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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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abweichendes, schöneres Licht gegeben hatten --
vorzüglich die, um der göttlichen Brechung und
der zu aller wahren Gegenseitigkeit nothwendi-
gen Entzweiung und Partheiung des bürgerli-
chen Lebens willen gebildeten Standesunterschiede
-- gingen verloren. Der Staat entbehrte nun
aller inneren Umrisse; wie mochte er die äußeren
behaupten! Die Nationalität zerfloß, während
man die Festigkeit durch eine starre, Kriegesvöl-
kern abgeborgte, Gesetzgebung aufrecht zu erhal-
ten strebte.

Mitten unter diesem allgemeinen Schiffbruche
des bürgerlichen Lebens erhob sich nun ein allge-
meines Rufen nach Freiheit, Staatsverfassung,
Recht, Gemeinwohl, Frieden, Gesetz -- wor-
unter, und unter treuem Erforschen jenes Gei-
stes, von dem einzig die Rettung kommen konnte,
des Geistes der Vorwelt, einzelnen Wenigen
die Quelle aller wahren Staatsweisheit, aber
auch für die Ewigkeit, sichtbar geworden.

Das Mittelalter wurde aus der Verachtung,
worin es die kaufmännische Richtung aller Ge-
schichtschreiber gebracht hatte, wieder hervorge-
zogen, vielleicht von allzu begeisterten Freunden,
vielleicht mit zu ausschließender Vorliebe. Wie
möchte aber eine geächtete Schönheit, ohne Be-
geisterung, ohne Vorliebe, in ihre Rechte wieder

abweichendes, ſchoͤneres Licht gegeben hatten —
vorzuͤglich die, um der goͤttlichen Brechung und
der zu aller wahren Gegenſeitigkeit nothwendi-
gen Entzweiung und Partheiung des buͤrgerli-
chen Lebens willen gebildeten Standesunterſchiede
— gingen verloren. Der Staat entbehrte nun
aller inneren Umriſſe; wie mochte er die aͤußeren
behaupten! Die Nationalitaͤt zerfloß, waͤhrend
man die Feſtigkeit durch eine ſtarre, Kriegesvoͤl-
kern abgeborgte, Geſetzgebung aufrecht zu erhal-
ten ſtrebte.

Mitten unter dieſem allgemeinen Schiffbruche
des buͤrgerlichen Lebens erhob ſich nun ein allge-
meines Rufen nach Freiheit, Staatsverfaſſung,
Recht, Gemeinwohl, Frieden, Geſetz — wor-
unter, und unter treuem Erforſchen jenes Gei-
ſtes, von dem einzig die Rettung kommen konnte,
des Geiſtes der Vorwelt, einzelnen Wenigen
die Quelle aller wahren Staatsweisheit, aber
auch fuͤr die Ewigkeit, ſichtbar geworden.

Das Mittelalter wurde aus der Verachtung,
worin es die kaufmaͤnniſche Richtung aller Ge-
ſchichtſchreiber gebracht hatte, wieder hervorge-
zogen, vielleicht von allzu begeiſterten Freunden,
vielleicht mit zu ausſchließender Vorliebe. Wie
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[133/0141] abweichendes, ſchoͤneres Licht gegeben hatten — vorzuͤglich die, um der goͤttlichen Brechung und der zu aller wahren Gegenſeitigkeit nothwendi- gen Entzweiung und Partheiung des buͤrgerli- chen Lebens willen gebildeten Standesunterſchiede — gingen verloren. Der Staat entbehrte nun aller inneren Umriſſe; wie mochte er die aͤußeren behaupten! Die Nationalitaͤt zerfloß, waͤhrend man die Feſtigkeit durch eine ſtarre, Kriegesvoͤl- kern abgeborgte, Geſetzgebung aufrecht zu erhal- ten ſtrebte. Mitten unter dieſem allgemeinen Schiffbruche des buͤrgerlichen Lebens erhob ſich nun ein allge- meines Rufen nach Freiheit, Staatsverfaſſung, Recht, Gemeinwohl, Frieden, Geſetz — wor- unter, und unter treuem Erforſchen jenes Gei- ſtes, von dem einzig die Rettung kommen konnte, des Geiſtes der Vorwelt, einzelnen Wenigen die Quelle aller wahren Staatsweisheit, aber auch fuͤr die Ewigkeit, ſichtbar geworden. Das Mittelalter wurde aus der Verachtung, worin es die kaufmaͤnniſche Richtung aller Ge- ſchichtſchreiber gebracht hatte, wieder hervorge- zogen, vielleicht von allzu begeiſterten Freunden, vielleicht mit zu ausſchließender Vorliebe. Wie moͤchte aber eine geaͤchtete Schoͤnheit, ohne Be- geiſterung, ohne Vorliebe, in ihre Rechte wieder

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/141>, abgerufen am 26.04.2024.