Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

eingesetzt werden! Einige Ausschweifung in der
Ehrenrettung eines aus Unverstand Verachteten,
ist eine Aeußerung schöner Seelen; wer möchte
sie nicht der sogenannten Mäßigung vorziehen,
hinter der sich träge, unwissende und kalte Na-
turen verstecken!

Indeß müssen die Lobsprüche, welche dem
Mittelalter in diesen Vorlesungen gegeben wor-
den sind, nicht so verstanden werden, als sey der
gesellschaftliche Zustand jener Zeiten das einzig
Wünschenswürdige, oder als sey die ganze Auf-
gabe der Staatskunst die, ihn zurückzuführen.
Die Elemente alles politischen Lebens, ist ge-
sagt worden, sind im Mittelalter zu finden. Die
Verbindung dieser Elemente, wie sie ganz
dem Gefühle der Völker und dem Antriebe des
Bedürfnisses überlassen blieb, war unvollkom-
men, weil sie mehr föderativ, als organisch voll-
zogen, und vom Verstande, von der Wissen-
schaft, nicht unterstützt wurde. Es fehlte an
Vergleichungspunkten, an geschichtlicher Ueber-
sicht des Universums, an sicherer Erkenntniß des
unschätzbaren neuen christlichen Zustandes. Die
alte Welt mußte wieder aufstehen, sich neben die
neue stellen, oder sie verdrängen, damit im Ver-
gleich oder in der Entbehrung das Wahre und
ewig-Feste erkannt würde. Das fromme Ge-

eingeſetzt werden! Einige Ausſchweifung in der
Ehrenrettung eines aus Unverſtand Verachteten,
iſt eine Aeußerung ſchoͤner Seelen; wer moͤchte
ſie nicht der ſogenannten Maͤßigung vorziehen,
hinter der ſich traͤge, unwiſſende und kalte Na-
turen verſtecken!

Indeß muͤſſen die Lobſpruͤche, welche dem
Mittelalter in dieſen Vorleſungen gegeben wor-
den ſind, nicht ſo verſtanden werden, als ſey der
geſellſchaftliche Zuſtand jener Zeiten das einzig
Wuͤnſchenswuͤrdige, oder als ſey die ganze Auf-
gabe der Staatskunſt die, ihn zuruͤckzufuͤhren.
Die Elemente alles politiſchen Lebens, iſt ge-
ſagt worden, ſind im Mittelalter zu finden. Die
Verbindung dieſer Elemente, wie ſie ganz
dem Gefuͤhle der Voͤlker und dem Antriebe des
Beduͤrfniſſes uͤberlaſſen blieb, war unvollkom-
men, weil ſie mehr foͤderativ, als organiſch voll-
zogen, und vom Verſtande, von der Wiſſen-
ſchaft, nicht unterſtuͤtzt wurde. Es fehlte an
Vergleichungspunkten, an geſchichtlicher Ueber-
ſicht des Univerſums, an ſicherer Erkenntniß des
unſchaͤtzbaren neuen chriſtlichen Zuſtandes. Die
alte Welt mußte wieder aufſtehen, ſich neben die
neue ſtellen, oder ſie verdraͤngen, damit im Ver-
gleich oder in der Entbehrung das Wahre und
ewig-Feſte erkannt wuͤrde. Das fromme Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0142" n="134"/>
einge&#x017F;etzt werden! Einige Aus&#x017F;chweifung in der<lb/>
Ehrenrettung eines aus Unver&#x017F;tand Verachteten,<lb/>
i&#x017F;t eine Aeußerung &#x017F;cho&#x0364;ner Seelen; wer mo&#x0364;chte<lb/>
&#x017F;ie nicht der &#x017F;ogenannten Ma&#x0364;ßigung vorziehen,<lb/>
hinter der &#x017F;ich tra&#x0364;ge, unwi&#x017F;&#x017F;ende und kalte Na-<lb/>
turen ver&#x017F;tecken!</p><lb/>
            <p>Indeß mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die Lob&#x017F;pru&#x0364;che, welche dem<lb/>
Mittelalter in die&#x017F;en Vorle&#x017F;ungen gegeben wor-<lb/>
den &#x017F;ind, nicht &#x017F;o ver&#x017F;tanden werden, als &#x017F;ey der<lb/>
ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliche Zu&#x017F;tand jener Zeiten das einzig<lb/>
Wu&#x0364;n&#x017F;chenswu&#x0364;rdige, oder als &#x017F;ey die ganze Auf-<lb/>
gabe der Staatskun&#x017F;t <hi rendition="#g">die</hi>, ihn zuru&#x0364;ckzufu&#x0364;hren.<lb/>
Die <hi rendition="#g">Elemente</hi> alles politi&#x017F;chen Lebens, i&#x017F;t ge-<lb/>
&#x017F;agt worden, &#x017F;ind im Mittelalter zu finden. Die<lb/><hi rendition="#g">Verbindung</hi> die&#x017F;er Elemente, wie &#x017F;ie ganz<lb/>
dem Gefu&#x0364;hle der Vo&#x0364;lker und dem Antriebe des<lb/>
Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;es u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en blieb, war unvollkom-<lb/>
men, weil &#x017F;ie mehr fo&#x0364;derativ, als organi&#x017F;ch voll-<lb/>
zogen, und vom Ver&#x017F;tande, von der Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaft, nicht unter&#x017F;tu&#x0364;tzt wurde. Es fehlte an<lb/>
Vergleichungspunkten, an ge&#x017F;chichtlicher Ueber-<lb/>
&#x017F;icht des Univer&#x017F;ums, an &#x017F;icherer Erkenntniß des<lb/>
un&#x017F;cha&#x0364;tzbaren neuen chri&#x017F;tlichen Zu&#x017F;tandes. Die<lb/>
alte Welt mußte wieder auf&#x017F;tehen, &#x017F;ich neben die<lb/>
neue &#x017F;tellen, oder &#x017F;ie verdra&#x0364;ngen, damit im Ver-<lb/>
gleich oder in der Entbehrung das Wahre und<lb/>
ewig-Fe&#x017F;te erkannt wu&#x0364;rde. Das fromme Ge-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0142] eingeſetzt werden! Einige Ausſchweifung in der Ehrenrettung eines aus Unverſtand Verachteten, iſt eine Aeußerung ſchoͤner Seelen; wer moͤchte ſie nicht der ſogenannten Maͤßigung vorziehen, hinter der ſich traͤge, unwiſſende und kalte Na- turen verſtecken! Indeß muͤſſen die Lobſpruͤche, welche dem Mittelalter in dieſen Vorleſungen gegeben wor- den ſind, nicht ſo verſtanden werden, als ſey der geſellſchaftliche Zuſtand jener Zeiten das einzig Wuͤnſchenswuͤrdige, oder als ſey die ganze Auf- gabe der Staatskunſt die, ihn zuruͤckzufuͤhren. Die Elemente alles politiſchen Lebens, iſt ge- ſagt worden, ſind im Mittelalter zu finden. Die Verbindung dieſer Elemente, wie ſie ganz dem Gefuͤhle der Voͤlker und dem Antriebe des Beduͤrfniſſes uͤberlaſſen blieb, war unvollkom- men, weil ſie mehr foͤderativ, als organiſch voll- zogen, und vom Verſtande, von der Wiſſen- ſchaft, nicht unterſtuͤtzt wurde. Es fehlte an Vergleichungspunkten, an geſchichtlicher Ueber- ſicht des Univerſums, an ſicherer Erkenntniß des unſchaͤtzbaren neuen chriſtlichen Zuſtandes. Die alte Welt mußte wieder aufſtehen, ſich neben die neue ſtellen, oder ſie verdraͤngen, damit im Ver- gleich oder in der Entbehrung das Wahre und ewig-Feſte erkannt wuͤrde. Das fromme Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/142
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/142>, abgerufen am 22.11.2024.