die Amtsfähigkeit der Plebejer nicht unter diesem Vor- wand bestritten werden konnte. Licinius erhob ihre Zahl auf ein Collegium von zehn Männern, zur Hälfte Ple- bejer: und wahrscheinlich übertrug er zuerst ihre Wahl der Nationalgemeinde.
Die dritte Rogation enthielt das licinische Acker- gesetz.
Das agrarische Recht.
Vor nicht sehr langer Zeit wäre es in jedem, nicht ausschließlich für den Philologischgelehrten, geschriebenen Werk, um die entsetzlichste Mißdeutung zu verhindern, nothwendig gewesen mit großer Sorgfalt zu erweisen, daß die Ackergesetze der Tribunen das Landeigenthum nicht betrafen. Jetzt erlauben uns bekannte, aus Ap- pian und Plutarch verfaßte, Erzählungen der gracchi- schen Unruhen, als schon eingeräumt vorauszusetzen daß kein tribunicisches Ackergesetz dieses heilige Recht ver- letzte: doch ist es an sich wichtig zu betrachten wie zwey große Denker über die römische Geschichte jene falsche und schreckliche Ansicht gefaßt haben. Ihre Kühnheit das verwegen Frevelhafte des vermeinten allgemeinen Heils wegen mit Beyfall zu beschauen, möchten wir nicht theilen: doch ist sie vielleicht verzeihlich: an dem einen weil er in einer seit Jahrhunderten unaufhörlich erschütterten, und an jede Kränkung des förmlichen Rechts gewöhnten Republik: an dem andern weil er in einem Zeitalter lebte welches seiner Ruhe überdrüssig, und, mit Revolutionen seit Menschenaltern unbekannt,
die Amtsfaͤhigkeit der Plebejer nicht unter dieſem Vor- wand beſtritten werden konnte. Licinius erhob ihre Zahl auf ein Collegium von zehn Maͤnnern, zur Haͤlfte Ple- bejer: und wahrſcheinlich uͤbertrug er zuerſt ihre Wahl der Nationalgemeinde.
Die dritte Rogation enthielt das liciniſche Acker- geſetz.
Das agrariſche Recht.
Vor nicht ſehr langer Zeit waͤre es in jedem, nicht ausſchließlich fuͤr den Philologiſchgelehrten, geſchriebenen Werk, um die entſetzlichſte Mißdeutung zu verhindern, nothwendig geweſen mit großer Sorgfalt zu erweiſen, daß die Ackergeſetze der Tribunen das Landeigenthum nicht betrafen. Jetzt erlauben uns bekannte, aus Ap- pian und Plutarch verfaßte, Erzaͤhlungen der gracchi- ſchen Unruhen, als ſchon eingeraͤumt vorauszuſetzen daß kein tribuniciſches Ackergeſetz dieſes heilige Recht ver- letzte: doch iſt es an ſich wichtig zu betrachten wie zwey große Denker uͤber die roͤmiſche Geſchichte jene falſche und ſchreckliche Anſicht gefaßt haben. Ihre Kuͤhnheit das verwegen Frevelhafte des vermeinten allgemeinen Heils wegen mit Beyfall zu beſchauen, moͤchten wir nicht theilen: doch iſt ſie vielleicht verzeihlich: an dem einen weil er in einer ſeit Jahrhunderten unaufhoͤrlich erſchuͤtterten, und an jede Kraͤnkung des foͤrmlichen Rechts gewoͤhnten Republik: an dem andern weil er in einem Zeitalter lebte welches ſeiner Ruhe uͤberdruͤſſig, und, mit Revolutionen ſeit Menſchenaltern unbekannt,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0365"n="349"/>
die Amtsfaͤhigkeit der Plebejer nicht unter dieſem Vor-<lb/>
wand beſtritten werden konnte. Licinius erhob ihre Zahl<lb/>
auf ein Collegium von zehn Maͤnnern, zur Haͤlfte Ple-<lb/>
bejer: und wahrſcheinlich uͤbertrug er zuerſt ihre Wahl<lb/>
der Nationalgemeinde.</p><lb/><p>Die dritte Rogation enthielt das liciniſche Acker-<lb/>
geſetz.</p></div><lb/><divn="1"><head><hirendition="#g">Das agrariſche Recht</hi>.</head><lb/><p>Vor nicht ſehr langer Zeit waͤre es in jedem, nicht<lb/>
ausſchließlich fuͤr den Philologiſchgelehrten, geſchriebenen<lb/>
Werk, um die entſetzlichſte Mißdeutung zu verhindern,<lb/>
nothwendig geweſen mit großer Sorgfalt zu erweiſen,<lb/>
daß die Ackergeſetze der Tribunen das Landeigenthum<lb/>
nicht betrafen. Jetzt erlauben uns bekannte, aus Ap-<lb/>
pian und Plutarch verfaßte, Erzaͤhlungen der gracchi-<lb/>ſchen Unruhen, als ſchon eingeraͤumt vorauszuſetzen daß<lb/>
kein tribuniciſches Ackergeſetz dieſes heilige Recht ver-<lb/>
letzte: doch iſt es an ſich wichtig zu betrachten wie zwey<lb/>
große Denker uͤber die roͤmiſche Geſchichte jene falſche<lb/>
und ſchreckliche Anſicht gefaßt haben. Ihre Kuͤhnheit<lb/>
das verwegen Frevelhafte des vermeinten allgemeinen<lb/>
Heils wegen mit Beyfall zu beſchauen, moͤchten wir<lb/>
nicht theilen: doch iſt ſie vielleicht verzeihlich: an dem<lb/>
einen weil er in einer ſeit Jahrhunderten unaufhoͤrlich<lb/>
erſchuͤtterten, und an jede Kraͤnkung des foͤrmlichen<lb/>
Rechts gewoͤhnten Republik: an dem andern weil er in<lb/>
einem Zeitalter lebte welches ſeiner Ruhe uͤberdruͤſſig,<lb/>
und, mit Revolutionen ſeit Menſchenaltern unbekannt,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[349/0365]
die Amtsfaͤhigkeit der Plebejer nicht unter dieſem Vor-
wand beſtritten werden konnte. Licinius erhob ihre Zahl
auf ein Collegium von zehn Maͤnnern, zur Haͤlfte Ple-
bejer: und wahrſcheinlich uͤbertrug er zuerſt ihre Wahl
der Nationalgemeinde.
Die dritte Rogation enthielt das liciniſche Acker-
geſetz.
Das agrariſche Recht.
Vor nicht ſehr langer Zeit waͤre es in jedem, nicht
ausſchließlich fuͤr den Philologiſchgelehrten, geſchriebenen
Werk, um die entſetzlichſte Mißdeutung zu verhindern,
nothwendig geweſen mit großer Sorgfalt zu erweiſen,
daß die Ackergeſetze der Tribunen das Landeigenthum
nicht betrafen. Jetzt erlauben uns bekannte, aus Ap-
pian und Plutarch verfaßte, Erzaͤhlungen der gracchi-
ſchen Unruhen, als ſchon eingeraͤumt vorauszuſetzen daß
kein tribuniciſches Ackergeſetz dieſes heilige Recht ver-
letzte: doch iſt es an ſich wichtig zu betrachten wie zwey
große Denker uͤber die roͤmiſche Geſchichte jene falſche
und ſchreckliche Anſicht gefaßt haben. Ihre Kuͤhnheit
das verwegen Frevelhafte des vermeinten allgemeinen
Heils wegen mit Beyfall zu beſchauen, moͤchten wir
nicht theilen: doch iſt ſie vielleicht verzeihlich: an dem
einen weil er in einer ſeit Jahrhunderten unaufhoͤrlich
erſchuͤtterten, und an jede Kraͤnkung des foͤrmlichen
Rechts gewoͤhnten Republik: an dem andern weil er in
einem Zeitalter lebte welches ſeiner Ruhe uͤberdruͤſſig,
und, mit Revolutionen ſeit Menſchenaltern unbekannt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/365>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.