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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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phiktyonen allein die Besorgung und Aufsicht des Hei-
ligthums hat, war vielleicht früher nicht bedeutend,
wenigstens wird er nicht eher genannt, als in einem
der jüngsten Homerischen Hymnen und von Herakleitos
von Ephesos 1.

8.

Wenn nun also in alten Zeiten Kreter wie in
Delos so in Delphi den Dienst des Heiligthums versa-
hen: so machten diese doch nicht die ganze Bevölkerung
des Landes aus. Denn erstens mußte das ausgedehnte
Gebiet des Tempels von einem ihm angehörigen Volke
bebaut werden -- von dessen Zusammensetzung und Ver-
hältnisse ich unten reden werde -- und dann gab es
einen einheimischen Adel von großer Gewalt und Macht
über das Heiligthum. Auf diesen deutet der Homeri-
sche Hymnus in den dunkeln Worten, die Apollon an
die Kretischen Ankömmlinge richtet:

Andere Männer alsdann sind euch zu Gebietern bestellet,
Deren Gesetz mit Gewalt euch binden soll ewige Tage 2.

Das sind offenbar dieselben, welche nach Euripides
"dem Dreifuß nahe sitzen, der Delpher Edle, (Del-
phon aristeis) die das Loos erwählt" 3, auch die Del-
phischen Herren und Fürsten (Puthikoi koiranoi, Del-
phon t anaktes) genannt, und einen peinlichen Gerichts-
hof bildend, der allen Frevel gegen den Tempel durch
Pythischen Spruch (Puthio psepho) mit Sturz vom
Felsen bestrafte 4. Dieselben hatten ohne Zweifel auch
die alten Rechte der Sühnung in ihren Händen, und
ihnen stand, wie dem Samothrakischen Priestergerichts-
hof, die Erkenntniß zu, ob ein Mord sühnbar oder
nicht. Ihre Einwirkung auf das Orakel war so be-

1 27, 14. -- Plut. Pyth. Orac. p. 404.
2 V. 220.
Ilgen erklärt die Verse von den Amphiktyonen: allein deren Ver-
hältniß ist nicht das bezeichnete.
3 Jon 428.
4 1233.
1236. 1265. vgl. 1126. arkhai ai 'pikhorioi.
14 *

phiktyonen allein die Beſorgung und Aufſicht des Hei-
ligthums hat, war vielleicht fruͤher nicht bedeutend,
wenigſtens wird er nicht eher genannt, als in einem
der juͤngſten Homeriſchen Hymnen und von Herakleitos
von Epheſos 1.

8.

Wenn nun alſo in alten Zeiten Kreter wie in
Delos ſo in Delphi den Dienſt des Heiligthums verſa-
hen: ſo machten dieſe doch nicht die ganze Bevoͤlkerung
des Landes aus. Denn erſtens mußte das ausgedehnte
Gebiet des Tempels von einem ihm angehoͤrigen Volke
bebaut werden — von deſſen Zuſammenſetzung und Ver-
haͤltniſſe ich unten reden werde — und dann gab es
einen einheimiſchen Adel von großer Gewalt und Macht
uͤber das Heiligthum. Auf dieſen deutet der Homeri-
ſche Hymnus in den dunkeln Worten, die Apollon an
die Kretiſchen Ankoͤmmlinge richtet:

Andere Maͤnner alsdann ſind euch zu Gebietern beſtellet,
Deren Geſetz mit Gewalt euch binden ſoll ewige Tage 2.

Das ſind offenbar dieſelben, welche nach Euripides
“dem Dreifuß nahe ſitzen, der Delpher Edle, (Δελ-
φῶν ἀριστεῖς) die das Loos erwaͤhlt” 3, auch die Del-
phiſchen Herren und Fuͤrſten (Πυϑικοὶ κοίρανοι, Δελ-
φῶν τ̕ ἄνακτες) genannt, und einen peinlichen Gerichts-
hof bildend, der allen Frevel gegen den Tempel durch
Pythiſchen Spruch (Πυϑίῳ ψήφῳ) mit Sturz vom
Felſen beſtrafte 4. Dieſelben hatten ohne Zweifel auch
die alten Rechte der Suͤhnung in ihren Haͤnden, und
ihnen ſtand, wie dem Samothrakiſchen Prieſtergerichts-
hof, die Erkenntniß zu, ob ein Mord ſuͤhnbar oder
nicht. Ihre Einwirkung auf das Orakel war ſo be-

1 27, 14. — Plut. Pyth. Orac. p. 404.
2 V. 220.
Ilgen erklaͤrt die Verſe von den Amphiktyonen: allein deren Ver-
haͤltniß iſt nicht das bezeichnete.
3 Jon 428.
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[211/0241] phiktyonen allein die Beſorgung und Aufſicht des Hei- ligthums hat, war vielleicht fruͤher nicht bedeutend, wenigſtens wird er nicht eher genannt, als in einem der juͤngſten Homeriſchen Hymnen und von Herakleitos von Epheſos 1. 8. Wenn nun alſo in alten Zeiten Kreter wie in Delos ſo in Delphi den Dienſt des Heiligthums verſa- hen: ſo machten dieſe doch nicht die ganze Bevoͤlkerung des Landes aus. Denn erſtens mußte das ausgedehnte Gebiet des Tempels von einem ihm angehoͤrigen Volke bebaut werden — von deſſen Zuſammenſetzung und Ver- haͤltniſſe ich unten reden werde — und dann gab es einen einheimiſchen Adel von großer Gewalt und Macht uͤber das Heiligthum. Auf dieſen deutet der Homeri- ſche Hymnus in den dunkeln Worten, die Apollon an die Kretiſchen Ankoͤmmlinge richtet: Andere Maͤnner alsdann ſind euch zu Gebietern beſtellet, Deren Geſetz mit Gewalt euch binden ſoll ewige Tage 2. Das ſind offenbar dieſelben, welche nach Euripides “dem Dreifuß nahe ſitzen, der Delpher Edle, (Δελ- φῶν ἀριστεῖς) die das Loos erwaͤhlt” 3, auch die Del- phiſchen Herren und Fuͤrſten (Πυϑικοὶ κοίρανοι, Δελ- φῶν τ̕ ἄνακτες) genannt, und einen peinlichen Gerichts- hof bildend, der allen Frevel gegen den Tempel durch Pythiſchen Spruch (Πυϑίῳ ψήφῳ) mit Sturz vom Felſen beſtrafte 4. Dieſelben hatten ohne Zweifel auch die alten Rechte der Suͤhnung in ihren Haͤnden, und ihnen ſtand, wie dem Samothrakiſchen Prieſtergerichts- hof, die Erkenntniß zu, ob ein Mord ſuͤhnbar oder nicht. Ihre Einwirkung auf das Orakel war ſo be- 1 27, 14. — Plut. Pyth. Orac. p. 404. 2 V. 220. Ilgen erklaͤrt die Verſe von den Amphiktyonen: allein deren Ver- haͤltniß iſt nicht das bezeichnete. 3 Jon 428. 4 1233. 1236. 1265. vgl. 1126. ἀϱχαὶ αἱ ᾽πιχώϱιοι. 14 *

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/241>, abgerufen am 21.11.2024.