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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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für Reisern wieder ein großer Fund war -- durch
eine solche öffentliche und laute Vorlesung eines
Psalms, hielt er sich wieder für alle Beschwer¬
lichkeiten des Chorsingens belohnt. -- Er dünkte
sich nun schon wie der Pastor P. . . in B. . . da¬
zustehen, und mit erschütternder Stimme zu dem
versammleten Volke zu reden.

Uebrigens aber wurde das Chorsingen für ihn
bald die unangenehmste Sache von der Welt. Es
raubte ihm alle Erhohlungsstunden, die ihm noch
übrig waren, und machte, daß er nun keinem ein¬
zigen ruhigen Tage in der Woche entgegen sehen
konnte. Wie verschwanden die goldnen Träume, die
er sich davon gemacht hatte! -- und wie gern
hätte er sich nun aus dieser Sklaverei wieder
loßgekauft, wenn es noch möglich gewesen wäre.
-- Aber nun war das Chorgeld einmal zu seinen
gewöhnlichen Einkünften mit gerechnet, und er
durfte gar nicht einmal daran denken, je wieder
davon loß zu kommen.

Den Gefährten seiner Sklaverei ging es grö߬
teutheis nicht besser, wie ihm, sie waren dieses
Lebens eben so überdrüssig. -- Und das Leben

fuͤr Reiſern wieder ein großer Fund war — durch
eine ſolche oͤffentliche und laute Vorleſung eines
Pſalms, hielt er ſich wieder fuͤr alle Beſchwer¬
lichkeiten des Chorſingens belohnt. — Er duͤnkte
ſich nun ſchon wie der Paſtor P. . . in B. . . da¬
zuſtehen, und mit erſchuͤtternder Stimme zu dem
verſammleten Volke zu reden.

Uebrigens aber wurde das Chorſingen fuͤr ihn
bald die unangenehmſte Sache von der Welt. Es
raubte ihm alle Erhohlungsſtunden, die ihm noch
uͤbrig waren, und machte, daß er nun keinem ein¬
zigen ruhigen Tage in der Woche entgegen ſehen
konnte. Wie verſchwanden die goldnen Traͤume, die
er ſich davon gemacht hatte! — und wie gern
haͤtte er ſich nun aus dieſer Sklaverei wieder
loßgekauft, wenn es noch moͤglich geweſen waͤre.
— Aber nun war das Chorgeld einmal zu ſeinen
gewoͤhnlichen Einkuͤnften mit gerechnet, und er
durfte gar nicht einmal daran denken, je wieder
davon loß zu kommen.

Den Gefaͤhrten ſeiner Sklaverei ging es groͤ߬
teutheis nicht beſſer, wie ihm, ſie waren dieſes
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[88/0098] fuͤr Reiſern wieder ein großer Fund war — durch eine ſolche oͤffentliche und laute Vorleſung eines Pſalms, hielt er ſich wieder fuͤr alle Beſchwer¬ lichkeiten des Chorſingens belohnt. — Er duͤnkte ſich nun ſchon wie der Paſtor P. . . in B. . . da¬ zuſtehen, und mit erſchuͤtternder Stimme zu dem verſammleten Volke zu reden. Uebrigens aber wurde das Chorſingen fuͤr ihn bald die unangenehmſte Sache von der Welt. Es raubte ihm alle Erhohlungsſtunden, die ihm noch uͤbrig waren, und machte, daß er nun keinem ein¬ zigen ruhigen Tage in der Woche entgegen ſehen konnte. Wie verſchwanden die goldnen Traͤume, die er ſich davon gemacht hatte! — und wie gern haͤtte er ſich nun aus dieſer Sklaverei wieder loßgekauft, wenn es noch moͤglich geweſen waͤre. — Aber nun war das Chorgeld einmal zu ſeinen gewoͤhnlichen Einkuͤnften mit gerechnet, und er durfte gar nicht einmal daran denken, je wieder davon loß zu kommen. Den Gefaͤhrten ſeiner Sklaverei ging es groͤ߬ teutheis nicht beſſer, wie ihm, ſie waren dieſes Lebens eben ſo uͤberdruͤſſig. — Und das Leben

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/98>, abgerufen am 27.04.2024.