Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite


ich dieses moralische Ungeheuer. Er war ein starker, wohlgebildeter Kerl von vierzig bis zweiundvierzig Jahren -- mehr aus Neugierde meine Menschenkenntniß zu erweitern, seine Gemüthsart, die Lage seiner Seele kennen zu lernen, als Begierde seine incorrigible Seele zu bessern, ging ich zu ihm, zumal er doch von einigen Mitgliedern der Gesellschaft zur Beförderung reiner Lehre und wahrer Gottseligkeit fleißig besucht wurde, auch von diesen Herren leichter wie von mir Hofnung einer völligen Begnadigung erhielt; zudem hatte sich Gering ehemals in meiner Gemeine eine Zeitlang als Knecht aufgehalten. Also nicht aus Bekehrungssucht ging ich hin, weil auch nach meiner Einsicht ein solcher Seelenpatient, ein verhärteter Lasterknecht, höchst selten curirt wird; solcher Fall ist glaublich, ist möglich, nie aber überzeugend gewiß, wenn der Patient nicht durch sichtbare Proben seine neue Sinnesänderung, durch gänzlich gebesserten Wandel zu Tage legt, und uns dadurch neue Erfahrung von sich giebt. Wär's so leicht dies Geschäft, aus einem durch Gewohnheit und Uebung verhärteten Bösewicht durchs Evangelium einen neuen Menschen zu machen; wärs hie und da einmal glaublich, einen solchen Patienten zu bessern; so fehlts ihm doch noch immer an eigner beruhigender Ueberzeugung von seiner geschehenen gänzlichen Sinnesänderung, von der kein Mensch ohne selbst gemachte neue Erfahrung gewiß werden kann, und ohne eine solche beruhigende Ueberzeu-


ich dieses moralische Ungeheuer. Er war ein starker, wohlgebildeter Kerl von vierzig bis zweiundvierzig Jahren — mehr aus Neugierde meine Menschenkenntniß zu erweitern, seine Gemuͤthsart, die Lage seiner Seele kennen zu lernen, als Begierde seine incorrigible Seele zu bessern, ging ich zu ihm, zumal er doch von einigen Mitgliedern der Gesellschaft zur Befoͤrderung reiner Lehre und wahrer Gottseligkeit fleißig besucht wurde, auch von diesen Herren leichter wie von mir Hofnung einer voͤlligen Begnadigung erhielt; zudem hatte sich Gering ehemals in meiner Gemeine eine Zeitlang als Knecht aufgehalten. Also nicht aus Bekehrungssucht ging ich hin, weil auch nach meiner Einsicht ein solcher Seelenpatient, ein verhaͤrteter Lasterknecht, hoͤchst selten curirt wird; solcher Fall ist glaublich, ist moͤglich, nie aber uͤberzeugend gewiß, wenn der Patient nicht durch sichtbare Proben seine neue Sinnesaͤnderung, durch gaͤnzlich gebesserten Wandel zu Tage legt, und uns dadurch neue Erfahrung von sich giebt. Waͤr's so leicht dies Geschaͤft, aus einem durch Gewohnheit und Uebung verhaͤrteten Boͤsewicht durchs Evangelium einen neuen Menschen zu machen; waͤrs hie und da einmal glaublich, einen solchen Patienten zu bessern; so fehlts ihm doch noch immer an eigner beruhigender Ueberzeugung von seiner geschehenen gaͤnzlichen Sinnesaͤnderung, von der kein Mensch ohne selbst gemachte neue Erfahrung gewiß werden kann, und ohne eine solche beruhigende Ueberzeu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0046" n="46"/><lb/>
ich dieses moralische                         Ungeheuer. Er war ein starker, wohlgebildeter Kerl von vierzig bis                         zweiundvierzig Jahren &#x2014; mehr aus Neugierde meine Menschenkenntniß zu                         erweitern, seine Gemu&#x0364;thsart, die Lage seiner Seele kennen zu lernen, als                         Begierde seine incorrigible Seele zu bessern, ging ich zu ihm, zumal er doch                         von einigen Mitgliedern der Gesellschaft zur Befo&#x0364;rderung reiner Lehre und                         wahrer Gottseligkeit fleißig besucht wurde, auch von diesen Herren leichter                         wie von mir Hofnung einer vo&#x0364;lligen Begnadigung erhielt; zudem hatte sich                         Gering ehemals in meiner Gemeine eine Zeitlang als Knecht aufgehalten. Also                         nicht aus Bekehrungssucht ging ich hin, weil auch nach meiner Einsicht ein                         solcher Seelenpatient, ein verha&#x0364;rteter Lasterknecht, ho&#x0364;chst selten curirt                         wird; solcher Fall ist glaublich, ist mo&#x0364;glich, nie aber u&#x0364;berzeugend gewiß,                         wenn der Patient nicht durch sichtbare Proben seine neue Sinnesa&#x0364;nderung,                         durch ga&#x0364;nzlich gebesserten Wandel zu Tage legt, und uns dadurch neue                         Erfahrung von sich giebt. Wa&#x0364;r's so leicht dies Gescha&#x0364;ft, aus einem durch                         Gewohnheit und Uebung verha&#x0364;rteten Bo&#x0364;sewicht durchs Evangelium einen neuen                         Menschen zu machen; wa&#x0364;rs hie und da einmal glaublich, einen solchen                         Patienten zu bessern; so fehlts ihm doch noch immer an eigner beruhigender                         Ueberzeugung von seiner geschehenen ga&#x0364;nzlichen Sinnesa&#x0364;nderung, von der kein                         Mensch ohne selbst gemachte neue Erfahrung gewiß werden kann, und ohne eine                         solche beruhigende Ueberzeu-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0046] ich dieses moralische Ungeheuer. Er war ein starker, wohlgebildeter Kerl von vierzig bis zweiundvierzig Jahren — mehr aus Neugierde meine Menschenkenntniß zu erweitern, seine Gemuͤthsart, die Lage seiner Seele kennen zu lernen, als Begierde seine incorrigible Seele zu bessern, ging ich zu ihm, zumal er doch von einigen Mitgliedern der Gesellschaft zur Befoͤrderung reiner Lehre und wahrer Gottseligkeit fleißig besucht wurde, auch von diesen Herren leichter wie von mir Hofnung einer voͤlligen Begnadigung erhielt; zudem hatte sich Gering ehemals in meiner Gemeine eine Zeitlang als Knecht aufgehalten. Also nicht aus Bekehrungssucht ging ich hin, weil auch nach meiner Einsicht ein solcher Seelenpatient, ein verhaͤrteter Lasterknecht, hoͤchst selten curirt wird; solcher Fall ist glaublich, ist moͤglich, nie aber uͤberzeugend gewiß, wenn der Patient nicht durch sichtbare Proben seine neue Sinnesaͤnderung, durch gaͤnzlich gebesserten Wandel zu Tage legt, und uns dadurch neue Erfahrung von sich giebt. Waͤr's so leicht dies Geschaͤft, aus einem durch Gewohnheit und Uebung verhaͤrteten Boͤsewicht durchs Evangelium einen neuen Menschen zu machen; waͤrs hie und da einmal glaublich, einen solchen Patienten zu bessern; so fehlts ihm doch noch immer an eigner beruhigender Ueberzeugung von seiner geschehenen gaͤnzlichen Sinnesaͤnderung, von der kein Mensch ohne selbst gemachte neue Erfahrung gewiß werden kann, und ohne eine solche beruhigende Ueberzeu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/46
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/46>, abgerufen am 26.04.2024.