert, da den Zenſurſtellen in Berlin und in der<lb/> Provinz unendlich viel Material durch die Hände geht. Mancher<lb/> intereſſante Bericht, manches wichtige Telegramm kann aus den<lb/> geſchilderten Erwägungen nicht veröffentlicht werden. Wir<lb/> möchten aber an dieſer Stelle die mit der ſchwierigen Aufgabe<lb/> der Ueberwachung der Preſſe betrauten Zenſurbehörden bitten,<lb/> die gewaltigen Schwierigkeiten zu berückſichtigen, welche die Zei-<lb/> tungen zu überwinden haben, denen in ihrem Betriebe nun plötz-<lb/> lich ſolche ſie auf Schritt und Tritt hemmenden Beſchränkungen<lb/> auferlegt ſind. Dieſe Schwierigkeiten wachſen mit der Größe<lb/> des Zeitungsbetriebs und der Fülle des dem Blatte zuſtrömenden<lb/> Stoffes ins Unabſehbare, und ſie ſind bis zu einem gewiſſen<lb/> Grade unüberwindlich, weil die Beantwortung der Frage, ob<lb/></quote> </cit> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [653/0009]
7. November 1914. Allgemeine Zeitung
nationalen Denkens und Empfindens zur Löſung bringen. Jeder
Staat ſoll auch für ſeine Frauen und die Geſtaltung ihrer Exiſtenz,
ihres Berufes und ihrer Geltung im Staate aufkommen, ſo gut wie
für ſeine geiſtigen und wirtſchaftlichen Arbeiter. Die Rolle, welche
jedes Volk ſeinen Frauen zuweiſt, beruht viel zu ſehr auf eigen-
artigen Volksüberzeugungen religiöſer, ſittlicher und wirtſchaftlich-
ſozialer Natur, als daß ſie bei der Verſchiedenheit dieſer Ueber-
zeugungen in den einzelnen Völkern durch internationales Zuſam-
menarbeiten beſtimmt werden könnte, wie leider viele Frauenvereine
wähnen.
Der Krieg hat enthüllt, daß ſolche Hoffnungen auf inter-
nationale Löſung der wichtigſten menſchlichen Probleme nur
Träume geweſen ſind. Der harte Realismus des engliſchen Den-
kens hat ſo manchen Traum jählings vernichtet, den die deutſche
Gutgläubigkeit für Wahrheit nahm. Die Zukunft gehört den
Völkern von ſtarkem nationalem Selbſtbewußtſein. Sie gehört
nicht denen, die alle völkiſchen Unterſchiede ausgleichen und ver-
wiſchen möchten.
Militarismus.
Der neueſte Köder, mit dem Staatsmänner und andere Poli-
tiker Englands krebſen gehen, iſt das Schlagwort „Militarismus“.
Nicht die deutſche Nation zu vernichten, ſagen ſie, ſei der Zweck des
gegenwärtigen Krieges, ſondern uns und die ganze Welt von dem
unerträglichen Druck des preußiſch-deutſchen Militarismus zu be-
freien. Man ſollte kaum glauben, daß ſo ein plumper Verſuch, die
öffentliche Meinung über die Ziele der engliſchen Kriegführung
irre zu führen, Erfolg haben könnte. Wenn ihm die Abſicht zu-
grunde liegen ſollte, die Kraft Deutſchlands durch Wiedererweckung
früherer Parteigegenſätze zu lähmen, ſo werden die Intriganten
heute ſchon wiſſen, wie ſehr ſie den geſunden geiſtigen Kern der
deutſchen Nation unterſchätzt haben. Und ſelbſt in ihrem eigenen
Lande ſcheint ihre Idee nicht allgemeinen Anklang zu finden, denn
in der Morningpoſt vom 20. Oktober d. J. begegnen wir dem Aus-
ſpruch: „Das abſurde Geſchwätz, daß dieſer Krieg nur dem Mili-
tarismus gelte, muß unterdrückt werden.“
Sonach könnten wir die Sache auf ſich beruhen laſſen, wenn
nicht beachtenswerte Stimmen des Auslandes erkennen ließen, daß
dort die betrügeriſche Vorſpiegelung vielfach ihren Zweck zu er-
reichen droht. Das iſt, wie der Gen. d. Inf. z. D., v. Blume,
in der Kreuz-Zeitung mit Recht ſagt, nicht zum geringen Teil eine
Folge davon, daß wir bisher zu wenig, weit weniger als andere
Nationen, darauf bedacht geweſen ſind, unſer Licht auch in der
Fremde leuchten zu laſſen, daß wir die oft kleinlichen, aber not-
wendigen Mittel zur Erzielung einer gerechten Würdigung unſeres
Volkscharakters, unſerer Inſtitutionen und unſerer Leiſtungen ver-
ſchmäht und dadurch unſeren Widerſachern freie Hand zu unſerer
Verunglimpfung gelaſſen haben. Infolgedeſſen unterliegen auch
unſere Wehrverfaſſung und unſer Heerweſen in nicht wenigen
Ländern, beſonders in ſolchen, in denen demokratiſche Anſchauungen
vorherrſchen, abfälliger Beurteilung unter Verwertung von Schlag-
wörtern wie Militarismus, Sklavendienſt, Kadavergehorſam uſw.,
während man bei näherer Bekanntſchaft mit ihnen erkennen würde,
eine wie ſtarke und volkstümliche Schutzwehr und wie wertvolle
Bildungsmittel wir ihnen verdanken. Und auch darüber, wie
unſere Wehrverfaſſung, unſer Heer und unſere Marine ſich im
jetzigen Kriege bewähren, gelangen infolge unſerer unzulänglichen
Beziehungen zum Auslande faſt nur die Lügenberichte unſerer
Gegner dorthin.
Dieſe für uns ungünſtigen Umſtände ſuchen nun die Draht-
zieher jenſeits des Kanals, die die Gefahren der Verteidigung ihres
Landes und ſeiner Intereſſen nach Art des dunklen Mittelalters
Söldnern überlaſſen, zu benutzen, um in der angegebenen Weiſe
die Welt darüber zu täuſchen, daß für ſie lediglich Herrſch- und
ſchnöde Gewinnſucht die Triebfedern zu dem gegenwärtigen Kriege
ſind. Daß ſie lediglich den Zweck verfolgen, die Menſchheit von
dem angeblichen Druck des Militarismus zu befreien, kann ihnen
nur der glauben, der den Pferdefuß nicht ſieht, der aus ihren
Verſicherungen herausguckt. Wenn ſie ehrlich erklärten, daß ſie
es auf Vernichtung der deutſchen Wehrkraft abgeſehen haben, ſo
ließe ſich dagegen wenigſtens inſoferne nichts ſagen, als das Ziel
jeder ernſten Kriegführung darin beſteht, die Wehrkraft des Geg-
ners und dadurch ſeinen politiſchen Willen zu brechen. Aber da-
neben zu verkünden, man habe nur das Wohl der Menſchheit und
auch das des feindlichen Landes im Auge, indem man ſie von
einem ſchweren Druck befreien wolle, iſt eine Heuchelei, deren ſich
Männer nicht ſchuldig machen ſollten. Es iſt überdies eine Dor-
heit, wenn ſolcher Verſuch von Staatsmännern der Macht unter-
nommen wird, die unverfroren die Alleinherrſchaft auf dem Meere
für ſich in Anſpruch nimmt und ſich bei ihrer Ausübung rückſichts-
los über das Völkerrecht ſowie über die Intereſſen anderer Staaten
hinwegſetzt, ſobald ſie ſich davon Vorteile verſpricht, ja, andere
Völker in dieſem Falle unbedenklich der Freiheit beraubt.
Zenſur und Zeitungsredaktion.
Zu dieſem Thema bringt die Kölniſche Zeitung folgende ſehr
berechtigte Ausführungen, deren Wiedergabe in der Tagespreſſe ſo-
wohl im Intereſſe der Zenſurbehörden wie der Aufklärung des
Publikums erwünſcht erſcheint:
Nur wenige Zeitungsleſer werden ſich darüber klar ſein, welche
beſondern Schwierigkeiten der Krieg für die redaktionelle Herſtellung
der Zeitungen mit ſich bringt. Der Leſer denkt vermutlich, daß die
Zuſammenſtellung einer Zeitung in dieſer Zeit, da eine intereſſante
Nachricht der andern folgt, beſonders leicht und einfach ſei. Dem iſt
jedoch nicht ſo. Der Weg vom Ereignis bis in die Spalten der Zei-
tung iſt aus verſchiedenen Gründen in Kriegszeiten beſonders
ſchwierig. In dem Augenblick der Mobilmachung tritt gebieteriſch
eine Notwendigkeit ein, der ſich alle Rückſichten auf die Preſſe und
die Leſer unterzuordnen haben; zu verhüten, daß auch nur der ge-
ringſte Aufſchluß über den Aufmarſch ins feindliche Ausland gelangt.
Im weitern Verlauf des Krieges tritt die Notwendigkeit hinzu, alles
zu verheimlichen, was dem Feinde auch nur den geringſten Anhalt
über die Abſichten der Heeres- und Marineleitung geben könnte.
Kurz geſagt, es darf nichts bekannt werden, was die Erfüllung der
gewaltigen Aufgabe irgendwie ſchädigen könnte. Dieſe Bedingung
muß zuerſt erfüllt ſein, ehe das Publikum durch die Preſſe über die
Vorgänge im Kampfgebiet unterrichtet werden kann. Noch mehr als
ſonſt gilt jetzt der Satz, daß die Tat wichtiger iſt als das Wort, und
daß das Wort, das die Tat beeinträchtigen könnte, unterdrückt wer-
den muß.
Was nun die offizielle Berichterſtattung unſerer Heeres- und
Marineleitung betrifft, ſo war ſie von Anfang an von dem Grund-
ſatz geleitet, daß man nichts mitteilen werde, was nicht bis ins
kleinſte hinein richtig iſt. Dieſem Grundſatz iſt unſere Heeres- und
Marineleitung in muſterhafter Weiſe gefolgt. Knapp, ſachlich, den
leiſeſten Schein von Phraſe vermeidend, eher zurückhaltend als auch
nur im geringſten etwas als erreicht hinſtellend, was nicht ganz ab-
geſchloſſen vorlag, ſo hat ſie im Lapidarſtil das deutſche Volk unter-
richtet. Von Anfang an war geplant geweſen, öfter einmal aus-
führlich, zuſammenfaſſend zu berichten. Der ſtürmiſche Sieges-
lauf unſerer Truppen hat das unmöglich gemacht. Das Bild ändert
ſich immer wieder. Es kam ſo unaufhaltſam Neues, daß jeder
ſammelnde Rückblick unmöglich wurde. Solange unſer Feldheer
ſo unaufhaltſam vordringt, muß es bei der knappen Berichterſtat-
tung bleiben. Das wird das Publikum verſtehen.
Was nun die übrigen Mitteilungen der Zeitung betrifft, ſo
unterliegen ſie einer notwendigen, ſorgfältigen Zenſur. So ſorg-
fältig auch die Redaktionen ſelbſt prüfen, manches iſt im Werden,
das auch der beſtunterrichteten Redaktion unter den heutigen Ver-
hältniſſen nicht bekannt ſein kann, mancher Faden iſt angeknüpft,
den unter den jetzigen Umſtänden der Zeitungsmann noch nicht
ſieht. Die Redaktionen ordnen ſich der Notwendigkeit der Prü-
fung ihres Materials um der Sache willen gern unter, und ſie
nehmen es in Kauf, daß dieſe Prüfung die Veröffentlichung der
Nachrichten verzögert, da den Zenſurſtellen in Berlin und in der
Provinz unendlich viel Material durch die Hände geht. Mancher
intereſſante Bericht, manches wichtige Telegramm kann aus den
geſchilderten Erwägungen nicht veröffentlicht werden. Wir
möchten aber an dieſer Stelle die mit der ſchwierigen Aufgabe
der Ueberwachung der Preſſe betrauten Zenſurbehörden bitten,
die gewaltigen Schwierigkeiten zu berückſichtigen, welche die Zei-
tungen zu überwinden haben, denen in ihrem Betriebe nun plötz-
lich ſolche ſie auf Schritt und Tritt hemmenden Beſchränkungen
auferlegt ſind. Dieſe Schwierigkeiten wachſen mit der Größe
des Zeitungsbetriebs und der Fülle des dem Blatte zuſtrömenden
Stoffes ins Unabſehbare, und ſie ſind bis zu einem gewiſſen
Grade unüberwindlich, weil die Beantwortung der Frage, ob
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(2023-04-27T12:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert. Tabellen und Anzeigen wurden dabei textlich nicht erfasst und sind lediglich strukturell ausgewiesen.
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